Zusatzkapitel

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Nervös schaue ich aus dem Fenster von Louis' Wagen und frage mich, wann wir endlich in London sind. Es ist schon so lange her, seit ich das letzte Mal hier gewesen war. Ich erinnere mich an die Dinge zurück, die mich dazu trieben, abzuhauen und erstmal ein neues Leben zu beginnen. 

Tay wird mir den Kopf abreißen und Jiggy wird zur ignoranten Diva, aber er wird sich nicht lange halten können. Mit Sicherheit kann ich davon ausgehen, dass er sich im Endeffekt heulend an meinen Hals schmeißen wird. Sowohl Tay als auch Jiggy werden mich mit Fragen bombardieren. 

Aber ich kenne meine beiden besten Freunde schon lang genug, um zu wissen, was für Fragen sie stellen würden. 

Die erste Frage: Wo und bei wem warst du?

Die zweite Frage: Warum bist du einfach abgehauen?

Die dritte Frage: Wieso hast du keine genaue Nachricht hinterlassen?

Die vierte Frage: Warum hast du dich über die Monate hinweg nicht einmal gemeldet?

Die fünfte Frage: Was hast du in Liverpool getrieben?

Fünf Fragen, die ich schnell beantworten kann. "Alles in Ordnung?", reißt mich Louis' Stimme aus meinen Gedanken und mein Kopf schießt in seine Richtung. Er schenkt mir ein halbes Lächeln, ehe er seinen Blick wieder auf die Straße heftet. 

"Alles gut, nur ich bin irgendwie schrecklich nervös. Tay würde mich wahrscheinlich noch gerne in der Luft zerfetzen und Jiggy wird von einer hochnäsigen Diva zur heulenden Memme mutieren, wenn er realisiert, dass ich wirklich wieder da bin", teile ich ihm meine Gedanken mit und er nickt, damit ich weiß, dass er es zur Kenntnis genommen hat. 

Es herrscht erstmal Stille zwischen uns, als er seinen Mund wieder öffnet. "Ich denke, dass sie dich verstehen werden, wenn du ihnen alles erzählst. Du hattest Hilfe gebraucht, Samiya, und irgendwie wussten sie nicht, wie sie dir helfen konnten. Aber Verwandtschaft schon, wenn sie dir Nahe stehen. Es sind deine besten Freunde, Liebes. Sie werden nicht für alle Male wütend auf dich sein. Wie du schon sagtest, Jiggy würde vor Glück anfangen zu weinen. Er wäre überglücklich, wenn er dich wieder hätte und Tay? Sie hat sich nur tierische Sorgen um dich gemacht. Es wird nicht schlimm ausgehen, das verspreche ich dir."

"Danke für deine Worte, Liebling, aber es beruhigt mich irgendwie fast gar nicht", gebe ich schließlich von mir. Das hat sich vermutlich jetzt hart angehört, aber das ist jetzt nun mal die Wahrheit. Ich bin einfach viel zu nervös und trotzdem freue ich mich, auch wenn ich vor Aufregung kaum noch still sitzen bleibe.

Aber nach einer halben Stunde sind wir in London angekommen und parken vor  meinem eigentlichen Zuhause. Mein Blick wandert kurz zur WG von meinen türkischen Freunden, aber ich kann keine Veränderung wahrnehmen. Alles, was ich sehe, ist, wie Mertcan und Yasin im Wohnzimmer herum rangeln. Murat und Nedcet stehen nur daneben und schütteln beide lachend den Kopf. Bei denen hat sich anscheinend nichts geändert. 

"Bereit?", fragt mich Louis und ich nicke, dann schnalle ich mich ab und steige aus. Louis macht es mir gleich und gemeinsam laufen wir zur Haustür. Ich atme noch einmal tief durch und drücke letztendlich auf die Klingel. 

Es dauert ein wenig, bis mir die Tür geöffnet wird. Mein Herz macht einen Sprung, als ich einer etwas müde aussehenden Tay gegenüberstehe. Als sie realisiert, dass ich vor ihr stehe, weiten sich ihre Augen und sie scheint auf einmal hellwach zu sein. Ohne ein Wort zu verlieren schlingt sie die Arme um mich und umarmt mich ganz fest, sodass ich befürchte, gleich an dieser festen Umarmung zu ersticken. 

"Ich habe dich auch vermisst, Tay, aber das gibt dir nicht das Recht, mir die Luft wegzudrücken, um mich zu töten", murmle ich mit erstickter Stimme und meine beste Freundin lässt mich abrupt los. 

Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch, als sie mich mit einer versteinerten Mimik mustert. "Du kennst mich gut genug, um zu wissen, wie sehr ich dir gerne den Kopf einhauen will", meint Tay, doch dann wird ihr Blick weicher. "Wo zur Hölle warst du? Überhaupt, bei wem warst du? Warum warst du einfach abgehauen? Es war zwar nett, mir, Jiggy und Louis einen Brief zu hinterlassen, aber wieso hast du nichts Genaues gesagt? Du weißt, dass wir alles getan hätten, um dir zu helfen. Egal, wobei du Hilfe brauchst. Warum bist du so bescheuert und meldest dich nicht einmal über diese beschissenen Monate hinweg? Wir dachten beinah alle schon, dass du tot wärst, weil es überhaupt kein Lebenszeichen von dir gab, du blöde Kuh! Ich hasse dich dafür, Sam. Ich hasse dich wirklich dafür. Aber umso mehr liebe ich dich."

"Erinnerst du dich an meine Cousine Katelyn?", frage ich und sie nickt sofort. Sie weiß, wie gut ich mich mit Katie verstehe. "Ich war bei ihr und sie hat mir geholfen. Ich wollte Abstand von meinem alten Leben, was ich hier hinter mich gelassen habe."

"Du warst in Liverpool? Gott, ich hätte darauf kommen müssen!", macht sich Tay dann selbst auch noch einen Vorwurf. "Weiß Jiggy schon, dass du wieder da bist? Louis, hast du sie gefunden?"

Ich schaue zu Louis und beobachte, wie er nickt. "Sie stand in einer Starbucks-Filiale in Liverpool plötzlich vor mir. Es war ihr Geburtstag und da war ein aufgedrehtes Mädchen, was ständig erwähnen musste, dass Samiya halt Samiya Fitzgerald-Clark ist."

"Lass mich raten - diese aufgedrehte Freundin von Katie? Diese Melissa?", fragt Tay und ich nicke. "Die hat 'ne große Fresse, ist aber so dumm wie Stroh."

Nickend stimme ich ihr zu und Louis lacht leise. Aber dann haut mir Tay gegen den Oberarm und sagt: "Ich hasse dich immer noch."

"Aber du liebst mich noch viel mehr", antworte ich und sie stöhnt frustriert auf. Sie hat mir verziehen und kann mir nicht böse sein, das erkenne ich anhand ihres Verhaltens. "Ich sollte mich bei Jiggy melden."

"Nicht mehr nötig", ertönt hinter mir eine Stimme und ich drehe mich rasch um. Meine Augen weiten sich, als ich einen verdatterten Jiggy vor mir stehen sehe. Was zur Hölle macht er hier? Jiggy kam doch immer hierhin, wenn er mich besuchen wollte, abholte oder nach Hause brachte. "Du-"

"Es tut mir leid, Jiggy-Baby, ich habe dich über diese sieben Monate so sehr vermisst. Du weißt, ich liebe dich und könnte es nicht ertragen, wenn du mich jetzt ignorierst oder in Tränen ausbrichst. Bitte hasse mich nicht für das, was ich getan habe, aber ich habe eine Auszeit von mir gebraucht. Du bist mein bester Freund und das weißt du", sage ich schnell, ohne das überhaupt jemand was sagen konnte. "Aber warum bist du eigentlich hier...?"

"Jiggy und ich saßen oft unter einer Decke und versuchten dich zu finden", meint Tay und ich schaue wieder zu dir. "Jiggy, wir brauchen nicht weitermachen, ich habe sie gefunden."

"Wie witzig du bist", spricht er sarkastisch aus, verdreht die Augen und betrachtet mich dann eine ganze Weile. Aber dann schüttelt er den Kopf schon wieder und wendet den Blick ab. Bei so etwas ist er immer viel zu emotional. 

"Hey ...", sage ich leise und nehme ihn in den Arm. "Ich weiß, dass du krank vor Sorge warst und sauer bist, aber ich wollte euch nie enttäuschen beziehungsweise verletzen."

Mein bester Freund schaut mich aus nassen Augen an, blinzelt ein paarmal und dann sieht er relativ normal aus. "Ich werde mich noch dafür rächen", meint er und verschränkt die Arme demonstrativ vor der Brust. "Lass uns reingehen und zusammen uns erstmal freuen, dass Samiya, diese blöde Kuh, wieder da ist."

"Ja danke, ich habe euch auch vermisst", murmle ich und gehe ins Haus. Mein erster Gang geht in mein Zimmer und sage nebensächlich. "Ach ja, Louis und ich sind zusammen."

"Ihr seid was?", fragt Tay etwas überrascht. "Das freut mich für euch."

"Ew, jetzt muss ich Samiy teilen", höre ich Jiggy sagen, was mich zum Lachen bringt. 

Tay pfeffert was zurück. "Hey, du musstest sie schon vorher mit mir teilen!"

"Es gibt genug Samiya für euch alle", rufe ich aus meinem Zimmer und schaue mich kurz um. Nichts hat sich verändert. "Gott, ich habe es vermisst."

Dear LouisWhere stories live. Discover now