Die entscheidende Frage

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Am nächsten Morgen frühstückten sie wie immer. Heute war der 19. Dezember, also noch 6 Tage bis Weihnachten. John las Zeitung, während Sherlock mal wieder nachdachte, dieses Mal aber nicht über einen Fall, sondern über John. Wieso, wieso hatte er immer noch nichts gesagt? Seine Gefühle waren eindeutig, er war mit ihnen fertig geworden, und gewiss wusste er, dass Sherlock es wusste. Gelegentlich überschätzte John Sherlock schließlich in seinem Können; also musste er auch annehmen, das Sherlock sich den Gefühlen des Doktors bewusst war. Aber er tat weiter so, als wäre nichts. Sherlock seufzte laut.

„Was ist los?“, fragte John, ohne von seiner Zeitung aufzublicken.

„...das weißt du ganz genau, John.“, sagte Sherlock in einem leicht vorwurfsvollen Ton. John hob den Kopf und schaute ihn in einer Mischung aus Verwirrung und Genervtheit an.

„Herrgott nochmal, Sherlock! Du hast gerade erst einen längeren Fall gelöst, also lass mich doch mal wenigstens um Weihnachten herum zufrieden!“

Jetzt war es Sherlock, der verwirrt guckte. Was hatte ein Fall damit zu tun? Er seufzte wieder.

„Nein, ich will nur wissen, wann du mich endlich fragst.“

„Was denn fragen?“

„Ob ich mit dir ausgehen will.“

John hörte schlagartig auf zu kauen und starrte ihn an. In dem intensiven Dunkelblau seiner Augen konnte Sherlock irgendein Gefühl erkennen, aber er war nicht in der Lage, es zu deuten.

Er beobachtete, wie John die Röte in die Wangen schoss.

„W..W..Was?“, krächzte dieser und räusperte sich schnell. „Wieso sollte ich mit dir ausgehen?“, er bemühte sich, möglichst unbefangen und gelassen zu klingen.

„John....ich weiß schon länger, dass du etwas für mich empfindest. Ich wollte nur damit warten, bis es dir selbst klar wird und du es mit dir selbst vereinbart hast.“, erklärte ihm Sherlock.

John indes war sprachlos. Aber er fing sich schnell wieder und erwiderte: „Mal angenommen, du hättest Recht. Wieso sollte ich mir dann überhaupt die Mühe machen, einen Soziopathen zu umwerben, der nach eigener Aussage mit seiner Arbeit verheiratet ist?“

John versuchte zu retten, was noch zu retten war, aber er befürchtete, dass Sherlock ihn wirklich durchschaut hatte.

„In diesen ganzen seltsamen Liebesfilmen, die du manchmal schaust, lassen sich die Leute doch auch nicht von so etwas beeindrucken!“, entgegnete Sherlock.

„Ach, du gibst mir also den Rat, ich soll auf Filme hören, ja? Sherlock Holmes gibt Ratschläge aus Liebesfilmen?“

„Du gibst also zu, dass du mich gerne zum Essen einladen würdest!“, rief der Detektiv.

„Ich...ja...nein...keine Ahnung...“, stotterte John. Er schluckte. Sherlock sah ihn abwartend an.

Der Doktor wusste nicht warum, aber er beschloss, einfach alles auf eine Karte zu setzen. Er holte tief Luft.

„Willst du mit mir Essen gehen?“, sein Herz klopfte heftig. Jetzt konnte er nicht mehr zurück. Wenn Sherlock jetzt ablehnte und damit bestätigte, dass er mit seiner Arbeit verheiratet war und kein Interesse an John hegte, würde ihre Freundschaft für immer zerbrechen. Er schwitzte leicht; merkte, dass er noch nie so angespannt in seinem Leben war.

„John....“, der Angesprochene blickte auf. In Sherlocks Tonfall und in seinem Blick lag so eine Zärtlichkeit, wie der Detektiv noch nie gezeigt hatte. „Gerne. Ich würde furchtbar gerne mit dir Essen gehen.“ Er lächelte. John merkte, wie alle Anspannung von ihm abfiel und etwas anderes, neues, ganz Wundervolles an ihrer Stelle auftauchte.

„Heute Abend?“, fragte er. „Bei Angelo?“

„Klar!“, Sherlock strahlte förmlich. John nickte nur, lächelte ihn noch einmal an und sagte dann: „Ich gehe jetzt duschen.“

Als er hinausging, spürte er noch den Blick des Detektivs in seinem Rücken; er blickte ihn noch einmal kurz an und hätte schwören können, das in den hellen, klaren Augen des Detektivs kleine Tränen schwammen.

Sherlock - I have only one friendWo Geschichten leben. Entdecke jetzt