~ 18 ~

922 22 0
                                    

*Niklas*
Während ich mit Julia telefonierte, stand ich in meinem neuen Büro am Fenster und blickte in den Regen. Natürlich war ich unglaublich erleichtert, dass Leyla und das Kind lebten! Aber ich war trotzdem so verwirrt und voller Gedanken. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, was Leyla geritten haben musste, sich so in Gefahr zu bringen. Gerade jetzt! Natürlich, sie hatte mir vor einigen Tagen mal von ihren "Magenproblemen" erzählt, aber ich hatte das tatsächlich auch nur als Stressreaktion abgetan. Das hat doch jeder mal... aber dass es ihr wirklich schlecht ging, das hatte ich nicht geahnt. Ich rieb mir mit einer Hand über die Augen. "Niklas... können wir auch nochmal über uns reden?", fragte Julia am anderen Ende der Leitung, nachdem sie mir genaustens von Leylas Op berichtet hatte. Ich war mir nicht sicher, was ich darauf antworten sollte. Es war vorbei! Julia hatte mich an Flughafen einfach im Stich gelassen. Nach all unseren Träumen, Vorbereitungen und Plänen. Wenn ich an diesen Moment dachte, hatte ich immer noch damit zu kämpfen, nicht die Fassung zu verlieren. "Julia, ich weiß nicht, worauf du hinaus willst... ", begann ich dann. "Ich bin jetzt hier und du hast dich entschlossen in Erfurt zu bleiben. Es hat keinen Sinn jetzt noch irgendein Wort darüber zu verlieren!" Mein Mund sprach diese Worte wie von alleine. Ich spürte, wie sich mein ganzer Körper verkrampfte, denn ganz tief in mir drin wusste ich, wie sehr ich diese Frau noch liebte...

*Leyla*
Alles schwarz. Da war nur so ein unangenehmes Geräusch neben mir, ein Piepsen. Gleichmäßig und ruhig. Ich blinzelte und kniff dann sofort wieder die Augen zusammen. Mir war so unglaublich schwindlig. Ein weiterer Versuch. Noch sehr benommen sah ich mich im Zimmer um und erkannte sofort wo ich war: Intensivstation. Langsam realisierte ich, was passiert war und mit einem Mal wurde das Piepsen schneller. Das Piepsen war mein Puls! Sofort fuhr ich meiner linken Hand unter die Bettdecke und tatste vorsichtig meinen Bauch ab. Da war ein dicker Verband. Sie haben mich operiert! Oh Gott, was ist mit meinem Kind!? Brennende Tränen schossen mir in die Augen. Nein, bitte nicht! Panisch schaute ich mich um, ich war aber völlig alleine hier. Mein Herz raste jetzt und der Monitor neben mir schlug Alarm. Keine zehn Sekunden später flog die Tür auf und Julia kam hereingelaufen. Nachdem sie das Warnsignal ausgestellt hatte, setzte sie sich zu mir. "Hey, willkommen zurück... alles ist gut Dr.Sherbaz", sagte sie leise und strich mir über die Schulter. Mit der anderen Hand nahm sie ihr Handy heraus und wählte eine Nummer. Ich konnte nicht aufhören zu schluchzen und bei jedem Atemzug durchbohrten mich die Schmerzen an der OP-Wunde. Ich hatte einfach nur Angst. Angst vor der Wahrheit. "Ja, sie ist wach! Komm bitte her", hörte ich Frau Berger ins Telefon sagen. "Was ist mit dem Baby?", war das einzige was ich flüsternd herausbrachte und auch das einzige, was mich in diesem Augenblick wirklich interessierte. "Dem Baby geht es gut, wir konnten es retten.", sagte Julia und lächelte mich an. Gleich darauf wurde ihre Miene aber wieder ernst. "Aber Sie haben viel Blut verloren. Sie hatten einen Blinddarmdurchbruch, Dr. Sherbaz. Die Entzündung hat sich ausgebreitet, deswegen das Fieber und die starken Schmerzen." Ich sah Frau Berger mit gerunzelter Stirn an. Wie bitte!? Wie war das möglich? Ich hatte noch nicht ganz realisiert, was ich gerade gehört hatte, da stürmte schon Ben in das Zimmer...

