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*Ben*
Ich hatte Leyla alles an den Kopf geknallt, was mir auf dem Herzen lag. Schonungslos alles! Dass ich ihr Verhalten absolut nicht nachvollziehen konnte, dass ich mir nicht sicher war, ob sie mir überhaupt noch vertraut und dass sie einfach nur unverantwortlich war. Jetzt saß ich neben ihr am Bett, war richtig außer Atmen und wusste nicht genau, was ich tun sollte. Ich sah sie einfach nur an, diese wunderschöne Frau. Sie lag da - ganz still - den Kopf von mir weggedreht, die verweinten Augen geschlossen. Unzählige Kabel und Schläuche führen in ihren erschöpften Körper. Sie war vollgepumpt mit Medikamenten, die sie und das Baby am Leben hielten und gesund machen sollten. Ihre dunklen Locken fielen ihr ständig ins Gesicht. Und doch: sie war so verdammt schön!
Wieso hatte ich das getan?! Wieso hatte ich sie gerade jetzt so angeschrien? „Leyla ich...", begann ich dann und rutschte etwas näher an sie heran. „Schon gut Ben", flüsterte sie ohne die Augen zu öffnen. „Du hast recht. Ich weiß absolut nicht, warum ich nichts gesagt habe. Ich wollte einfach nur funktionieren, verstehst du?", jetzt sah sie mich an. „Niemals wollte ich dir damit weh tun oder Dir das Gefühl geben, dass ich dir nicht vertraue, bitte glaub mir das!"

*Leyla*
Ich nahm Bens Hand. „Ich verspreche dir, dir nie wieder irgendetwas zu verheimlichen.", sagte ich mit leiser Stimme und blickte meinem Freund dabei tief in die Augen. Seine Wut hatte sich scheinbar gelegt und seine Gesichtszüge wurden wieder entspannter. Sanft drückte er meine Hand und legte dann seinen Kopf an meine Schulter. „Ich wollte dich nicht so anschreien. Aber du weißt gar nicht, was ich mir für Sorgen um dich und die Bohne gemacht habe!", erklärte er mir dann. Ich liebte diesen Mann so sehr! So sehr, dass es mich fast verrückt machte wenn ich daran dachte, dass ich ihm solche Qualen bereitet hatte. Das war wirklich das letzte, was ich beabsichtigt hatte. Ben hob den Kopf und sah mich an. „Hast du noch Schmerzen? Kann ich dir irgendwas bringen?", fragte er und richtete sich wieder auf. „Es tut schon noch ganz schön weh...", gab ich dann zu „und ich habe so einen Durst.". Ben stand auf, sah kurz in meiner Akte nach, welche Medikamente Matteo verordnet hatte und gab mir dann noch etwas gegen die Schmerzen. Die Wirkung trat sofort ein und ich wurde wieder in ein dumpfes, schweres Gefühl eingehüllt. Aber es half!
„Gut mein Schatz, ich hole dir etwas Wasser und bin dann gleich wieder da. Ruh' dich schön aus!". Er küsste mich vorsichtig, bevor er das Zimmer verließ und ich wieder einschlummerte.

*Vivienne*
"Ben, hey...!", rief ich meinem Kollegen hinterher, als ich ihn vor mir im Glasgang laufen sah. Er stoppte, drehte sich um und wartete, bis ich ihn erreicht hatte. "Wie geht es Dr.Sherbaz? Ist sie wach?", wollte ich sofort von ihm wissen. Als wir erfahren hatten, dass unsere Ausbilderin im OP lag, waren wir alle ziemlich geschockt. Jeder machte sich Sorgen um die Oberärztin, weil wir sie wirklich sehr mochten uns schätzten. Ich hatte mir aber ja schon länger gedacht, dass etwas mit ihr nicht stimmte und auch Mikkos Gefühl hatte ihn nicht getäuscht. "Sie ist wach, ja.", erzählte mir Ben und mir fiel direkt ein Stein vom Herzen. "Noch sehr schlapp, aber sie und das Kind leben und das ist alles, was gerade zählt", fuhr er fort. Ich merke jetzt erst, wie fertig Ben aussah. Er musste unfassbar schlimme Stunden der Ungewissheit durchgemacht haben. Unvermittelt fiel ich ihm um den Hals und drückte ihn an mich. Er erwiderte meine Umarmung. "Danke, Vivi.", sagte er leise.
Auch wenn jetzt vielleicht nicht der beste Zeitpunkt war, um meinen Kollegen die neusten Ereignisse in meinem Leben mitzuteilen, konnte ich es einfach nicht mehr für mich behalten: "Ben... ich muss dir was sagen. Julia weiß es auch schon - Ich habe gekündigt."...

