Familie

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Avis war gerade auf dem Weg zum Frühstück, als Tim ihn einholte. Der Tiger überholte ihn und legte einen rückwärts Jog ein, während er einige Meter vor seinem Mitbewohner her lief. "Bist gestern spät zurück gewesen?" "Irgendwann nach 1 Uhr, konnte auch fast 2 Gewesen sein." Sein noch immer müdes Vogelhirn kramte die Erinnerungen an den letzten Tag hervor... Verdammt. Lag Frederic noch immer in seinem Auto? "Hey Tim. Geh schonmal vor. Ich muss noch kurz was nachschauen." "Aber beeil dich. Ich glaube du möchtest vor der Vorlesung noch was Essen." Tim beschleunigte seinen Schritt, drehte sich mit einer flüssigen Bewegung um und joggte weiter in Richtung der Mensa. Avis machte kehrt und lief zurück zum Wohnheim. Sein Auto stand noch immer auf dem Parkplatz. Frederic war verschwunden. Die Decke und das Kissen lagen unordentlich auf der Rückbank. Daran hing ein kleiner Zettel. "Danke und Sorry. Mach dir keine Sorgen, ich find den Weg allein nach Hause. Hoffentlich." Etwas erleichtert machte Avis sich auf dem Weg zur Mensa, dabei rannte er, fast, über den Kiesweg, um vor der ersten Vorlesung wenigstens noch irgendetwas zu Essen zu bekommen. Das Bettzeug würde er später wegräumen... falls er es nicht vergaß. Er stürmte in das überfüllte Gebäude, sprintete an der langen Schlange vor der Theke vorbei und drängelte sich nahe der Theke zwischen einen Elefanten und ein Nashorn. Eine schlechte Idee, denn bevor die beiden ihn bemerkten, hatten sie ihn bereits zerquetscht. "Hey pass doch auf!" fuhr der Elefant das Nashorn an und zog Avis mit seinem Rüssel zur Seite. "Der hat sich einfach rein gedrängelt." verteidigte sich das Nashorn, doch der Elefant war mehr als einen Kopf größer wie er. "Lass den kleinen in Ruhe. Wenn du Ärger willst, leg dich mit jemandem in deiner Größe an." Dabei hob der Elefant den Rüssel und drohte mit seinen Stoßzähnen, die er zwar hatte absägen lassen, aber immer noch gefährlich wirkten. Der andere Dickheuter wich zurück, wobei er beinahe die in der Schlange hinter ihm Wartenden nieder walzte. Avis nutzte die aufkommende Verwirrung, um an dem Elefanten vorbei und direkt zur Ausgabetheke zu schlüpfen. Mit einem voll beladenen Tablett suchte er sich einen freien Platz. Und fand ihn. Neben Tim, Marcus und tatsächlich auch Terrence. Der Salamander saß zusammengesunken neben seinem Fuchs-Freund und hatte sich gegen dessen Schulter gelehnt. Das Essen auf seinem Tablett hatte er kaum angerührt. Marcus führte eine intensive Diskussion mit Tim, wobei er jedoch immer wieder kurz unterbrach und nach seinem Salamander-Freund schaute. Avis verzehrte sein Essen zügig, wobei er immer wieder einen Blick auf die große Uhr an der Wand der Mensa warf. Als sie zum Unterricht aufbrachen, schüttete Terrence das Essen auf seinem Tablett in den nächsten Mülleimer, bevor er sich mit den anderen auf den Weg machte.

Die Vorlesung kroch langsam voran. Sehr langsam. Avis stellte schnell die Vermutung auf, dass die Gepardin, die die Vorlesung hielt, eine Magierin sein musste, die die Fähigkeit besaß, die Zeit ewig zu strecken. Das zeigte sich jedoch nicht darin, dass die Zeit vor langeweile nicht verging, sondern, dass sie es schaffte in zwei Stunden Stoff durch zu nehmen, für den andere Professoren ein ganzes Semester gebraucht hätten. Immer, wenn Avis glaubte, der Unterricht müsste sich bald dem Ende nähern und er einen kurzen Blick auf die Uhr warf, musste er feststellen, dass nur wenige Minuten vergangen waren, in denen die Raubkatze weitere 5 bis 7 Folien ihrer Präsentation durchgegangen war. Dabei widersetzte sie sich aktiv dem Klischee, Geparden hätten keine Ausdauer und arbeitet sich mit einem konstanten Tempo durch die zum Teil, recht komplexen Sachverhalte. Neben Avis Block, auf dem er sich Notizen machte, stapelten sich die vollgeschriebenen Seiten. Um ihn herum erfüllte das Kratzen von Stiften und das klappern von Tasten den Raum. Auf dem Platz neben Avis saß wie meistens Marcus, der sich zwar auch Notizen machte, dabei jedoch nur einzelne Stichworte notierte, zu Themen, die er später Nachlernen würde. Es war bis jetzt nicht ganz eine halbe Seite. Demonstrativ riss er sein Maul zu einem langgezogenen Gähnen auf, wobei er demonstrativ sein Raubtiergebiss entblößte. Mit einem gut hörbaren Knacken, schnappte sein Kiefer wieder zusammen. Dann wandte er sich Terrence zu, der neben ihm saß und hektisch auf seinem Laptop herum tippte. Seine Augen waren fest auf den Bildschirm seines Laptops fokussiert, doch Avis konnte kaum etwas erkennen, da das Bild für ihn stark flackerte. Es war auch einer der Gründe, warum Avis im gegensatz zu den meisten keinen Laptop besaß. Eine kurze Recherche nach Notebooks mit flimmer armen Bildschirmen hatte schnell zu der Entscheidung geführt, die Notizen wenigstens vorerst weiter auf Papier zu machen. Außerdem, Avis wusste nicht genau warum, mochte er das Gefühl, echtes Papier in den Händen zu haben. Beim Arbeiten mit Digitalen Dokumenten überkam ihn etwas, dass am ehesten mit Platzangst vergleichbar war. Er musste sie schnell umsortieren oder mit bunten Filzstiften und kleinen Zetteln Markierungen und Anmerkungen daran anzubringen, oder Notizen darauf kritzeln können. Die Papierberge in seinem Zimmer mochten für andere wie ein absolutes Chaos wirkten, doch herrschte in wirklichkeite eine feine, fragile Ordnung, ein System, das es Avis erlaubte in erstaunlicher Geschwindigkeit darin Dinge zu finden... Die Vorlesung war zu Ende. Avis schnappte den Papierstapel und stopfte ihn in seine Tasche. Der Saal füllte sich mit Lärm, während die anderen Studenten ebenfalls ihre Notizen und Laptops weg packten. Das Rascheln von Fell, Federn und Schuppen, das kratzen von Krallen und ähnliche Geräusche übertönten die Ansage, die gerade aus den Lautsprechern dröhnte. Außer den Studenten, die sich direkt unter den Lautsprechern aufhielt, verstand niemand etwas, außer vielleicht einzelne, zusammenhanglose Wortfetzen. Avis glaubte Terrence Namen gehört zu haben, doch war er sich sicher, sich verhört zu haben. Die zweite Durchsage hörte er jedoch deutlich: "Avis Jay. Bitte im Sekretariat melden." Er schaute sich kurz um. Marcus und Terrence waren verschwunden. Tim schaute ihn verwundert an. "Was haste Angestellt?" "Keine Ahnung!" verteidigte sich Avis.

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