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*Elias*
"Hey Theresa! Setz dich doch zu mir, Julia wollte auch gleich noch kommen.", begrüßte ich meine Kollegin und rückte mit meinen Stuhl ein Stück zur Seite, damit sie genug Platz hatte. "Ach Bährchen... hast du schon von unserer Reanimation gehört?", wollte Theresa dann wissen, ließ sich samt ihres Tellers neben mir nieder und seufzte. Ich nickte und legte die Stirn in Falten. "Aortenruptur... hab ich gehört, ja! Das tut mir leid - so ein Mist, echt!", antwortete ich und schob mir ein Stück Tomate in den Mund. Mein Vormittag war zum Glück wesentlich ruhiger verlaufen, auch wenn mir der morgige OP-Plan wirklich Kopfzerbrechen bereitete. Da Leyla nicht mehr operieren durfte, musste ich genügend Ersatz finden und das war nicht immer so leicht. Apropos, Leyla... ich hatte Ben doch versprochen auf sie aufzupassen. "Wie geht es denn Dr. Sherbaz?", fragte ich Theresa schnell. "Hmm, sie war relativ geschafft von der Reanimation. Ich glaube, das hat sie ziemlich mitgenommen...", meinte sie dann und stocherte dabei lustlos in ihrer Pasta herum. "Wo ist sie denn? Hat sie zu Mittag gegessen?", wollte ich wissen und sah mich suchend um. Nachdem mir Theresa erzählt hatte, dass Leyla wohl noch nicht dazu gekommen sei etwas zu essen, brachte ich schnell mein leeres Tablett weg, kaufte einen weiteren Salat und lief damit zum Zimmer der Oberärzte...

*Leyla*
„Frau Dr. Sherbaz?", hörte ich Elias, der in der Schiebetür stand. Ich blickte von meinen Patientenakten auf, in denen ich gedankenverloren geblättert hatte, ohne sie mir auch nur im geringsten wirklich angesehen zu haben. „Kommen Sie ruhig rein, Dr. Bähr", ich lächelte ihn an „was gibt's denn?", wollte ich dann von ihm wissen. Er kam langsam auf mich zu und hielt mir dann eine kleine Schüssel hin. „Ben hat mich gebeten, mich um Sie zu kümmern... und da ich gedacht habe, dass Sie sicher noch nichts gegessen haben, habe ich Ihnen etwas mitgebracht. Es gibt heute in der Cafeteria leider nichts anderes Vegetarisches als den Salat.", erklärte er mir dann fast entschuldigend und stellte mein potentielles Mittagessen neben mich auf den Tisch. Elias war so ein fürsorglicher und lieber Mensch. Ben konnte sich wirklich glücklich schätzen, so einen besten Freund zu haben. Unweigerlich musste ich an Niklas denken, meinen besten Freund, der gerade tausende von Kilometern weit weg in San Francisco saß. Gerade die letzten Tage hätte ich ihn so sehr gebraucht gehabt. Mein Magen verkrampfte sich, als mir diese Tatsache durch den Kopf schoss. Wie gerne hätte ich Niklas gerade bei mir und beschloss, so bald wie möglich mit ihm zu telefonieren. „Danke Elias, das ist sehr nett", ich blickte den Stationsarzt an, als dieser etwas schüchtern wirkend wieder den Rückzug aus dem Oberarztzimmer antrat, nur stumm nickte und lächelte. Ich bekam fast ein schlechtes Gewissen, als in mir beim Anblick des Salates Übelkeit aufstieg und ich ihn deshalb erstmal wieder zur Seite schieben musste...

*Ben*
Als ich wach wurde, war es bereits kurz nach 14Uhr. Ich war nach dem Nachtdienst noch ganz schön geschlaucht und fühlte mich nicht wirklich erholt. Ich griff nach meinem Handy und sah, dass ich mehrere Nachrichten und Anrufe in Abwesenheit hatte. Unter anderem auch von Leyla. Sofort wählte ich ihre Nummer. Jedoch ertönte nur die Stimme der Mailbox und ich legte wieder auf. Sie war sicher wieder ziemlich eingespannt und hatte keine Zeit zum Telefonieren... in ihrer WhatsApp las ich dann, dass Herr Schäffler, der Patient von heute Nacht, es leider nicht geschafft hatte. Es war schon ein Wunder gewesen, dass er die Operation überhaupt überlebt hatte. Ich schloss kurz die Augen und dachte an all das Blut und die schweren Verletzungen. Auch wir Ärzte konnten nicht jeden Menschen retten, das wurde mir jetzt wieder klar. Auch Elias hatte mir geschrieben. „Leyla wirkt etwas schwach, sie haben lange reanimiert. Hab' ihr was zu Essen gebracht, mach dir keine Sorgen!", schrieb er. Oh man Leyla! Am liebsten wäre ich sofort ins JTK gefahren, hätte sie in den Arm genommen und vor allem bewahrt, was ihr nicht gut tun könnte! Gleichzeitig wusste ich, dass sie ihre Arbeit liebte und sich niemals beschweren würde, auch wenn es ihr nicht gut ging. Wieder versuchte ich sie zu erreichen. Nachdem ich lange nur das Freizeichen gehört und schon wieder auflegen wollte, meldete sich meine Freundin am anderen Ende...

*Leyla*
Ich war so froh Bens Stimme zu hören. Wenn alles drunter und drüber ging, oder ich einfach nicht weiter wusste, gab er mir einfach nur Halt. Ich erzählte ihm alles über die Reanimation seines Patienten, sprach dabei aber nicht an, wie sehr mich das alles anstrengte und wie kaputt ich mich fühlte, obwohl ich noch mindestens vier Stunden arbeiten musste. „Leyla, hast du gegessen? Elias hat mir schon verraten, dass er dich versorgt hat.", wollte Ben dann wissen. Ich schluckte und erinnerte mich an den Salat, der noch fast unangetastet im Oberarztzimmer stehen musste. „Ja...", log ich dann, um meinen Freund nicht zu beunruhigen „ich dachte mir schon, dass das deine Idee war. Ben, ich kann aber wirklich auf mich selbst aufpassen. Mach dir nicht zu viele Sorgen!".
Ich klemmte mein Telefon zwischen Wange und Schulter und durchforstete die Unterlagen nach meiner To-Do-Liste für den Tag. Einiges konnte ich schon abhaken, jedoch stand noch mindestens eine sehr unangenehme Aufgabe bevor. Ich musste noch ein Aufklärungsgespräch mit einem Patienten führen, der mit Verdacht auf Lungenkrebs von seinem Hausarzt ins JTK überwiesen worden war. Leider hatte sich die Diagnose bestätigt. Auch wenn ich ihn nicht selbst operieren werden würde, war es heute meine Aufgabe, ihm das weitere Vorgehen zu erklären. Den Eingriff würde Dr. Lindner zusammen mit Ben morgen durchführen. Jedoch hatten heute ja beide frei... „Ich bin denke ich gegen acht Uhr zu Hause, Schatz.", sagte ich dann, während ich zum Stationscounter lief um die Akte von Herrn Winkler zu suchen. „Alles klar... ich koche uns etwas! Freu mich schon auf dich, Sonnenschein - Pass auf dich auf!", bat mich Ben, ehe wir uns verabschiedeten. Mit der Akte im Arm suchte ich Herrn Rantala. Er sollte auch langsam lernen, unangenehme Gespräche zu führen. Natürlich ist das bei jedem Patienten sehr individuell und es gibt kein „richtig" oder „falsch", trotzdem kann es jungen Ärzten in ihrer persönlichen Entwicklung sehr helfen zu sehen, wie schon erfahrene Ärzte damit umgehen...

*Vivienne*
„Frau Kling, wollen Sie ein bisschen Gas geben, oder soll die Op-Wunde von selbst heilen!?". Matteo war wieder in Hochform. Ich hatte eben meine nächste Solo-Op durchgeführt, diesmal mit meinem liebenswerten Bruder als oberärztlichen Assistenten. Es lief super, wirklich! Kein Wunder, diese Art von Operation - die Ausräumung eines epiduralen Hämatoms - hatte ich schon sehr oft mit Dr. Ruhland durchgeführt. Neurochirurgie war einfach mein Ding und das wollte Matteo immer noch nicht wahrhaben.Er würde es wohl am besten finden, wenn ich in seine Fußstapfen treten und mich auf plastische Chirurgie spezialisieren würde. Aber mein Herz hing nun mal an Nerven und dem Gehirn. „Dr. Moreau, waren Sie denn von Anfang an so schnell, wie Sie es jetzt sind?", hörte ich Dr. Johannsen, die hinter mir stand und mir beim Nähen zusah.„Der Patient ist stabil, die Narkose habe ich unter Kontrolle, also lassen Sie Vivien doch einfach mal machen.", sie sah Matteo herausfordernd von der Seite an, der nur die Augen verdrehte. Ich musste grinsen, aber das sah man unter meinem Mundschutz zum Glück ja nicht.
Nachdem wir den Patienten in den Aufwachraum gebracht und ich mich gerade umgezogen hatte, klingelte mein Telefon. Auf den Display erleuchtete eine mir wohl bekannte Nummer mit hamburger Vorwahl. "Hallo Prof. Ruhland! Haben Sie meine Mail schon gelesen?", begrüßte ich meine Doktormutter. "Ja, ich habe sie vorhin gelesen! Frau Kling, der erste Teil Ihrer Doktorarbeit ist hervorragend, wirklich Respekt!", hörte ich Franziska Ruhland am anderen Ende der Leitung.Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. So ein Lob von meinem großen Vorbild zu bekommen, war unfassbar schön. "Vielen vielen Dank, das freut mich sehr!", stammelte ich und war ein wenig nervös. "Vivienne, das ist aber nicht der Grund, weshalb ich Sie jetzt anrufe...", die Stimme von Dr. Ruhland wurde ernst und ich hatte keine Ahnung, was nun folgen würde. "Es geht um Folgendes:Ich habe hier an der Klinik eine freie Stelle in der Neurochirurgie übrig und wollte Sie fragen, ob Sie nach Beendigung Ihres Facharztes zu mir nach Hamburg wechseln möchten. Ich sehe großes Potential in Ihnen und würde das sehr gerne fördern."

In aller Freundschaft die jungen Ärzte - Nichts bleibt, wie es istWhere stories live. Discover now