Absturz

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Es war Montag Morgen. 7:30. Der Wecker seines Smartphones riss Avis aus dem Schlaf. Die Augen noch immer geschlossen tastete er auf seinem Nachttisch danach. Das Gerät spielte weiter die ersten Takte von "The Path to the Skies", von Avian Aviators, während Avis Hand sich auf der Suche danach durch Papierstapel wühlte. Nach der dritten Wiederholung fand Avis das Gerät, zog es aus dem Chaos und stellte den Alarm ab. Sein Kopf fiel zurück ins Kissen. Er schloss die Augen. Tims lauts Schnarchen war das einzige Geräusch im Raum. Ein Teil von Avis wollte einfach liegen bleiben, auch wenn an weiterschlafen war wegen Tim kaum zu denken war. Doch die leise Stimme in seinem Hinterkopf, von dem Avis vermutete, dass es sein Gewissen war, drängte ihn dazu aufzustehen. Sein Bein machte sich langsam auf den Weg in Richtung Bettkante. Langsam richtete Avis sich auf und schüttelte sein Gefieder. Ein kleine Staubwolke breitete sich um ihn herum im Raum aus. Der feine Puder zog in seine Lungen und entlockte Avis ein krampfhaftes Husten. Aus Tims Richtung kam ein leises Knurren. Der Tiger drehte sich mit dem Kopf in Richtung Wand und schlief weiter. Der glückliche. Avis Fuße hatte inzwischen die Kante des Bettes überquert und kippte in Richtung des Fußbodens. Etwas knirschte unter seiner Kralle. Langsam zog das Bein den Rest des Körpers hinterher. Halb schlafwandelnd machte sein Unterkörper sich auf den Weg in Richtung Duschen. Dabei zog er seinen Oberkörper hinterher. Als er an seinem Schrank vorbeikam, zog sein linker Arm ein Handtuch, dass über der halb offenen Tür hing, herunter und schleifte es hinter ihnen her. Auf dem Weg durch den Gang musste er wie ein Zombie wirken. Ein Zombie Vogel. Erst unter der Dusche erwachte nach und nach auch der Rest seines Körpers. Zuletzt das bisschen Verstand, dass er heute morgen benötigen würde. Als er ins Zimmer zurückkehrte saß Tim aufrecht im Bett. Seine Augen waren geschlossen. "Meditierst du?" fragte Avis, während er Klamotten für den Tag zusammen suchte. Irgendwann die nächsten Tage würde er mal wieder Waschen müssen. Er wartete noch eine Minute, doch Tim antwortete ihm nicht. Da inzwischen wenigstens die wichtigsten Grundfunktionen seines Verstandes funktionierten, machte er sich auf den Weg in Richtung Mensa. Trotz der Sonne, die langsam über das Gelände kroch, war es kalt. Auf dem Gras glitzerte Eis des Morgentaus. Er erreichte den grauen Klotz im Zentrum der FH. Heute saß niemand an den Tischen vor dem Gebäude. Der Wind hatte auch die letzten ins Innere getrieben. Auch Marcus. Er saß an einem Tisch mit mehreren anderen Studenten, von denen Avis jedoch keinen einzigen kannte. Terrence war nirgends zu sehen. Seltsam. Nachdem Avis sich sein Frühstück geholt hatte, heute ohne Müsli, für diesen Luxus reichte die Zeit einfach nicht, setzte er sich zu Marcus an den Tisch. "Morgen Avis" er klang besorgt. "Morgen... wo ist Terrence." Es war ungewöhnlich den Fuchs ohne seinen Salamander Freund zu sehen. "Sitzt bei der Krankenschwester. Hab ihn vorhin hin gebracht."

