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Jiggy und ich sitzen gemeinsam in einem Imbiss und genießen beide eine wohlverdiente Pommes.

"Wie geht es dir sonst so?", bricht Jiggy die Stille und sieht kurz zu mir, ehe er seinen Blick wieder auf seine Pommes richtet.

"Mir geht es irgendwie besser", sage ich geradeheraus und schiebe mir die Pommes in den Mund.

"Das ist gut", meint Jiggy und ich nicke. "Gehst du zu dieser Therapie?"

"Nein", sage ich und esse seelenruhig weiter, während Jiggy damit aufhört.

"Nein? Samiya! Die Therapie kann dir helfen!", sagt er etwas lauter, mit etwas Enttäuschung in der Stimmung.

"Ich habe eine andere Methode gefunden, Jay", sage ich ruhig und er sieht mich verwirrt an. "Da ich nicht mit ihr gesprochen hatte, meinte sie, ich sollte es mal mit Briefen ausprobieren. Ich schreibe jetzt Briefe an eine bestimmte Person. Nur der einzige Unterschied ist, dass ich sie nicht abschicke."

"Und das hilft wirklich?", fragt er skeptisch und ich nicke.

"Ja, ich fühle mich freier. Das Beste ist aber, dass ich all meine Gefühle an den Briefen auslasse, man merkt es daran, dass ich ab und zu groß schreibe oder wenn dort verwischte Tinte ist", erzähle ich ihm und er hört mir aufmerksam zu.

"Okay... aber wenn es dir dadurch besser geht, dann ist es doch gut", meint er und ich nicke, dabei verschlinge ich meine letzte Pommes. Jetzt bin ich satt.

Jiggy isst ebenfalls auf, nimmt die leeren Pommesschalen und wirft sie in den Mülleimer neben sich.

"Okay, komm. Ich bringe dich nach Hause", meint er und ich stehe ebenfalls auf, um zusammen mit meinem besten Freund zum Auto zu gehen.

Während der Fahrt schweigen wir und ich sehe aus dem Fenster.

Irgendwann kommen wir bei mir Zuhause an und ich verabschiede mich mit einer festen Umarmung.

"Ich schreibe dir!", ruft mir Jiggy hinterher und ich drehe mich um, um zu sehen, dass er das Fenster unten hat und auf eine Reaktion von mir wartet.

Während ich mit einer Hand nach meinem Schlüssel krame, halte ich meine freie Hand mit den Daumen nach oben.

Als ich den Schlüssel habe, drehe ich mich zur Tür um und stecke den Schlüssel ins Schloss, um die Tür kurz darauf aufzuschließen und zu öffnen.

Bevor ich jedoch reingehe, drehe ich mich nochmal um und winke Jiggy zu.

Er winkt zurück, ehe er den Fuß aufs Gas drückt und davon fährt.

Mit guter Laune gehe ich hinein und ziehe mir die Schuhe aus.

Von hier höre ich, dass im Wohnzimmer die Mädchen TV gucken und miteinander reden.

Das haben wir früher öfters gemacht, doch dann habe ich angefangen mich abzuschotten.

Habe ich gut gemacht.

Nicht.

Leise schleiche ich mich in mein Zimmer, ziehe mir schnell gemütliche Klamotten an und verschanze mich mit Block und Füller auf mein Bett, um einen weiteren Brief an Louis zu schreiben.

