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*Larissa*
Das ist sie also: Meine neue Wohnung. Seit dem Studium hatte ich nicht mehr allein gewohnt. Eine wirklich sehr komische Vorstellung... Aber ich freute mich sehr auf das, was vor mir lag.

Larissa Johannsen – Oberärztin!
Das klang in meinem Kopf noch ziemlich ungewohnt. Ich hatte also ein weiteres Ziel erreicht und das war ein unfassbar gutes Gefühl!

„Schatz, stellst du den Karton bitte gleich in die Küche? Ich räume ihn dann aus.", bat ich Tim, der gerade schnaufend zur Wohnungstür hinein kam.
„Mach ich! Der Transporter ist dann auch leer, wir sind fertig! Zeit für den Champus!", verkündete er lachend aber auch hörbar froh, dass er nicht noch einmal in den dritten Stock hoch laufen musste.
„Dass dieses Haus aber auch keinen Aufzug hat...", er verdrehte die Augen.
„Tim, das ist eben ein Altbau. Ein überaus hübscher dazu!" Ich sah mich um. Reine Glückssache ist das gewesen, dass ich dieses Schmuckstück hier in Erfurt gefunden hatte. Und dann auch noch nur 10 Minuten mit den Rad von meinem neuen Arbeitsplatz entfernt. Perfekt!

Tim ließ sich erschöpft auf das Sofa fallen. Ich öffnete den Champagner und schenkte uns beiden ein Glas ein.
„Auf das neue Kapitel!", sagte ich und hob das Glas. „Auf dich, Frau Oberärztin!" Mein Mann gab mir einen Kuss und wir stießen an.
„Wann geht es denn morgen bei dir los?", wollte er wissen.
„Prof. Patzelt meinte, ich soll um 7 Uhr da sein, dann zeigt sie mir alles und stellt mich den Kollegen vor. Wahnsinn, wie schnell das jetzt ging! Letzte Woche die Zusage, gestern habe ich erst den Vertrag unterschieden und morgen geht es schon los. Ich soll Leyla Sherbaz entlasten. Stell dir vor, sie bekommt noch ein Baby!", plapperte ich los.
„Sherbaz? Ach, ich weiß... Auch Anästhesistin, oder?", Tim sah mich fragend an und ich nickte.
„Ganz genau. Aber sie hat wohl mittlerweile auch noch den Facharzt in Allgemeiner Chirurgie."
Ich erinnerte mich noch genau an Leyla. Studiert hatten wir zwar nicht zusammen, sie war aber in meinem Alter. Ich kannte sie von einer Fortbildung und hatte Tim schon von ihr erzählt.

Mit einem Blick auf die Uhr stellte mein Mann sein Glas auf den Boden ab – ich hatte noch keinen Wohnzimmertisch – und seufzte. „Süße, ich muss dann los... ich muss heute noch zurückfahren wegen des Dienstes morgen...", erklärte er mir und sah mich etwas traurig an.
Ok, jetzt kam der Teil, vor dem ich am meisten Angst hatte – der Abschied von Tim.
Er war Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg und arbeitete in einer kleinen Privatklinik in München, wo wir bisher zusammen gelebt hatten. Auch wenn der Umzug nach Erfurt eine große Umstellung und ab nun eine Fernbeziehung für uns bedeutete, wollte ich die Chance einfach ergreifen endlich einen Schritt auf der Karriereleiter hinaufzusteigen.
„Gut, aber melde dich, wenn du gut daheim angekommen bist, ja?", bat ich Tim und küsste ihn. „Versprochen! Und am Freitag sehen wir uns ja wieder", er lächelte mich an und drückte mich an sich.
Wir hatten uns darauf geeinigt, so viele Wochenenden wie möglich gemeinsam zu verbringen. Nach fast acht Jahren Ehe, waren wir so gut aneinander gewöhnt, dass wir uns das anders einfach nicht vorstellen konnten. Auch wenn sich die Strecke von Erfurt nach München echt zog...