*Julia*
„Julchen... kannst du denn nicht nochmal mit ihr reden?", fragte mich mein Vater und sah mich mit seinem Hundeblick an. Ich verdrehte die Augen. „Papa, es ist ganz allein die Entscheidung von Vivi, wo sie hingehen und in Zukunft arbeiten möchte.", stellte ich dann klar. „Und wenn sie für sich in Hamburg bei Dr. Ruhland die besten Chancen für sich sieht, dann soll sie dort auch ihr Glück finden.". Keine Frage - ich fand es auch unfassbar schade, dass Vivienne und verlassen würde. So viel hatten wir schon gemeinsam erlebt, hatten zusammen gelacht und geweint. Sie hatte immer ein offener Ohr für mich. „Aber wie sollen wir denn jetzt so schnell Ersatz für sie finden?", jammerte mein Vater und stützte seinen Kopf in die Hände. Er hatte mich in sein großes Büro zitiert, um mit mir über seine Personalsorgen zu sprechen. „ich hoffe nur, dass Dr.Sherbaz schnell wieder einsatzbereit ist!", sprach er dann weiter. Das konnte er doch gerade nicht ernst meinen! Leyla war noch nicht über den Berg und er dachte schon wieder darüber nach, wann sie als Ausbilderin zurück kam. „Dr.Sherbaz hatte Glück, dass sie heute nicht gestorben ist, Papa!", platzte es dann aus mir heraus. „Ich als ihre Ärztin werde ihr darüberhinaus bis zum Ende der Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot erteilen. Sie wird auf gar keinen Fall mehr arbeiten, bis ihr Kind auf der Welt ist.", eröffnete ich dann meinem Vater. Er sah mich mit großen Augen an. „Das kannst du nicht machen Julia! Wie soll es denn dann hier weiter gehen? Es hat nämlich noch jemand gekündigt..."

*Niklas*
Es war der nächste Morgen und ich war gerade dabei meine Sachen zu packen. Fein säuberlich legte ich die noch von meiner Ankunft zusammengelegten Polos und Hemden in den großen Koffer. Das Auspacken hatte sich ja fast gar nicht gelohnt... Ich hatte die ganze Nacht nachgedacht und war dementsprechend noch ziemlich verschlafen. Aber in Anbetracht der Tatsache dass ich einen langen Flug vor mir hatte, war das gar nicht so dramatisch - ich konnte ja dann im Flieger ein wenig dösen. In einer halben Stunde würde mein Taxi schon kommen und ich freute mich wirklich darauf, Max' strahlende Kinderaugen zu sehen, wenn ich an seinem Geburtstag plötzlich vor ihm stand. Ich vermisste diesen kleinen Mann einfach immer so sehr.
Die Sonne strahlte schon wieder über San Francisco, als ich mich nach dem Packen mit einer Tasse Kaffee auf den Balkon stellte und die Morgenluft einatmete. Gestern Abend hatte ich noch mit Leyla telefoniert und mir alles von ihr erzählen lassen. Ihre größte Sorge war, dass Julia ihr bis zum Ende der Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen hatte. Wie das denn gehen sollte und was denn die Assistenzärzte denken würden, wenn sie sie schon wieder im Stich lassen würde. Oh man Leyla... sie dachte einfach ein wenig zu oft an andere, als an sich. Ich nahm einen Schluck aus der Tasse und der heiße Kaffee belebte ein wenig meinen müden Körper. Von meinen weiteren Lebensplänen hatte ich Leyla gestern aber noch nichts erzählt, denn das wollte ich unbedingt persönlich machen...

*Larissa*
Gedankenverloren nippte ich an meinem Kaffee. „Na Frau Kollegin? Tun Sie mal wieder das, was Anästhesisten am besten können?", fragte Matteo mit seinem üblichen sarkastischen Unterton, zeigte auf die Kaffeetasse und setzte sich neben mich. Die Cafeteria war gerade gut besucht und somit hatte er keine andere Wahl, als sich einen Platz an meinem Tisch zu suchen. „So sieht es aus...", gab ich zurück und schaute ins Leere. Dr.Moreau runzelte die Stirn. „Wie? Keine Spitze Retourkutsche, kein zickiger Kommentar?!", er sah mich etwas verdutzt an. Wir hatten uns die letzten Tage doch ganz gut arrangiert und mittlerweile kam ich mit seiner Art gut klar. Und doch... das reichte einfach nicht. „Matteo, ich werde Erfurt wieder verlassen.", sagte ich dann völlig unvermittelt und nahm einen Schluck aus der Tasse. „Wie bitte!?", platzte es aus meinem Kollegen heraus. „Das ist nicht dein Ernst! Wie kannst du das nach 2 Wochen hier schon entscheiden!?" Ich schüttelte den Kopf. „Ich fühle mich einfach nicht wohl hier... außerdem habe ich wahnsinnige Sehnsucht nach Tim und meinen Freunden in München... hier habe ich doch keinen", gab ich dann etwas wehmütig zu. „Die einzige, mit der ich mich gut verstanden habe, ist deine Schwester. Und die geht ja jetzt auch."
In diesem Moment verschluckte sich Matteo an seiner Cola und bekam einen Hustenanfall. „Wie bitte!?!", entfuhr es ihm dann und er sah mich fast panisch an...

In aller Freundschaft die jungen Ärzte - Nichts bleibt, wie es istWhere stories live. Discover now