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*Leyla*
"Herr Rantala, ich weiß nicht, wie Herr Winkler gleich reagieren wird... wichtig ist, auf ihn einzugehen und zu versuchen eine Vertrauensbasis aufzubauen.", erklärte ich meinem jungen Kollegen, während wir über die Station liefen. Mikko nickte und wirkte etwas aufgeregt. Es war sein erstes so ernstes Aufklärungsgespräch. "Hören Sie mir einfach zu, wir werden hinterher noch darüber sprechen, in Ordnung?", bot ich ihm an, bevor ich an die Zimmertür des Patienten klopfte und wir eintraten.
"Guten Tag Herr Winkler! Ich bin Dr. Sherbaz und das ist Herr Rantala, einer unserer Assistenzärzte.", begrüßte ich den älteren Herrn, der am Tisch neben seinem Bett saß und gerade mit Kreuzworträtseln beschäftigt war. Er lachte uns an, stand auf und schüttelte uns die Hand. "Frau Doktor... was ist jetzt mit meiner Lunge? Niemand kann mir Auskunft geben!", wollte er sogleich wissen. Ich zögerte kurz, dann bat ich den Patienten, sich wieder zu setzen und nahm selbst ihm gegenüber Platz. "Herr Winkler, es ist so... wir haben ja gestern bei Ihnen eine CT Untersuchung und eine Bronchoskopie durchgeführt.", ich sah dem Patienten in die Augen, die mich voller Sorge anblickten. "Leider haben wir einen Tumor entdeckt. Ihre Atembeschwerden und der ständige Husten, kamen also nicht nur von einer verschleppten Grippe.", fuhr ich dann mit ernster Stimme fort. Die Augen von Herrn Winkler wurden groß, gleich darauf sammelten sich Tränen in Ihnen und er blicke zum Boden. "Dr.Sherbaz... ist es Krebs?", fragte er dann ganz ruhig. "Das können wir mit Sicherheit leider erst morgen nach der Operation ausschließen. Wir möchten den Tumor operativ entfernen.", erklärte ich ihm dann weiter. "Das Problem an der Sache ist allerdings, dass das Gebilde sehr nah an einer der Lungenarterien sitzt und die Operation dementsprechend kompliziert sein wird.", klärte ich Herrn Winkler dann auf. Tränen liefen dem älteren Herrn über die Wangen und Mikko, der hinter mir auf dem freien Bett saß zückte sofort eine Packung Taschentücher.
Der Grad zwischen Triumph und Tragödie war in der Tumorchirugie manchmal nur einige Millimeter breit. Ich hatte nun selbst einen Kloß im Hals, denn ich wusste eigentlich, dass es sich bei dem Tumor mit ziemlicher Sicherheit um Krebs handeln würde...

*Leyla*
Ich hatte dem Patienten die komplette Operation, die morgen auf ihn zukommen würde erklärt und dabei versucht, ihn etwas zu beruhigen. "Dr. Sherbaz, meine Frau ist vor 2 Jahren an einem Schlaganfall gestorben und unser Sohn lebt in Amerika. Ich bin also ganz alleine hier.", erklärte mir Herr Winkler unter Tränen. "Ich hatte ein erfülltes Leben...", er nahm meine Hand. "Danke, dass Sie so ehrlich zu mir waren und ich jetzt endlich weiß, was mit mir los ist.", fuhr er dann fort. "Werden Sie mich morgen operieren?". Ich hatte einen Kloß im Hals. Natürlich würde ich nicht dabei sein können. "Herr Winkler, sie OP wird einer unserer erfahrensten Onkologen durchführen. Dr. Lindner ist heute nur leider nicht im Haus, deshalb habe ich Ihre Aufklärung übernommen.", antwortete ich dann und war selbst überrascht als ich merkte, dass meine Stimme zitterte. Ich predigte immer allen Assistenzärzten, dass sie die Schicksale der Patienten bloß nicht zu nah an sich heran lassen sollten und jetzt sowas - Diese blöden Hormone!
Ich schluckte und zog behutsam meine Hand weg. "Haben Sie denn noch Fragen zu morgen?", wollte ich dann wissen und räusperte mich, um das bedrückende Gefühl in meiner Brust loszuwerden. Herr Winkler schüttelte langsam den Kopf und senkte wieder den Blick. "Danke trotzdem, Frau Dr. Sherbaz.", flüsterte er nur, bevor Mikko und ich das Zimmer wieder verließen. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, lehnte ich mich kurz an die Wand daneben, schloss die Augen und atmete tief durch. Mikko sah mich etwas irritiert an und wusste nicht genau, was er tun sollte. "Dr. Sherbaz, ist alles ok?", fragte er mich dann vorsichtig. Auch ihn hatte das Gespräch sichtlich berührt.
Reiß dich zusammen Leyla! "Alles in Ordnung!", antwortete ich dann und fuhr mir über das Gesicht. "Ich brauche nur eine kurze Pause. Treffen wir uns in zehn Minuten am Counter? Dann können wir nochmal über den Fall sprechen, ok?", schlug ich Herrn Rantala vor, klemmte mir die Patientenakte unter den Arm und lief los, ohne eine Antwort abzuwarten...

