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"So und jetzt erklärst du mir, warum du bei den Jungs warst", meint Tay und steht bei mir im Türrahmen zu meinem Zimmer. Netterweise hat sie gewartet, bis ich geduscht in meinem Zimmer verschwunden bin.

"Ich war ausgesperrt und Mertcan hat mich gesehen. Denkst du, dass ich keine Ahnung wie lange vor der Haustür sitze und mir den Arsch abfriere?", meine ich daraufhin und sie verdreht die Augen.

"Das nächste Mal solltest du an deinen Haustürschlüssel denken", meint sie und schließt die Tür hinter sich. Sagenhaft. Augenverdrehend krame ich meinen Collegeblock hervor und nehme den Deckel meines Füllers ab.

Dear Louis,

und wie war dein Tag? Meiner war... wie soll ich sagen? Solala? Wir haben immer noch den ersten Tag, also... vor ein paar Stunden hatte ich dir den ersten Brief geschrieben, aber naja egal. Ich schreibe einfach mal einen Tagesbericht. First of all: Ich bin zu spät zur Arbeit gekommen, gerade weil ich vertieft war, den ersten Brief zu schreiben. Aber egal, kommen wir zurück zum Tagesablauf. Fange ich bei dem Zeitpunkt an, wo ich den Brief in den Briefumschlag getan hatte. Tay hatte mir gesagt, dass ich los musste und das wusste ich auch. Also machte ich ganz schnell: Zopf machen, Tasche packen und mitten auf der Straße mir die Schuhe anziehen. Schön und gut, nein okay, ich hätte mich fast aufs Maul gelegt. Typisch ich, kann ich ja so gut. Schließlich hetzte ich mich zur U-Bahn-Station ab und bekam gerade rechtzeitig meinen Arsch mit rein, ansonsten hätte es wehtun können. Total erschöpft ließ ich mich dann auf einen Sitz fallen und weißt du was? Auch da wurde mir keine Ruhe gegönnt, denn ich wurde als Sitzkissen missbraucht. Ich weiß nicht, wer die Person war, aber der hatte sich volle Kanne auf mich gesetzt. Ja okay, er hat sich entschuldigt, aber nun ja, ich hätte gerne seine Augen gesehen, ich meine... er oder sie hatte eine sehr schicke Sonnenbrille auf, ich schwöre dir, die sah teuer aus. Egal, schön und gut, es (ich nenne es 'es', weil ich nicht weiß, ob das ein Mädel oder ein Typ war, ich meine... Kapuze mit aufhaben? Die Haare komplett versteckt? Mihihihi, nein) hatte sich entschuldigt und aus irgendeinem (unerklärlichem) Grund hatte ich es angestarrt, bis ich dann wie eine Irre aus der U-Bahn gesprungen bin. Ich war halt spät dran und weil dies nicht reichte, packte ich mich vor allen Passanten mitten auf der Treppe der Londoner Innenstadt richtig auf die Fresse. Meine Knie tun weh, ich sag's dir. Wenn du diese Briefe lesen würdest, du würdest total verstört sein. Haha. Ja. Das wärst du. Hundertprozentig. Die Arbeit war stressig und außerdem war dort ein Typ, für den ich fünf Kaffees machen und Muffins einpacken musste. Entweder er sollte nur was holen oder er hatte mächtigen Hunger und Durst. Nach einer laaaangen Schicht (bestand nur aus 7 Stunden, fühlte sich aber wie 10 Jahre an) kam ich langsam Zuhause an und suchte seit 'ner halben Ewigkeit meinen beschissenen Wohnungsschlüssel. Nun ja, ich war ausgesperrt und kam nicht rein, da jeder der Mädchen außer Haus war. Die erste, die nach Hause kam, war Tay. Also... vor so einer guten halben Stunde. Wenn du bedenkst, dass ich seit zweieinhalb Stunden Feierabend habe. Wo war ich denn bitte die letzten zwei Stunden? Nebenan bei Mertcan, Yasin, Nedcet und Murat in der Jungs-WG. Und ich sage dir, dass sind die größten Chaoten überhaupt. Sie benahmen sich so, als hätten sie noch nie ein Mädchen in ihrem Haus gesehen. Nur Murat benahm sich normal und hat's geschafft, dass ich mich wohlfühlte. Die Anderen waren zu unfähig. Die zwei Stunden verbrachten wir mit Pizza essen, FIFA und Mario Kart zocken. Und oh! Das Highlight mit den Jungs war SingStar spielen. Schiefer singen kann man nicht... oder halt, warte, doch kann man. Man muss mich nur anhören und du wirst direkt taub! Weißt du, was mich gerade richtig nervt? Eine bescheuerte Mücke hat mich auf der rechten Hand gestochen, zweimal auf meinem Schulterblatt, einmal Oberarm und zweimal Oberschenkel. Elendige Blutsauger. Können Mücken aussterben? Die braucht doch keine Sau. *theatralisches Augenverdrehen* ... wie dem auch sei- ich wollte dir doch von meinem Problem erzählen. Das erste Problem, was ich habe, ist meine Cousine Neena. Seit wir klein waren versucht sie immer besser als ich zu sein. Besser in der Schule, besser reiten (man versteht sich besser auf Pferden...), besser tanzen. Alles musste sie besser haben. Auch die Freunde, Klamotten, Liebesleben, Bilder, etc. Sie hatte mir alles nachgemacht. Sogar meine On-Off-Beziehung mit meinem Exfreund Daniel, nur ihr Freund hieß Simon. Vor allem, weißt du was das bescheuerte war? Daniel war kleiner als ich. Dreimal darfst du raten, wer bei ihrer Beziehung kleiner war: Simon. Idiotisch, nicht? Meine Familie lebt in Irland (und Neena auch noch) und hey! Wir sind hier in London. Pass auf, nicht mehr lange und Neena wohnt hier auch irgendwo in einer WG. Dann wird sie mir unter der Nase reiben, was für eine tolle WG sie sind. Ich bin es leid, mir alles gefallen zu lassen. Aber man sagt ja immer: Sei schlauer und gehe nicht dagegen an. Aber irgendwann platzt der Kragen und du schreist. Du schreist die Person einfach an, weil du keine Lust mehr darauf hast. Das Blöde ist, dass ich (dank meiner Schwester) weiß, dass Neena sich WG's in London sucht und wahrscheinlich schon eine gefunden hat. Demnächst schreibe ich einen Brief an dich mit der Nachricht: 'Das Monster weilt unter uns in London', dann weißt du zumindest von wem ich rede. Es ist spät, ich sollte schlafen.

xx in love, Samiya

Seufzend falte ich den Brief zusammen und stopfe den, wie den vorherigen, in einen Briefumschlag und schreibe darauf eine fette 2. Aber nur, damit mein späteres Gehirn checkt, dass es der zweite Brief ist und nicht der erste oder dritte ist.

"Taaaaaaaay?", rufe ich lang gezogen wie ein verreckendes Eichhörnchen und liege dabei wie ein sterbender Wal auf dem Bett, und strecke dazu Füße und Arme von mir.

Die Tür öffnet sich und meine herzallerliebste und netteste Tay schaut hinein. "Was?", fragt sie schroff. Okay, ich nehme den Gedanken mit herzallerliebste und netteste zurück. Das war ganz und gar nicht nett.

"Machst du mir einen Tee?", frage ich mit einer zuckersüßen Stimme.

"Nein." Korb.

Dear LouisOù les histoires vivent. Découvrez maintenant