Dear Louis,
willst du was wissen? Jedes Fettnäpfchen gehört mir. Allein heute habe ich mich viermal blamiert. Naja, ich war um die Mittagszeit frühstücken und als ich Zuhause war, war ich schon wieder ausgesperrt (habe ich ganz, ganz toll gemacht. Kannst stolz auf mich sein. Ok, nein. Kannst du nicht). Schließlich war ich wieder bei den Jungs. Mertcan und Nedcet haben nicht mitbekommen, dass ich da war. So hatten sie begonnen über mich zu reden, genauer gesagt über das Thema 'Samiya bespannt zu haben'. Peinlich, peinlich. Na dann durfte ich einige Sachen erklären. Anschließend schrieb mir Jiggy, mein bester Freund. Er ist 18 Jahre alt und sein Vater ist Besitzer einiger Tankstellen. Wir hatten eine Tankstelle übernommen, weil das "Personal" unzuverlässig war. So hatten wir viel Mist zusammen gemacht. Ach ja, noch eine weitere Information über Jiggy: Er ist schwul, aber das macht mir gar nichts aus. Jiggy heißt eigentlich Jason und jetzt fragst du dich bestimmt, wie man von Jason auf Jiggy kommt. Ja, ich habe ihm den Spitznamen verpasst. Ich muss gerade an Jiggy Jay & Duki denken. Egal, zurück zum Thema: Jiggy und seine Spitznamensgebung. Früher hatte er eklige (unnötige) Sachen erzählt, weshalb ich anfing ihn Schwein zu nennen, dann formte es sich zu Piggy um und damit es sich etwas besser für ihn anhörte, ersetzte ich das P durch das J seines Vornamens. Tadá! Da haben wir unseren Jiggy. Here we go again... ich wollte dir Stück für Stück etwas über meine Vergangenheit, meine Geschichte, erzählen und das fängt bei meinem Bruder an. Danach ging es weiter mit Allie, Addy und wow: Ich! Nichts Großes also... irgendwie mag ich das nicht erzählen, weil du dann anders von mir denken könntest. Du würdest bestimmt denken, dass ich übertreibe. Doch irgendwann muss ich es erzählen, damit ich nicht mehr schweige. Ich will auch, dass du mich kennenlernst (was du ja eh nicht wirst, weil du die Briefe niemals bekommen wirst). Vielleicht solltest du wissen, dass ich öfters vorgebe eine Person zu sein, die ich einfach nicht bin. Maaan, ich sollte echt anfangen. Adrian ~ meine Mutter hatte irgendein Problem mit ihm. Okay, sie hatte mit allen ein Problem. Ich weiß nicht mal, wie es schreiben soll. Lass mich überlegen und ich schreibe dir morgen einfach einen neuen Brief. Oder... - machen wir einfach 'n Cut. Neuanfang: Adrian und das Problem namens "Mutter". Adrian war für meine Mutter immer das sogenannte "schwarze Schaf" der Familie. Sie hatten sich oft, sehr oft gestritten. Meine Mutter sagte Dinge wie "Du bist nicht mein Sohn" oder "Ich bin nur die Frau, die dich geboren hat". Harte Worte, nicht? Sie sagte, er soll ins Heim gehen. Er wollte, durfte dann plötzlich nicht. Komisch, nicht? Er hatte dich geritzt, sich fast in der Gegenwart von Allie, meiner Schwester, die Pulsadern aufgeschnitten. Er hätte sich fast das Leben genommen. Adrian nahm auch eine lange Zeit sehr viel Alkohol zu sich und ging betrunken in die Schule. Mit 10 Jahren hatte er mit dem Rauchen angefangen und er musste in dem Alter seine Wäsche selbst waschen. Alles, was er an Klamotten besaß. Als Adrian noch jünger war, 8 Jahre um ehrlich zu sein, hatte er einen Rucksack mit seinen Sachen gepackt und ist zu Oma abgehauen. Er fragte sie, ob er bei ihr und Opa einziehen dürfte. Um 22 Uhr war er wieder Zuhause. Einmal hatte Papa ihn zu einem Fußballspiel gefahren und "Mutter" sollte ihn abholen. Nach 2 Stunden warten war er 3 Stunden im Regen nach Hause gelaufen. Adrian hatte mir mal erzählt, dass "Mutter" und Papa Besuch hatten. Er stand im Türrahmen und "Mutter" wollte in die Küche, das hieß, an ihm vorbei. Sie rempelte ihn an. "Mutter" begann zu schreien und schubsen. Er musste eine Therapie wegen "verlorener Kindheit" machen, aber hat die Therapie abgebrochen und hurt jetzt herum (ich hasse es, wenn man herum hurt. Hat man keinen Stolz? Oder 'n Ansatz von Würde?) Im nächsten Brief erzähle ich dir, wie es weiter mit Allie ging.
xx in love Samiya

Schnell verstaue ich den Brief, kennzeichne ihn mit einer Nummer und packe ihn an den vorhergesehenen Platz.

Es ist mir klar, dass ich die Nacht wachliegen werde und zu viel nachdenke.

Auch wenn ich es hasse es zuzugeben, das Thema verletzt mich jedes Mal aufs Neue und so wie immer habe ich Tränen in den Augen.

Eine Tatsache wird mich nie verlassen.

Ich hätte Adrian nie richtig kennenlernen können, hätte er es wirklich durchgezogen.

Dear LouisOnde histórias criam vida. Descubra agora