19 - Krank

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„Nicht mal ein bisschen Zwieback?"

Greta schüttelte den Kopf. Ihre Stirn war heiß und die Haut blass. Sie sah wirklich nicht gut aus. Und dass mein Kind ihr Frühstück verweigerte, war eh immer ein besorgniserregendes Zeichen.

Das müssen die nassen Haare von der Wildwasserbahn gewesen sein.

„Muss ich heute in die Schule?", fragte sie schwach.

Als ob ich sie in diesem Zustand in die Schule schicken würde.

„Ach Quatsch. Ich bleibe mit dir zu Hause. Ich mache dir schnell eine heiße Zitrone und dann komme ich wieder, okay?"

Sie kuschelte sich in ihre Decke, während ich das Zimmer verließ.
Marius lief mir in der Küche über den Weg.
„Oh Gott, du siehst ja auch so krank aus", ließ ich ihn wissen.

Er hatte sich in einen dicken Bademantel gewickelt und hatte ebenfalls den Teint eines Geistes. Seine Körperspannung war die eines Wackelpuddings.

„Ich bin krank", jammerte er. „Ich kann heute nicht arbeiten."

Auch er war gestern nach der Wildwasserbahn pitschnass gewesen.

„Ich kann auch nicht arbeiten. Greta ist ebenfalls krank."

Er hustete theatralisch.

„Wir können das Büro aber nicht unbesetzt lassen", krätzte er mit heiserer Stimme.

„Aber ich kann Greta nicht allein lassen", ließ ich ihn wissen.

„Ich bin doch hier. Ich kann auf sie aufpassen."

Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Und dann macht ihr betrunken eine Spritztour?"

Er verdrehte die Augen.

„Oh bitte! Hör auf damit! Das ist Ewigkeiten her! Und ich habe dir gestern schon gesagt, dass ich so etwas nicht mehr mache!"

Er konnte ja richtig bockig werden.

Auch wenn ich wusste, dass er gut mit Greta konnte, war ich mir trotzdem nicht sicher, ob ich sie in diesem Zustand bei ihm lassen konnte. War er in der Lage sich um ein krankes Kind zu kümmern? Konnte er einschätzen ab wann es nötig war zum Arzt zu gehen?

„Hast du dich jemals um ein krankes Kind gekümmert?", fragte ich skeptisch nach.

„Nein, aber ich bekomme das schon hin."

Ich seufzte. Ich wusste wirklich nicht, ob ich ihn Greta überlassen konnte.

„Du bist doch selbst krank!", sagte ich schließlich.

„Romy, bitte! Greta kommt einfach auf die andere Seite meines Bettes. Dort kann ich sie die ganze Zeit beaufsichtigen und wenn ich merke, dass ihr Fieber hochgeht, dann gehen wir zum Arzt. Und wenn sie sagt, dass sie große Schmerzen hat, dann natürlich auch. Und wenn ihr langweilig werden sollte, mache ich ihr einen Disneyfilm an. Ich kann das! Und wenn sie Hunger hat, kann sie sich etwas beim Bestellservice etwas aussuchen. Außerdem achte ich darauf, dass sie genug trinkt. Ich pack das."

Er schien entschlossen zu sein.

„Ich will ein stündliches Update!", stellte ich klar und ließ mich breitschlagen.

„Geht klar. Sie wird bei mir gut aufgehoben sein. Das verspreche ich dir!"

"Okay, ich vertraue dir."

"Danke", sagte er schließlich. "Für das Vertrauen und dass du im Büro die Stellung hälst."

Ich nickte stillschweigend.

Ich verabschiedete mich von Greta mit einem Kuss auf die Stirn.
„Marius bleibt mit dir hier. Wenn irgendetwas ist, dann kannst du mich jederzeit anrufen."

Sie wirkte schläfrig und murmelte ein kaum verständliches "okay". Es schien ihr wirklich nicht gut zu gehen. Sicherheitshalber ging ich noch einmal zu Marius und trichterte ihm ein, dass er bloß ein Auge auf sie haben sollte. 

Im Büro erhielt ich wie vereinbart alle Stunde ein Update.

Marius schickte jeweils ein Foto dazu. Auf den ersten zwei Fotos schlief sie. Auf dem dritten trank sie Tee. Auf dem vierten sah sie die Eisprinzessin, auf dem fünften aß sie Spaghetti, auf dem sechsten aß sie Eis und das siebte Bild war ein Selfie wie beide eine Quarkmaske aufhatten und Gurkenscheiben auf den Augen.

So schlecht schien es den beiden wirklich nicht mehr zu gehen. Es freute mich, dass es ihr besser zu gehen schien. Und noch mehr freute es mich, wie sehr die beiden sich zu verstehen schien.

Als ich abends nach Hause kam, saßen beide mit einer Tüte Chips vor dem Fernseher.

Sie wirkten so vertraut, als würden sie sich schon ein ganzes Leben lang kennen.

„Chips zum Abendbrot?", fragte ich kritisch in den Raum.

Ertappt sahen sie mich an.

„Wir sind krank, Mama. Da darf man essen, was man will", ließ Greta mich altklug wissen.

Vorwurfsvoll sah ich zu Marius, der etwas verlegen lachte.
„Wenn man krank ist, braucht man ein bisschen Essen für die Seele", antwortete er verlegen.

„Ihr wirkt auf alle Fälle wieder fit!"

My Little SecretWhere stories live. Discover now