17 - Greta

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Wider meiner Erwartungen hatte Marius tatsächlich zugesagt.

„Ein bisschen Abwechslung tut vielleicht ganz gut", hatte er seine Entscheidung begründet.

Und so schlenderte wir wie eine Familie über den Rummel.

„Will dein Papa denn auch eine Zuckerwatte?", hatte die Süßigkeitenverkäuferin Greta gefragt. Diese hatte daraufhin nur angefangen wild zu lachen und erklärt, dass das nicht ihr Papa sei. Marius hatte mit roten Wange dagestanden.

Greta und Marius mit einander zu sehen war herzergreifend. Er ging so verdammt niedlich mit ihr um. Bei der Wildwasserbahn fuhr ich nicht mit. Mein Magen war sensibel, was mich schon in meiner Jungend zu einer absoluten Spaßbremse auf Jahrmärkten gemacht hatte. Also war es Marius, an den Greta sich klammerte als es steil nach unten ging. Das Wasser spritzte in alle Richtungen. Als er schützend seinen Arm um sie legte, hätte ich am liebsten losgeweint.

Heute Abend würde ich es ihm sagen, nahm ich mir vor. Es war jetzt wirklich an der Zeit.

„Mama, hast du gesehen, wie wir darunter gefahren sind! Das war so schnell!", rief Greta als sie auf mich zugerannt kam.

„Ich habe euch kaum gesehen, weil ihr so schnell wie der Blitz ward", ließ ich sie wissen.

Ihre Haare waren klitschnass. Also zog ich ihr die Kapuze über den Kopf.

„Das war so cool! Oder Marius?"

Sie sah zu ihm auf. Manchmal dachte ich, dass er für sie ein viel besseres Vorbild war als ich. Er hatte im Leben etwas geschafft, doch was hatte ich schon vorzuweisen?

„Ja, total!", stimmte er ihr zu und zwinkerte mir zu. 

„Ich will noch mal!", ließ Greta verlauten.

„Lass uns erst einmal etwas Richtiges essen, okay? Du hast bis jetzt nur Zuckerwatte gegessen und Marius und ich haben noch gar nichts gegessen. Wie wäre es mit einem Handbrot?"

Greta nickte.

"Aber danach darf ich noch einmal fahren, ja?"

"Ja, aber erst essen wir etwas."

Also stellten wir uns an der Schlange an.

„Du bist ja auch ganz nass", stellte ich fest, als Marius neben mir stand. Von seinen Haarspitzen tropfte das Wasser. Sein Shirt lag eng auf der Haut.

„Ach das trocknet doch schnell wieder."

„Greta mag dich wirklich", ließ ich ihn wissen.

„Ich mag sie auch", entgegnete er grinsend.

Warum wollte er keine Kinder? Ich verstand das nicht. Die Art wie er mit Kindern umging war so liebevoll und natürlich. Warum wollte er keine eigenen? Ich nahm ihm das nicht so richtig ab, dass er lieber die ganze Welt bereisen wollte. Manchmal kam es mir so vor als gäbe es da noch etwas anderes von dem ich nichts wusste.

„Wollen Sie Sour Cream dazu?", fragte mich die Verkäuferin.

Ich beugte mich zu Greta nach unten um die Frage weiterzuleiten, doch Greta war nicht da.

„Greta?", rief ich fragend ins Nichts.

Auch Marius sah sich nun um.

„Greta?", rief ich noch einmal, doch ich bekam keine Antwort. Und sie war auch nirgens zu sehen.

„Greta?", ertönte nun auch Marius tiefe Stimme.

Keine Rückmeldung.
Panik stieg in mir auf.

Das war das Worst Case Szenario für alle Eltern.

Hektisch drehte ich mich um meine eigene Achse und suchte mit meinen Augen unser Umfeld ab.

„Gerade eben stand sie doch noch neben mir!", sagte ich mehr zu mir selbst als zu irgendjemand anderen. "Sie war doch eben noch genau hier!"

Das konnte doch nicht sein!

„GRETA!", schrie ich und begann loszulaufen.

Marius tat das gleiche.

Mir blieb vor Panik fast die Luft weg.

„Du gehst links, ich rechts!", wies ich Marius an.

Es war nicht Gretas Art sich einfach von mir zu entfernen. So war sie nicht.

Ich bekam solche Angst. Was, wenn sie jemand mitgenommen hatte? Oder wenn ihr irgendetwas passiert war?

„GRETA!"

Hier waren so viele Kinder. Ich suchte nach dunkelbraunen Haaren, in denen eine blaue Schleife steckte. Sie war fast sieben, doch für ihr Alter relativ klein.

Ich lief zur Wildwasserbahn, wo wir zuletzt gewesen waren, doch auch dort war keine Spur von ihr. Das konnte doch nicht sein! Sie konnte doch nicht spurlos verschwinden.

Es war der Alptraum einer jeden Mutter, den ich gerade durchlebte.

Ich spürte, wie meine Hände zittrig wurden und die Augen begann zu tränen. Doch ich dürfte mich jetzt nicht auf mich konzentrieren. Mein Fokus galt Greta.

„Greta!"

Ich fing an zu weinen.

Ich war für gewöhnlich eine starke Frau, aber Greta war meine Schwäche. Sobald irgendetwas mit ihr war, fühlte ich mich verletzlich.

Ich konnte nicht ohne sie.

Allein der Gedanke, dass ihr etwas passiert sein könnte, bereitete mir physische Schmerzen.

„Marius!", hörte ich plötzlich eine kreischende Stimme.
Ich drehte mich um und sah, wie Greta weinend auf Marius zu rannte.

Gott sei Dank!

Marius hockte sich hin und breitete die Arme aus, sodass er sie in eine Umarmung schließen konnte. Herzzerreißend ließ sie sich in seine Arme fallen und weinte bitterlich. Er hob sie hoch und drückte sie fest an sich. Er legte seine Hand auf ihren Hinterkopf, während sie ihn fest umarmte.

Auch er wäre vor Sorgen fast umgekommen. Das konnte man seinem Gesicht ansehen.

„Sch, ist gut", konnte ich von Marius Lippen ablesen. „Ich bin ja hier."

„Greta!", rief ich und nur langsam breitete sich die Erleichterung in mir aus.

Ihr war nichts passiert. Sie war gesund.

Greta sah auf und erblickte mich.
Augenblicklich ließ sie Marius links liegen und rannte zu mir.

„Mama!"

Ich hob sie zu mir auf dem Arm.

"Mama!", rief sie komplett aufgelöst. „Ihr ward auf einmal weg", weinte sie.

Ich drückte sie fest an mich und küsste sie auf die Stirn.

„Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Geht es dir gut?"

Wir beide weinten. Der Schock saß noch tief.

„Ich hatte Angst. Ich wusste nicht, wo ihr ward."

„Brauchst du nicht mehr zu haben. Ich bin ja hier. Es ist alles gut."

Ich blickte zu Marius, der hinter uns stand. Hatte er da auch eine Träne in den Augen?

My Little SecretWhere stories live. Discover now