Als Tim mit dem Umzugssprinter losfuhr, hupte er noch kurz zum Gruß und dann stand ich allein an der Straße.
Ok Larissa, jetzt bloß nicht sentimental werden – du schaffst das! Ich atmete tief durch und sah in den Himmel. Keine einzige Wolke! Erfurt begrüßte mich also mit einem Bombenwetter.

Ich wollte gerade wieder in meine Wohnung zurück, da hörte ich zuerst das Quietschen von Reifen und dann einen scheppernden Knall. Oh nein, bitte nicht... Etwa 10 m von mir entfernt, sah ich eine Fahrradfahrerin am Boden liegen. Regungslos, ohne Helm. Neben ihrem Kopf bildete sich bereits eine Blutlache und sickerte über den Asphalt.
Vor ihr stand ein Kleinwagen, dessen Fahrertür sich langsam öffnete und eine ältere Dame war zu erkennen, die völlig schockiert ausstieg.
Ohne lange zu überlegen rannte ich zum Unfallort und kniete mich neben die junge Radfahrerin.
„Hallo? Hallo, können Sie mich hören?" Ich tätschelte ihre Wange. Nichts!
Sogleich wandte ich mich an die Autofahrerin – sonst war keine Menschenseele hier unterwegs.
„Rufen Sie die 112 an – und zwar schnell, die Frau muss dringend ins Krankenhaus!", wies ich sie an. Sie sah mich zunächst wie in Trance an, kramte dann aber ihr Mobiltelefon aus der Tasche und tat, was ich ihr gesagt hatte.
Behutsam drehte ich das Unfallopfer auf den Rücken und hielt mein Ohr an ihren Mund, um zu überprüfen, ob sie noch atmete. Doch da war nichts! Einen Puls konnte ich auch nicht finden, also begann ich sofort mit der Wiederbelebung.
Peripher nahm ich wahr, dass die ältere Dame auf uns zukam.
„Sie ist mir einfach vor die Motorhaube gefahren! Ich konnte nicht mehr bremsen! Oh nein, was ist mit ihr!?", fragte sie mich völlig hysterisch. Ich war mit der Herzdruckmassage beschäftigt und wirklich nicht in der Stimmung für Erklärungen. „Sie sehen doch, was mit ihr ist!", blaffte ich die Frau an. „Ihr Herz schlägt nicht! Sie ist auf den Kopf gefallen, wir können nur hoffen, dass ich sie wiederholen kann!", rief ich dann doch, schon völlig außer Atem.
Das viele Treppenlaufen von vorhin steckte mir noch in den Knochen. Trotzdem sah ich kurz zu der Dame, die an die rauchende Motorhaube gelehnt dastand und die Verunglückte anstarrte. Zum Glück sah sie auf den ersten Blick unverletzt aus.

„Wo bringen Sie sie hin?", wollte ich von der Notärztin wissen, nachdem sie und der Rettungsassistent die junge Frau in den RTW geladen hatten. „Ins JTK!", rief sie mir zu, während sie zu der Patientin einstieg. „Stopp! Nehmen Sie mich mit! Ich bin dort auch Ärztin!", entgegnete ich und stieg, ohne auch nur auf eine Antwort zu warten mit in den Rettungswagen ein, um die Vitalparameter der Patientin im Auge zu behalten. „Ähm, ok!?", hörte ich nur noch von der jungen Ärztin, bevor auch schon der Motor startete und wir losfuhren.
Durch meine Wiederbelebungsmaßnahmen hatte das Unfallopfer wieder einen Puls.
Tja, da sehe ich jetzt wohl meine neuen Kollegen schneller als gedacht!

„Hallo, ich bin Dr. Larissa Johannsen.", stellte ich mich vor und streckte der verwirrt blickenden Ärztin die Hand hin. „Dr. Theresa Koshka...", kam ihre zögerliche Antwort. „Ach, sind Sie etwa unsere neue Oberärztin!?", fragte sie dann plötzlich und musste lächeln.
„So ist es! Und eigentlich wollte ich mich auch erst morgen in Ruhe bei allen vorstellen... aber manchmal kommt es eben anders, als man denkt", antwortete ich mit einem Augenzwinkern und wand mich dann wieder unserer Patientin zu.

In aller Freundschaft die jungen Ärzte - Nichts bleibt, wie es istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt