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Als Elide sich nach der Besprechung im Büro des Doktors schließlich auf ein Bett fielen ließ, konnte sie trotz Erschöpfung, die sie in jeder Faser ihres Körpers spürte, nicht einschlafen. Es war so ungewohnt, auf einer Matratze zu liegen, die weiche Baumwolle auf ihrer Haut zu spüren und die Wangen auf einem Kissen zu betten. Sie hatte auch vergessen, wie Essen schmeckte. Dabei war ihr Abendessen gar nicht mal so groß gewesen. Das Hähnchen hatte sie nicht besonders gefunden, trotzdem war sie nach wenigen Bissen auch noch ins Badezimmer gestürzt, um ihren Mageninhalt zu leeren. Dabei wollte sie essen, alles in sich hineinstopfen, um am Ende die Hand auf ihren vollen Bauch zu legen und sich zu wünschen, niemals ein Bissen angerührt zu haben, zu schwören, nie wieder etwas zu sich zu nehmen.

In dem Raum mit den bewegenden Wänden war sie dünner geworden, bis fast nichts mehr von ihr übrig war. Unter ihrem Hemd stachen die Rippen heraus; ihre Muskeln wirkten allein definierter, weil außer denen und Knochen nichts anderes da war. Ihr Gesicht hatte nicht viel besser ausgesehen, als sie im Badezimmerspiegel einen kurzen Blick darauf geworfen hatte. Es war ausgezehrt: Ihre Wangenknochen und ihr Kiefer standen hervor und unter ihren Augen zeigten sich zwar nur leichte, aber dennoch in beunruhigender Weise, Augenringe. Langsam atmete sie ein und genoss die aufkeimende Hoffnung. Sie würde essen - sehr viel essen, und trainieren. Sie würde wieder völlig gesund werden. Mit Fantasien von unglaublichen Festessen und der Wiederherstellung ihres gesunden Aussehens, schlief sie endlich ein.

Als der Brite, der sich als Agent Sam Crane herausstellte, sie am nächsten Morgen wegen irgendwas holen kam, fand er sie in einer Decke gewickelt auf dem kalten Fußboden. ,,Sinclair", sagte er, woraufhin sie etwas unverständliches nuschelte und das Gesicht tiefer ins Kissen grub. ,,Warum schlafen Sie auf dem Fußboden?" Sie öffnete die Augen. Natürlich sagte er nichts dazu, wie verändert sie nun, da sie sauber war, aussah. Sie hatten sich seitdem "Vorstellungsgespräch" mit dem Doktor nicht gesehen. Elide stand auf, machte sich auch nicht die Mühe, sich hinter der Decke zu verstecken. Die vielen Meter Stoff, den man Nachthemd nannte, bedeckten sie ausreichend. ,,Das Bett ist scheiße", sagte sie einfach und vergaß den Agent, als sie das Sonnenlicht entdeckte. Reines, helles, warmes Sonnenlicht. Es drang durch die schmale Öffnung an ihrer Decke. Darüber hing ein Gitter, als befürchtete man, sie könnte sich durch den Handbreiten Spalt zwängen und entfliehen. Ihre Lippen öffneten sich zu einem Lächeln. Solche Hirnies. Der Agent zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Sie war beinahe schon heiter. Sam Crane hatte missmutig zugesehen, wie Elide auch nach dem Umziehen die aufgehende Sonne bewunderte und zerrte sie nun geradezu aus dem Zimmer, aber sie schnaubte nur. Beim Anblick des heller werdenden Morgenhimmels hatte sie Lust bekommen, das Training mit dem Soldier draußen zu absolvieren. Doch als sie sich an den gestrigen Tag erinnerte und an die zermatschte Leiche, stockte ihr das Herz für einen kurzen Augenblick.

,,Wo gehen wir eigentlich hin?", fragte Elide den Briten, mit dem sie mittlerweile Schritt hielt. ,,Kleidung kaufen", antwortete er knapp. Ihr Herz stockte ein zweites Mal. ,,Wir gehen in die Stadt?" ,,Wie gesagt: Wir gehen Kleidung für Sie kaufen. Wenn Sie irgendwann mal zusammen mit dem Winter Soldier auf Mission geschickt werden, können Sie schlecht im Nachthemd oder in Hydra-Uniform rumspazieren." Während Crane sprach, hielt er den Blick stehts nach vorne gerichtet. ,,Warum sprechen wir eigentlich russisch, statt englisch?", fragte sie auf englisch. Crane hielt abrupt an, fixierte sie mit einem vernichtenden Blick. ,,Weil Zola es so will und wir seine Regeln befolgen." ,,Aber -" ,,Sie sollten am besten Wissen, wie es ausgeht, für jene, die sich ihm widersetzen", unterbrach er sie und ging weiter. Elide schluckte den Sturm aus Zorn in ihr hinunter. Sie hasste Regeln.

Ihr kam es vor, als hätte sie die Stadt seit Jahren nicht gesehen. Nun, genau genommen hatte sie diese Stadt nur einmal in ihrem Leben gesehen - und zwar in Begleitung ihres älteren Bruders.
Diese Stadt nannte sich Moskau.
Es war eine wunderschöne, malerische Stadt, die sie nun gemeinsam mit Crane durchlief. Statt seiner schwarzen Uniform, trug er nun eine einfachen Anzug, unter dessen Hemd zeichneten sich seine Muskeln ab. Wie gemein von ihm: Er war ein Hydra Agent und sah gut aus.
Jedenfalls trug auch sie keine Uniform. Sie trug Schuhe mit mittelmäßigen Absatz, einen Rock und ein schlichtes Oberteil, und sie hatte keine Ahnung, wo Crane die Klamotten so schnell aufgetrieben hatte. Dazu schmückte eine mehr oder weniger realistisch aussehende, blonde Perücke ihren Kopf. ,,Blond steht mir nicht", hatte sie gemurrt, doch Crane hatte bloß erwidert: ,,Es dient nur der Tarnung." Eine schreckliche Tarnung, aber was soll's.
Immerhin musste Elide feststellen, dass die russische Mode von 1947 der amerikanischen gar nicht mal so stark abwich, wie sie gedacht hatte.
Und so kam es auch, dass sie Kleidung fand, die ihrem Geschmack entsprach.

Zurück zur Basis kamen Crane und sie mit fünf Tüten und drei von ihnen musste Crane tragen, der sichtlich genervt von ihr war und während des Einkaufes ohne Witz zwei Sätze mit ihr gesprochen hatte. Und diese lauteten ,,Bist du jetzt endlich fertig?" und ,,Wir gehen jetzt."
Demnach hatte sie sich die ganze Zeit über gefühlt, als würde sie mit einer Steinskulptur reden.

Nun wieder in schwarzer Uniform, stand Elide mit vor der Brust verschränkten Armen vor den Matten, auf denen Frosty gegen unsichtbare Gegner kämpfte. Dabei fiel ihr auf, dass er sich besonders auf Techniken fixierte, die denen von Boxen und Straßenkampf glichen. Er nutzte hauptsächlich seine Arme, die Beine kaum. Er benutzte auch Wurftechniken, doch die waren mit einem unsichtbaren Gegner namens Luft schlecht umzusetzen. Sie bedeutete ihm mit einem Handzeichen aufzuhören und betrat anschließend die roten, ausgelegten Matten, die Form eines großen Rechteckes angeordnet waren. Der Soldier sah sie fragend an. ,,Du siehst absolut lächerlich aus, wenn du die Luft umwirfst", erklärte sie schnippisch. ,,Ich soll Sie stattdessen umwerfen?", fragte er mit seiner tiefen, rauen Stimme nach. ,,Erstens: Ich kehr mich einen Scheißdreck um Höflichkeit, also duz' mich einfach, klar?", der Soldier nickte, ,,Und zweitens: Ja, außer mir hier ist eh niemand hier."

Der Soldier trat rasch näher, schlang seinen linken Arm aus Metall unten um ihren Rücken, packte ihren linken Arm mit seiner rechten. Er war ihr so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. ,,Na mach schon", knurrte sie ungeduldig, während sie ihm in die tiefblauen Augen sah. ,,Ich könnte dich töten", entgegnete er bedrohlich leise. Ein Schmunzeln zupfte an ihren Mundwinkeln. ,,Kannst es gern versuchen." Kaum hatte sie ihren Satz beendet, drehte er ihr den Rücken zu und warf sie leichtfertig über die Schulter. Sobald sie auf den Boden aufgeschlagen war, nahm James sie in den Kesa-Gatame. Dabei hatte sein Metallarm den Part mit dem Hals übernommen, und der Griff verhärtete sich, sie spürte wie die Luft aus ihrer Lunge gepresst wurde. Sie nahm mit dem äußeren Bein Schwung und riss ihn um, sodass sie nun die war, die ihn mit dem Kesa-Gatame auf den Boden nagelte. Der Soldier sah sie erstaunt an. Anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, dass jemand - und dazu noch eine Frau - seine 118 kg umwerfen konnte. „Nächstes Mal vielleicht, Frosty", sagte sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Dann befreite sie ihn und stand auf, auch er erhob sich. „Haben sie auch an dir experimentiert?", fragte der Soldier mit ehrlicher Neugier. Und etwas wie Bedauern in der sonst eiskalten Stimme. Vielleicht war er doch nicht so stabil ... nicht der "eiskalte" Winter Soldier, zu den Hydra ihn machen wollte. Sie drehte ihren Kopf zu ihm, nur um zu schnauben. „Nichts für Ungut, aber das geht dich nichts an, Bucky." Der Mann mit dem etwa kinnlangem, vom Training zerzausten, braunem Haar sah sie fassungslos an. „Gibt es einen Grund dafür, dass du mich so anstarrst?" Sie wusste natürlich, was der Grund war. Sie wusste, er war früher so gennant worden, auch von seinem besten Freund Captain America, der allerdings nach dem Absturz für tot erklärt wurde. Also wartete sie geduldig auf seine Antwort.

Doch Bucky schüttelte bloß den Kopf.


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Black Jackal | Bucky FFKde žijí příběhy. Začni objevovat