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„Willkommen zurück, Dornröschen", scherzte Elide mit einem kleinen Grinsen. Bucky musterte sie einen Moment, zu sprachlos, um etwas erwidern zu können.
Auch wenn sie sich irgendwie verändert hatte, war er sich sicher, sie zu kennen.
Er glaubte, er hatte sie schonmal gesehen ... auf der Stark Expo, die er mit Steve besucht hatte.
Steve, wiederholte er. Vor seinen Augen blitzte das verschwommene, hagere Gesicht eines kleinen, blonden Mannes auf. Er wusste nicht, wer genau er war, aber er wusste, dass er ihm viel bedeutete hatte. Ein früherer Freund vielleicht?
Könnte er nur diesen Schatten entfernen, der seine Erinnerungen fest im Griff hielt.
Plötzlich spürte er ein schmerzhaftes Brennen in seinem Oberarm und entdeckte den glänzenden Metallsplitter, der sich tief in sein Fleisch gebohrt hatte. Der Stoff seines Ärmels war eingerissen, sodass seine Haut drum herum frei lag. Sie war überströmt mit dunklen, vertrocknetem Blut.
Elide folgte seinem Blick.
"Achso das", sagte Elide mit einem schnippischen Ton, ehe sie seinen Arm packte und näher zu sich hinzog. Sein erster Instinkt drängte ihn dazu, den Arm wieder zu entziehen, aber die Stärke ihres Griffes würde es wohl kaum zulassen. Also ließ er sie gewähren, beobachtete, wie ihre schlanken Finger sich um den Metallsplitter schlossen.
Sie warf ihm einen kurzen, schelmischen Blick zu.
"Zähne zusammen beißen, Süßer."
Mit einem gewaltigen Ruck riss sie das lange Metallstück heraus und neues Blut strömte aus der Wunde. Ihm entfuhr ein schmerzerfülltes Stöhnen.
Elide achtete nicht darauf und zog seinen Arm noch näher zu sich, nahm ein Stück Stoff und band es eng um die Wunde. Er unterdrückte einen kurzen Aufschrei, als sie die Enden des Stoffes nahm und den Knoten unsanft zu zerrte. Ein pulsierender Schmerz breitete sich aus. Als neues Blut zur verbundenen Wunde schoss, wurde sein Arm ganz warm.
Er musterte den Stoff kurz und fand, dass er zu dreckig war, als dass man damit eine offene Wunde verbinden sollte, aber andererseits würde er sonst zu viel Blut verlieren und wenn er sie offen ließ, würde sie sich wahrscheinlich sowieso infizieren.
Er nahm den Blick von seinem Arm und sah zu Elide. Ein helles, aber schmutziges, elfenbeinfarbiges Tuch wickelte sich um ihren Kopf und verschleierte einen Teil ihres Gesichtes. Er erkannte nur an ihren Augen und den schmalem Part darunter, wenn sie lächelte.
Allgemein trug sie andere Kleidung als vorher und der Größe nach zu urteilen, waren die Klamotten ursprünglich für einen Mann gedacht. Ihre eigene Kleidung musste verbrannt worden sein - sowie sie es hätte sein müssen. Doch abgesehen von dem Ruß, der das sichtbare ihres Antlitzes verdreckte, wirkte sie vollkommen unversehrt. Ihre Heilfähigkeiten waren sogar nach beeindruckender, als er angenommen hatte. Wenn ihre Selbstheilungskraft so stark war, alterte sie dann nicht sehr langsam, beziehungsweise gar nicht? Vielleicht war sie in Wirklichkeit bereits viel älter, als zwanzig.

Buckys Blick glitt zur Seite, dorthin, wo Agent Crane im Sand lag - bewusstlos. Er wusste, dass er nicht tot war, weil ein Tuch über seinem Gesicht lag. Nicht, weil er nicht mehr lebendig war, sondern deshalb, damit ihm die Sonne nicht verbrannte. Er bezweifelte nämlich, dass Elide ihm ein Tuch übers Gesicht gelegt hätte, um ihm so die letzte Ehre zu erweisen. Ohne wieder zu ihr zusehen, fragte er: "Gibt es noch andere Überlebende?"
