29 - Der Brief

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Als wir am frühen Nachmittag an Gretas Geburtstag Eis essen gehen wollten und das Haus verließen, fiel mir ein Umschlag im Briefkasten auf.

Sofort rutschte mein Herz in die Hose.

„Der ist vom Genetik-Institut", informierte ich Marius, als ich mir den Absender ansah. „Das ist der Brief."

So ein kleiner Umschlag mit einer so großen Bedeutung.

Am liebsten hätte ich ihn sofort aufgerissen und nachgesehen.

„Den öffnen wir aber jetzt nicht!" sagte er entschieden. „Wir haben jetzt einen schönen Nachmittag und einen tollen Geburtstag mit unserer Tochter."

Ich wollte wissen, was da drinstand, aber mir war natürlich mir bewusst, dass mit einem positiven Ergebnis dieser Geburtstag gelaufen war.

Marius hatte Recht und trotzdem fiel es mir schwer diesen Brief zurückzulassen.

„Komm!", sagte Marius und zog mich ein Stück. „Den Tag lassen wir uns heute nicht vermiesen."

Ich ließ den Umschlag zurück, doch gedanklich war er immer präsent. Für Greta stand so viel auf dem Spiel. Und auch für Marius. Wenn sie die Krankheit hatte, hatte er sie höchstwahrscheinlich auch. Ich hatte angeboten das Ergebnis für mich zu behalten, doch das hatte er abgelehnt.

Die Tatsache, dass das Ergebnis schon feststand, machte mich irre.

Wir gingen mit Greta Eis essen und ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Meine Aspannung fiel ihr eh nicht weiter auf, da sie nur an ihrem Papa hing. Wie eine Klette klammerte sie die ganze Zeit an Marius und löcherte ihn mit Fragen.

Wie alt bist du? Was ist dein Lieblingstier? Was ist deine Lieblingsfarbe? Was ist dein Lieblingsbuch? Was ist deine Lieblingsblume? Was ist dein Lieblingsessen? Was ist dein Lieblingsbaum? Was ist dein Lieblingsmonat?
Sie wollte einfach alles wissen.

Endlich hatte sie einen Papa. Sie war so glücklich und Marius schien es auch zu sein. Es hätte das Happy End dieser Geschichte sein können. Doch ich konnte es nicht genießen. Ich musste wissen, das Greta kerngesund war. Wir hatten noch kein Happy End.

Am Abend setzten wir drei uns zu ihr ins Bett und lasen eine Geschichte. Sie hörte gar nicht zu, sondern beobachtete die ganze Zeit Marius, wie er vorlas.

„Seid ihr Zwei jetzt ein Paar?", fragte Greta als wir sie zudeckten und ihr eine gute Nacht wünschten.

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollten. Wir waren kein Paar. Wir küssten uns nicht einmal. Doch auf der anderen Seite gingen wir so vertraut miteinander um, als wären wir ein altes Ehepaar.

„Wir sind deine Eltern. Das ist alles, was zählt", sagte Marius liebevoll und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Greta lächelte.

„Ich kann es gar nicht glauben, dass du mein Papa bist. Wir sind jetzt eine richtige Familie, oder?"

Erwartungsvoll sah sie uns an.

Ich suchte kurz den Blickkontakt zu Marius. Die Antwort konnte ich von seinen Augen ablesen.

„Ja, das sind wir."

Greta wirkte mit dieser Antwort mehr als zufrieden.

„Ich wollte schon immer mal eine richtige Familie haben", sagte sie. „Das ist wirklich das schönste Geburtstagsgeschenk."

Gerührte gab ich ihr einen Gute-Nacht-Kuss und verließ dann das Zimmer. Marius blieb noch einen Augenblick bei ihr.

Ich holte derweil den Umschlag aus dem Briefkasten. Es war Zeit für die Wahrheit.

Ich musste es wissen.

My Little SecretOnde as histórias ganham vida. Descobre agora