*Leyla*
Ich wusste, dass der Tumor von Herrn Winkler mit Sicherheit bösartig sein würde. Wenn dem so war, hatte er eine sehr anstrengende Therapie vor sich und wenn es hoch kam noch eine Lebenserwartung von 2 Jahren. In der Anamnese des Patienten hatte ich gelesen, dass er nie geraucht hatte, was sonst der Hauptrisikofaktor für diese Art von Krebs war. Die Welt war manchmal einfach nur grausam und ungerecht... ich lief zur Damentoilette, um einen kleinen Augenblick einfach allein sein zu können. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurück halten. Ich war ein emotionaler Mensch, schon immer! Aber dass ich jetzt wegen eines Patientenschicksals weinte, war neu. Eine Schwangerschaft setzt nicht nur dem Körper zu, sondern kann einen auch psychisch manchmal an seine Grenzen bringen. Ich putze mir die Nase und wusch mir kurz das Gesicht. Na großartig - meine Wimperntusche war scheinbar doch nicht so wasserdicht, wie auf der Packung stand... schnell versuchte ich das Schlamassel zu beseitigen, um nicht wie ein Panda durch die Flure laufen zu müssen. Ich atmete tief durch und versuchte nicht mehr an Herrn Winkler und seine Einsamkeit zu denken. „Herr Rantala, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir morgen nochmal über das Aufklärungsgespräch reden? Ich fühle mich ehrlich gesagt nicht so gut und würde gerne pünktlich nach Hause gehen.", erklärte ich Mikko, als er mir wie eigentlich ausgemacht am Stationscounter entgegenkam. „Nein, natürlich nicht - gar kein Problem! Bis morgen, Dr.Sherbaz!", verabschiedete er sich von mir. Ich erwiderte seinen Gruß nur mit einem Lächeln.

*Ben*
Ich sah auf die Uhr. Leyla brauchte ungefähr 15 Minuten von der Klinik nach Hause und hatte mir eben geschrieben, dass sie jetzt losfahren würde. Schnell schaltete ich den Herd an, um das Wasser für die Nudeln zum Kochen zu bringen. Auch wenn ich kein 4-Gänge Menü zaubern konnte, waren meine Penne all'arrabbiata wenigstens mit sehr viel Liebe zubereitet. Der Tisch war gedeckt und ich hatte sogar ein paar Kerzen angezündet. Ich wollte meiner Liebsten einfach etwas Gutes tun, weil ich genau wusste, wie sehr sie sich im Moment ins Zeug legte. Ich hatte gerade unsere Lieblingsplaylist eingeschaltet, als ich schon den Schlüssel im Schloss hörte. „Sonnenschein! Da bist du ja schon!", begrüßte ich Leyla und lief zur Tür. Sie sah so müde aus. Ich nahm ihr die Tasche ab und wir küssten und umarmten uns. „Wie war dein Tag?", wollte ich dann von ihr wissen. Und streichelte ihr über die dunklen Haare. „Ben, lass uns heute bitte erstmal nicht von der Arbeit reden... was durftet hier denn so toll?", fragte Leyla und lief in die Küche. „Wow, du hast ja alles schon vorbereitet!", stellte sie dann überrascht fest. „Na ich hab' doch versprochen, dass ich heute für dich koche!", antwortete ich und umarmte sie von hinten, während Leyla neugierig in die Töpfe schaute. Sie wandte mir ihren Kopf zu und flüsterte mir ein „Ich liebe dich!" ins Ohr. Ich küsste sie auf die Stirn und bat sie, sich zu setzen. Heute wollte ich sie einfach verwöhnen und sie so gut wie möglich von all dem Stress ablenken. Das hatte sie sich einfach verdient...

*Leyla*
Das erste Mal heute wurde mir beim Anblick von Essen nicht schlecht. Das wäre auch einfach unfair Ben gegenüber gewesen, so viel Mühe wie er sich gegeben hatte. Er verteilte sorgfältig die Nudeln auf unseren Tellern und gab anschließend die Soße darüber. Auch wenn ich normalerweise nicht gerne scharfe Sachen aß, Bens Pasta all'arrabbiata einfach war super! Jetzt merkte ich erst, wie hungrig ich eigentlich gewesen war. Kein Wunder, denn mein Magen war auch so gut wie leer. Wir sprachen über Bens Doktorarbeit, an der er heute - an seinem freien Tag - weitergearbeitet hatte. Bald würde er Matteo den ersten Teil zum Begutachten geben können. Ich war so stolz auf ihn. Als wir fertig gegessen und den Tisch abgeräumt hatten, machten wir es uns auf dem Sofa gemütlich. „Sag mal Ben... was ist denn das für ein Buch?", ich sah ihn fragend an und hielt ihm ein Buch, was auf dem Couchtisch lag entgegen. Als ich den Titel laß war ich gleichermaßen belustigt und berührt. „Endlich Papa - die besten Ratschläge für werdende Väter" stand auf dem Cover. Ben nahm mir das Buch aus der Hand und schämte sich sichtlich dafür. „Das ist Fachliteratur!", erklärte er mir dann grinsend und legte den Ratgeber zu Seite. „Ich habe da ja im Gegensatz zu dir noch nicht so viel Erfahrung...", fuhr er dann fort. „Quatsch, du wirst das prima machen! Mit Mira hat es doch auch schon sehr gut geklappt.", entgegnete ich und kuschelte mich an ihn. Ich freute mich einfach so sehr auf unsere Zeit zu dritt und hoffte inständig, dass meine Schwangerschaft weiterhin komplikationslos bleiben würde. Dann würde ich sogar Übelkeit und Stimmungsschwankungen gerne in Kauf nehmen!

In aller Freundschaft die jungen Ärzte - Nichts bleibt, wie es istWhere stories live. Discover now