*Julia*
„Ich lass euch dann mal alleine. Wenn irgendetwas ist, ich bin nebenan.", sagte ich im Gehen und schloss die Tür zu Leylas Patietenzimmer hinter mir. Hoffentlich war Ben nicht zu streng mit Dr. Sherbaz, sie hatte wahrlich genug durchgemacht. Sie mussten sich jetzt wahrscheinlich erstmal aussprechen. Aussprechen, ja... das wäre schön. Niklas war vorhin nicht bereit gewesen, mit mir über all das was zwischen uns war zu reden. Er hatte „jetzt keine Zeit" dafür. Ich ließ mich im Ärztezimmer der ITS auf den Schreibtischstuhl fallen, warf noch kurz einen Blick auf die Monitore und nahm dann wieder mein Telefon in die Hand. Wie gerne würde ich Niklas' Stimme nochmal hören. Bei unseren kurzen Telefonaten heute hatte ich erst gemerkt, wie sehr ich ihn eigentlich vermisste. Seine Nähe, seine Liebe, seine Küsse. Ich hatte mich in den vergangenen Wochen so sehr in die Arbeit gestürzt, dass ich den Liebeskummer kaum mehr wahrgenommen hatte. Jetzt war er aber wieder da, mit all seiner Macht. Wie ein Sack schwere Steine lag er auf meiner Brust und nahm mit fast die Luft zum Atmen. „Julia, es hat keinen Sinn mehr mit uns, vergiss mich bitte.", das waren Niklas Worte vorhin zum Abschied. Immer und immer wieder hörte ich diesen Satz in meinem Kopf. Wie konnte er mich -konnte er uns - nur einfach so wegwerfen? Natürlich hätte ich ihm früher sagen sollen, dass ich Zweifel an der ganzen Amerika-Geschichte hatte. Aber hätte er das denn dann auch einfach so akzeptiert? Ich wischte mir eine Träne von der Wange. Nein, wahrscheinlich hätte er das nicht...

*Niklas*
Das war die letzte Patientin für heute - Gott sei Dank! Ich dokumentierte noch schnell meine Befunde und schaltete dann den PC aus. Was für ein Tag! Es hatte mich große Anstrengungen gekostet, heute immer bei der Sache zu bleiben. Meine Gedanken waren einfach gerade ganz wo anders - in Erfurt! Es plagte mich geradezu ein schlechtes Gewissen, dass ich jetzt nicht bei Leyla sein konnte. Um ihr beizustehen, um ihre Hand zu halten und einfach die Dinge zu tun, die ein bester Freund eben tut - nämlich für sie da sein! Seit ich vor 5 Jahren im JTK angefangen hatte, gab es nicht eine Situation, in der wir uns nicht gegenseitig unterstützt hatten. Immer konnte ich mit meinen Problemen zu ihr kommen und wenn ich es nicht tat, sah sie mir an, dass ich etwas auf dem Herzen hatte und fand immer die richtigen Worte, um mir zu helfen. Andersherum war es natürlich das Gleiche gewesen - nur eben heute nicht. Das tat mir so unfassbar weh!
Und dann war da Julia... ich glaube, ich hätte vorhin am Telefon nicht so direkt sein sollen. Ehrlich gesagt wusste ich auch gar nicht, weshalb ich Dinge gesagt hatte, die mir selbst einen Stich ins Herz versetzten, als ich sie hörte. Sie entsprachen nämlich in keinster Weise meinen Gefühlen zu dieser wundervollen Frau. Sehr viel hatte ich heute über das alles nachgedacht. In jeder freien Sekunde! Und mein Entschluss stand jetzt fest.
Ich atmete tief durch und stand von Schreibtisch auf, zog meinen Kittel aus und nahm meinen Rucksack aus dem Schrank. Da fiel es mir entgegen: mein Flugticket nach Leipzig. Max hatte übermorgen Geburtstag und ich wollte ihn überraschen. Arzu wusste schon Bescheid und fand die Idee großartig. Mein kleiner Schatz würde schon sechs Jahre alt werden! Unfassbar, wie schnell die Zeit doch verging...

In aller Freundschaft die jungen Ärzte - Nichts bleibt, wie es istDove le storie prendono vita. Scoprilo ora