Der Salamander hatte heute Morgen anscheinend einen Blackout gehabt. War kurz nach dem Aufstehen einfach umgekippt. Marcus hatte ihn zur Krankenschwester getragen. Terrence war zwar einen Kopf kleiner wie der Rotfuch, trotzdem war das Gewicht der Amphibie nicht zu unterschätzen. "Du hast ihn bis zum Center getragen?" Von den Wohnheimen bis zum Verwaltungsgebäude waren es fast 800 Meter. "Und in den 3. Stock" ergänzte Marcus. "Und? Was hat die Doc gesagt?" "Nichts. Verdammter Datenschutz. Die müssen das auch immer so genau nehmen." Marcus regte sich darüber auf, dass jemand sich an Gesetze hielt? Das allein war normalerweise schon ein Grund besorgt zu sein. Wäre es nicht um etwas so ernstes gegangen, hätte Avis Marcus vermutlich damit aufgezogen, doch die Situation und die Verzweiflung und Sorge in Marcus Stimme, erstickten jeglichen Keim von Humor in Avis. Ein Weile saßen sie sich schweigend Gegenüber und aßen ihr Frühstück. Wobei eigentlich nur Avis wirklich etwas zu sich nahm. Marcus starrte nur auf den Teller und stocherte etwas darin herum. Dann war es auch schon Zeit für die erste Vorlesung des Tages. Doch während Avis aufstand um sich auf den Weg zu Gebäude 3 zu machen, blieb Marcus sitzen. "Wenn jemand fragt. Ich komm heute nicht." murmelte er. Avis fühlte mit seinem Freund mit, doch konnte er es sich im Gegensatz zu ihm nicht leisten, diese Vorlesung zu verpassen. "Es ist bestimmt nichts ernstes. Vielleicht hat er den Abend gestern nicht so gut vertragen." versuchte Avis noch Marcus etwas auf zu muntern, bevor er aus der Mensa stürmte. Er rannte quer über den Rasen auf den großen Kasten zu, in dem die Wirtschaftsfakultät untergebracht war. Das Gras, der Tau und vertrocknete Blätter knirschten unter seinen Schuhen und auch nachdem er die Grün-, oder zur zeit eher Braunfläche, verlassen hatte, hinterließ er noch Nasse Schuhabdrücke und das eine oder andere Blatt auf dem Teer des Weges. Er drückte einen Flügel der schweren Eingangstür auf und schlüpfte ins Innere des Gebäudes. In den breiten Gängen war es nur wenige Grad wärmer wie außerhalb, gerade genug, dass man den Unterschied spüren konnte. Als Avis den Vorlesungssaal betrat saßen die meisten anderen Studenten bereits auf ihren Plätzen. Professor Klein stand bereits am hinteren Ende des Raums. Der alte Retriever lief langsam auf und ab und traf dabei die letzten Vorbereitungen für die Vorlesung. Was in seinem Fall bedeutete, das Wort Script noch einmal durchzugehen und zu überprüfen ob alle Seiten in der richtigen Reihenfolge waren. Es war bei ihm schon des Öfteren vorgekommen, dass das Eine oder Andere durcheinander gekommen war. Meist fiel das während der Vorlesung niemandem auf, da es eh kaum jemanden gab der versuchte und es auch schaffte seinen Vorträgen zu folgen. Doch seit die FH viele der Vorlesungen aufzeichnete und online zur Verfügung stellte, ging eine Gewisse Paranoia unter den Professoren und Lehrkräften um. Avis setzte sich auf seinen üblichen Platz. Zwei Stühle neben ihm blieben frei. Während der Vorlesung versuchte er sich auf den Vortrag von Professor Klein zu konzentrieren, doch erwischte er sich selbst immer wieder dabei, wie er auf die leeren Plätze starrte, an denen für gewöhnlich Marcus und Terrence saßen. Wiederholt drifteten seine Gedanken in Richtung Terrence. Hoffentlich war es nichts ernstes. Die Ungewissheit nagte an ihm und so holte er noch während der Vorlesung sein Handy heraus und begann eine Nachricht zu tippen... aber an wen sollte er sie schicken? Marcus wusste genauso wenig wenig wie er selbst und direkt an Terrence... er hatte sein Handy bestimmt nicht dabei. "hey avis" flüsterte eine Stimme hinter ihm. Er zuckte zusammen. Ein Wolf, eine Reihe weiter oben, hatte sich über seinen Tisch nach vorne Gebeugt. Avis hatte ihn bisher nur flüchtig kennen gelernt, doch kam er ihm nicht wie die vertrauenswürdigste Person vor.

Crossing PathsWhere stories live. Discover now