Kapitel 26

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Niemand sagte ein Wort. Dann prustete Jette laut los. »Du willst mich doch verarschen, oder?« Ernst schüttelte ich den Kopf. »Nein, es ist die Wahrheit. Ich wollte eigentlich noch damit warten, es dir zu erzählen. Aber die Umstände lassen es nicht zu. Ich hoffe so sehr, dass du das akzeptieren kannst. Das ist mir wichtig.« Sie kratzte sich gedankenverloren am Kopf. »Ich verstehe das nicht. Seit wann stehst du auf Frauen?« Ihr Ton war interessiert. »Seitdem ich Helene kenne. Es ist wahrscheinlich etwas viel für dich, ich verstehe das. Vor allem auch, weil sie deine Lehrerin ist«, sagte ich leise. Sie überlegte.

»Ach, Mama. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Natürlich hast du mich jetzt komplett überrumpelt, aber du bist glücklich. Ob nun mit einem Mann oder einer Frau. Wie du schon sagtest: Man kann sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebt.« Dann schlug sie sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Und ich frage dich noch, ob du nicht mal wieder einen Mann haben willst.« Sie musste lachen und die Anspannung fiel von uns allen ab. »Also hast du kein Problem damit?«, hakte ich vorsichtig nach. Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, für mich ist das in Ordnung. So lange ich nicht »Mama« sagen muss«, sagte sie und wandte sich an Helene. Diese sagte prompt: »Nein, natürlich nicht. Nenne mich bitte Helene in der Freizeit. In der Schule muss ich natürlich Frau Sturm bleiben. Es ist schön, wie toll du dich gerade verhältst. Deine Mama kann stolz auf dich sein.« Ich musste lächeln.

»Ich bin auch stolz auf meine Mama«, gestand sie, stand auf und umarmte mich. »Ich habe dich lieb«, flüsterte sie mir ins Ohr und ich gab ihr einen Stirnkuss. »Danke, mein Schatz. Das bedeutet mir so viel.« Es war ein tolles Gefühl. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass sie es so super aufnehmen würde. Das hatte alle Erwartungen übertroffen. Sie setzte sich wieder und schaute uns beide an. »Verrückt. Einfach nur verrückt«, meinte sie und schüttelte grinsend den Kopf.

»Du weißt, dass wir jetzt noch über das andere Thema sprechen müssen.« Jettes Miene verfinsterte sich. »Ich weiß, dass es dich verletzen wird, was ich dir nun sage, aber vielleicht erkennst du dann die Wahrheit. Ich werde dir jetzt ein paar Fragen stellen, ok?« Sie nickte. »War es ein Bild, das du ihm geschickt hast?« Ein Nicken ihrerseits. »Hast du das freiwillig gemacht oder hat er dich gezwungen?« Sofort sagte sie: »Freiwillig.« Ok, nächste Frage. »Wann hast du es ihm geschickt?« Sie überlegte kurz, dann sagte sie: »Erst vor einigen Tagen.« Ich konnte nicht glauben, dass sie es wirklich getan hatte. »Warum hast du das gemacht?« Jette erwiderte: »Weil ich ihm gefallen wollte.« Sie gab nun etwas zerknirschter zu: »Ich dachte, er würde mich dann mehr mögen. Aber warum wisst ihr es?«

Sie sah erst Helene an und dann mich. »Es ist wichtig, dass wir dieses Gespräch zu Ende führen. Er hat Helene davon erzählt und sie damit erpresst.« Fragend blickte sie uns an. »Was hat sie denn damit zu tun? Ich checke es nicht.« Ich räusperte mich und antwortete: »Nach dem Spaziergang heute hat er ihr seine Liebe gestanden.« Ihr Gesicht verzog sich und man sah ihr an, dass sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. »Er hat gesagt, dass er dir von uns erzählt, wenn sie seine Liebe nicht erwidert.« Sie war total baff. »Das hat er gemacht?«, flüsterte sie und ich nickte bestätigend. »Aber das ist noch nicht alles. Er hat gesagt, dass wenn sie nicht macht, was er möchte, er dein Bild veröffentlicht.« Ihre Stimme bebte, als sie sagte: »Was? Das kann er doch nicht machen? In der Schule hat er mir zugeflüstert, dass es ihm gefällt. Ich... Dieses Arschloch.«

»Es tut mir so leid, Jette. Ich möchte dir keine Vorwürfe machen, ich möchte nur das Schlimmste verhindern.« Sie schloss die Augen. »Wie konnte ich nur so blind sein? Er ist doch echt krank. Wegen ihm habe ich meine beste Freundin verloren.« Die erste Liebe konnte so schmerzhaft sein. Das musste sie nun selbst erfahren. »Vorwürfe bringen nichts.« Sie nickte, dann fragte sie ängstlich: »Aber was wollen wir jetzt machen? Wenn er das Bild wirklich veröffentlicht, dann kann ich nicht wieder zur Schule gehen. Jeder würde über mich reden und mich auslachen.« Sie war ganz blass geworden. Ich hatte absolut keine Ahnung. Ich musste mein Kind schützen. Aber wie?