Elide schüttelte schweigend den Kopf. Bucky erwiderte nichts daraufhin. Er hatte es erwartet. Er betrauerte die vielen Toten auch nicht, konnte es gar nicht, und selbst wenn er etwas fühlen könnte, würde er es nicht tun. In seinen Augen hatte jedes Hydra-Mitglied den Tod verdient.
Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Elide sich zu Crane setzte, ein weites Stoffbündel nahm und damit sein linkes Knie stabilisierte. "Ist sein Bein gebrochen?"
"Eine Patellafraktur", antwortete die schwarzhaarige und löste den Stoff um ihren Mund, als würde er beim Sprechen stören. Schweiß glitzerte auf ihrem Gesicht. Er selbst spürte die brennende Hitze zunehmend, holte sein verstautes Shemag hervor und setzte es auf. Eine Patellafraktur ... er brauchte einen Moment, um sich daran zu erinnern, was es überhaupt bedeutete. Doch ehe es ihm einfiel, erklärte Elide, die seinen nachdenklichen Blick bemerkte haben musste: "Das ist eine Trümmerfraktur der Kniescheibe."
Ob sie vor Hydra eine Krankenschwester gewesen war? Seine Frage klärte sich, als ihm die Art auffiel, wie sie sein Bein "schiente". Ihre Bewegungen waren viel zu gewaltsam, harsch und unbedacht, als dass sie eine Schwester gewesen sein könnte. Es wirkte schon fast so, als wollte sie den Zustand von Cranes Knie noch verschlimmern. Um ehrlich zu sein, hätte es ihn nicht einmal überrascht.
Da hörte er ein leises, gequältes Stöhnen. Crane streckte die Hand aus, zog sich das Tuch vom Gesicht, blinzelte mehrmals und legte anschließend benommen die sonnenverbrannte Stirn in Falten. "Was zur Hölle ...", brummte er mit rauer, heiserer Stimme. Er hielt inne, als er sich mit den Händen in den warmen Sand stützen wollte, um sich mit einem leidvollen Ächzen aufzusetzen.
"Hölle trifft's ganz gut", bemerkte Elide mit einem süffisanten Funkeln in den Augen. Sie ließ ihren Blick bedeutsam durch die Gegend schweifen. Weit und breit bettete der goldene Sand rauchende Metallteile und blutige Leichen.
Crane musterte Elide einen Moment lang umnachtet. Er schien keine Ahnung zu haben, was passiert war.
Vielleicht eine Gehirnerschütterung, überlegte Bucky. "Der Flugzeugabsturz", half er dem dunkelblonden Briten also auf die Sprünge. Es schien tatsächlich seine Wirkung zu haben. Blanke Erkenntnis blitzte in seinen grünblauen Augen auf.
"Der Flugzeugabsturz", wiederholte er seine Worte grübelnd und benommen zugleich. Dann klärte sich Cranes Blick und ihm fiel ein: "Lawsen." Er riss seinen Kopf von all den Trümmerteilen weg zu Elide. "Der Koffer mit den Ampullen. Wo ist er?"
Elide lächelte zuckersüß. Ein Lächeln, das auf ihren Lippen mehr tödlich als freundlich wirkte. "Danke, dass du mich gefunden und verarztet hast, Elide. Ich verdanke dir mein Leben", säuselte sie mit gespielt glockenheller Stimme. Bucky hob die Brauen. Sie hatte von ihm kein Danke erwartet. Crane indes verdrehte die Augen. Dann fragte er nochmal: "Wo ist der Koffer?"
Elide lockerte ihr vor falscher Freundlichkeit verkrampftes Gesicht. "Du bist heute echt nicht meine Lieblingsperson, Sam."
Ihre Stimme klang wieder wie sonst auch: kehlig und ein wenig rau, aber auf eine angenehme Art und Weise. Der Angesprochene erwiderte ein entrüstetes Schnauben. "Ich bin an keinem Tag deine Lieblingsperson." Daraufhin legte sie wiederum den Kopf schief. Ihre Lippen verzogen sich erneut zu einem Lächeln, das ein kleines wenig sadistisch wirkte.
"Hast recht. Aber nur das du's weißt: Wenn's hart auf hart kommt, werde ich dich zuerst fressen."

Black Jackal | Bucky FFWhere stories live. Discover now