Dann fiel Helene uns ins Wort. »Ihr macht gar nichts. Ich regele das. Er will mich? Dann bekommt er mich. Natürlich nur zum Schein«, erklärte sie. »Ich verstehe nicht«, antwortete ich. »Ich werde ihm schreiben, dass ich es mir überlegt habe und werde ihn treffen. Ich werde sein Handy klauen und das Bild löschen. Und dann werde ich zum Direktor gehen und ihm davon erzählen. Hast du es ihm eigentlich über das Handy geschickt?« Jette schüttelte den Kopf. »Nein, per E-Mail. Ich glaube aber, er hat sein Konto mit dem Handy verknüpft. Ich hoffe nur, dass er keine Kopie davon hat. Also muss die Mail endgültig gelöscht werden und aus der Galerie muss es auch entfernt werden.« Ich wusste nicht, was ich von dem Plan halten sollte. Auf der einen Seite fand ich es toll, wie sehr sie sich für Jette einsetzte, aber auf der anderen Seite hatte ich Angst um sie. Was, wenn ihr etwas passierte?

»Denkst du, dass das eine gute Idee ist?« Sie sah mich eindringlich an. »Nur ich kann das regeln. Oder hast du eine bessere Idee?« Kraftlos schüttelte ich den Kopf. »Siehst du. Dann machen wir das so. Ich schreibe ihm jetzt direkt eine Nachricht.« Das ging alles so schnell. Dann meldete sich Jette zu Wort: »Sie... Ähm, du musst das nicht für mich machen. Was bin ich auch so blöd und verschicke so ein Bild? Ich fühle mich so ekelhaft.« Helene legte ihre Hand auf Jettes Hand und durch meine Brust strömte ein warmes Gefühl. Jette ließ es zu und lächelte Helene leicht an. »Ich möchte es aber. Die Sache ist entschieden.«

Sie kramte ihr Handy aus der Tasche und tippte einen Text ein. »Was schreibst du?«, wollte ich wissen und sie las den Text vor: »Hey, tut mir leid, dass ich vorhin so überreagiert habe. Du hast recht. Ich habe die Gefühle für dich verdrängt, dabei denke ich den ganzen Tag an dich. Wollen wir einen neuen Versuch starten?« Ich ekelte mich vor diesem Menschen. »Meinst du, dass das klappt? Ist das nicht etwas zu offensichtlich?« Sie winkte ab. »Männer sind alle gleich.« Kaum hatte sie das ausgesprochen, da kam auch schon seine Antwort. »Ich wusste doch, dass du es dir noch anders überlegst. Wann wollen wir uns treffen?« Sie las seine Zeilen vor.

»Schlag ihm morgen Abend vor. Du gehst da nicht alleine hin. Ich werde mitkommen und draußen warten. Trefft euch in einem Café. Er muss sicher mal auf die Toilette. Vielleicht lässt er sein Handy in der Tasche. Aber ob er so blöd ist?« Sie zuckte mit den Schultern. »Kann ich mir vorstellen. Aber wenn nicht, dann probiere ich es einen anderen Tag. Ich gebe nicht auf.« Jette sprang auf und umarmte sie. »Danke«, hauchte sie Helene ins Ohr, die ganz rot wurde. Aber sie sah zufrieden aus. An dieses Bild konnte ich mich gewöhnen.

»Ich werde dann mal nach Hause«, meinte Helene, als wir alles besprochen hatten. Sehnsüchtig sah ich sie an. Ich wollte, dass sie blieb. Aber ich wollte Jette für heute nicht noch mehr zumuten. »Wir sehen uns morgen«, sagte sie an Jette gewandt. Dann brachte ich sie zur Tür. »Wir sehen uns auch morgen.« Dann küsste ich sie und die Schmetterlinge in meinem Bauch flatterten wild umher. Als ich zurück in die Küche ging, umarmte Jette mich und fing an zu weinen. »Es tut mir wirklich so leid, Mama. Dass ich nicht erkannt habe, was für ein Idiot er ist.« Ich drückte sie. »Jeder macht mal Fehler. Jetzt weißt du ja für das nächste Mal, dass man davon lieber die Finger lässt.« Schnell nickte sie. »Auf jeden Fall. Kann ich dich was fragen?« Ich antwortete: »Natürlich, du kannst mich alles fragen.« Sie holte tief Luft. »Darf ich bei dir schlafen? Ich mag heute irgendwie nicht alleine schlafen.« Ich streichelte ihr über den Kopf. »Natürlich darfst du das.«

Wir gingen an diesem Abend beide früh schlafen. Als ich mich ins Bett legte, schrieb ich Helene noch eine letzte Nachricht für heute: »Ich danke dir. Für alles.« Ich schlief sehr unruhig in dieser Nacht, denn ich wusste nicht, was der nächste Tag für uns bereithielt.

Herzgeflüster || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt