Kapitel 22

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»Was? Du liebst eine Frau?« Was hatte ich getan? Aber irgendwann musste ich es ihm sowieso sagen, oder? »Ja, es ist einfach passiert«, murmelte ich. Er ließ sich zurückfallen. Dann lachte er plötzlich leise auf. »Das ist verrückt. Einfach nur verrückt.« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Machst du dir Gedanken darum, dass Jette es nicht akzeptieren könnte? Sie ist doch ein sehr offenes Mädchen, sie wird das schon verstehen. Auch wenn es am Anfang sicherlich gewöhnungsbedürftig wird. Aber wir leben im 21. Jahrhundert, da ist sowas doch normal.« Ich horchte auf. Hatte ich mich gerade verhört? »Du hast also kein Problem damit?«, wollte ich schüchtern wissen und er schüttelte entgeistert und entschieden den Kopf.

»Natürlich nicht. Es ist doch dein Leben. Wenn du glücklich bist, bin ich es auch.« Ich brach in Tränen aus. Geschockt blickte er mich an. »Habe ich etwas Falsches gesagt?« Ich schüttelte schnell den Kopf. »Nein, du findest immer die richtigen Worte, Philipp. Danke. Wirklich. Das bedeutet mir viel. Es fiel mir sehr schwer, dir davon zu erzählen, weil ich nicht wusste, wie du reagierst, aber eigentlich hätte es mir klar sein sollen. Du machst immer alles richtig.« Ich musste lächeln. Er nahm wieder meine Hand. »Ich bin immer für dich da, Hanna. Immer, ok? Und ich werde immer an deiner Seite sein. Nicht nur, weil Jette uns verbindet. Du bist ein wunderbarer Mensch und ich liebe dich noch immer. Nicht mehr auf die Art und Weise wie früher einmal, aber auf einer platonischen Ebene.« Er war einfach toll.

»Kenne ich sie eigentlich?« Ich musste ihm sagen, dass es Helene war. Früher oder später kam es sowieso heraus, also warum sollte ich ihn nun anlügen? »Ich bin mir nicht sicher. Aber das ist eines der Probleme, denke ich. Für Jette, meine ich.« Er zog eine Augenbraue nach oben. »Ach, Jette kennt sie?« Zaghaft nickte ich. »Wer ist es?« Er war wieder ganz auf unser Gespräch konzentriert. Nervös zupfte ich an der Tischdecke umher. Ich brauchte einen Moment, um wieder Kraft zu sammeln. Er sagte nichts, sondern wartete geduldig ab. »Frau Sturm.« Er erwiderte fragend: »Frau Sturm? Jettes Klassenlehrerin?« Ich nickte erneut. »Du kennst sie?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, nur vom Hören. Jette hat einige Dinge über sie erzählt. Aber jetzt verstehe ich deine Bedenken. Niemand möchte gern hören, dass ein Elternteil mit der Lehrerin zusammen ist. Aber auch das wird sie akzeptieren.« Ich schluckte. »Hoffentlich.« Beruhigend streichelte er mir über die Hand.

»Jetzt bin ich aber gespannt, welche Frau du dir da geangelt hast. Ich muss sie mir demnächst mal anschauen.« Er grinste mich an. Ich entzog mich seinen Händen und fummelte in meiner Tasche, um mein Handy rauszuholen. »Also wenn du magst... Ich habe Fotos von ihr.« Freudig nickte er. »Klar, her damit.« Ich öffnete die Galerie, tippte ein Bild von ihr an und überreichte ihm das Handy. »Wenn du nach rechts wischst, kommen noch mehr Bilder.« Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Als er fertig war, überreichte er mir das Handy und ich verstaute es wieder.

»Wow, sie sieht wirklich toll aus. Wenn ich das so sagen darf.« Er grinste und ich musste auch grinsen. »Ja, das sieht sie. Und sie sieht nicht nur toll aus, sie hat auch einen wundervollen Charakter.« Ich geriet etwas ins Schwärmen, doch nach kurzer Zeit stoppte ich. Er beobachtete mich und stellte fest: »Krass, dich hat es echt so richtig erwischt.« Ich fühlte mich ertappt und wurde rot. »Das muss dir nicht peinlich sein. Ich finde das wirklich toll. Auch dass du es mir anvertraust und meine Meinung hören willst. Das rechne ich dir hoch an.« Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu.

»Wann willst du es Jette sagen?« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Auf der einen Seite möchte ich gern noch etwas warten, aber auf der anderen Seite will ich es ihr am liebsten sofort sagen, damit Helene und ich uns nicht mehr verstecken müssen. Aber ich denke, es ist vielleicht noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen.« Er seufzte. »Den richtigen Zeitpunkt gibt es nicht.« Ich stimmte ihm zu. »Ja, aber wir sind erst seit gestern so richtig fest zusammen. Ich will nichts überstürzen. Vielleicht warte ich noch ein paar Wochen. Es wäre also schön, wenn du nichts erwähnst.« Schnell nickte er. »Natürlich, das bleibt unter uns. Warte aber nicht zu lange, bevor sie es anders erfährt.«

»Eine Sache noch, Philipp. Sie hat es mir anvertraut, aber ich finde, du solltest es auch wissen. Ich weiß, es ist falsch, wenn ich darüber mit anderen spreche und ich fühle mich dabei auch schlecht, aber es betrifft mich irgendwie auch. Sie ist in ihren Lehrer verliebt, der zufällig ein Auge auf Helene geworfen hat.« Er war sprachlos. »Ach, du Scheiße. Auch das noch. Das macht die Sache nicht einfacher, aber es führt trotzdem kein Weg daran vorbei. Auf Dauer könnt ihr die Beziehung nicht verheimlichen.« Ich nickte nur.

Das Gespräch tat mir gut. Einfach mal mit einem anderen Menschen darüber reden. Genau das hatte ich gebraucht. Wie unterhielten uns noch eine Weile und ich erzählte ihm von unserem Anfang, dann verließen wir das Café und genau in diesem Moment rief Jette an. »Wo steckst du? Ich habe Hunger, Mama«, maulte sie am anderen Ende der Leitung. »Ich bin gleich da. Wenn du magst, bringe ich dir eine Pizza mit.« Freudig stimmte sie zu und dann legten wir auf. »Jette. Sie wartet.« Er umarmte mich und ich nahm sein gut riechendes Parfüm wahr. Es hatte mir immer gefallen und gab mir noch heute ein sicheres Gefühl. »Danke für alles«, hauchte ich ihm zu, dann trennten sich unsere Wege. Er drehte sich aber noch einmal um: »Ach, Hanna?« Auch ich drehte mich um. »Halte mich auf dem Laufenden.« Er zwinkerte mir zu und dann ging er weiter.

Ich lief zu der nächsten Pizzeria, die ganz in der Nähe war. Ich musste auch nicht lange warten und schon befand ich mich wieder auf dem Weg nach Hause. Unterwegs hatte ich Zeit, über das Gespräch nachzudenken. Er hatte mir wirklich Mut gemacht. Aber ich war noch nicht bereit, mit Jette zu reden. Noch war die Angst zu groß. Draußen war es kalt. Ich musste sofort an Helenes warmes Bett denken. Wie schön es doch wäre, wenn ich jetzt bei ihr sein könnte. Ich seufzte. Dann hatte ich unsere Wohnung erreicht. Ich schloss mit eisigen Fingern auf und Jette kam mir entgegen.

Sie umarmte mich. »Du riechst irgendwie anders. Hast du ein neues Parfüm?« Ich schüttelte den Kopf. »Aber ich kenne den Geruch irgendwo her.« Angestrengt überlegte sie. Gott, roch ich wirklich so sehr nach Helene? »Hm, keine Ahnung. Egal.« Sie schnappte sich ihre Pizza und setzte sich auf das Sofa. Ich roch heimlich an mir. Ja, es stimmte. Ich roch nach Helene. Automatisch breitete sich ein Grinsen in meinem Gesicht aus. »War gestern eigentlich alles gut mit deinen Mädels?«, wollte ich wissen und sie nickte nur. Ich ging einmal durch die Wohnung. Alles war aufgeräumt. Zum Glück. »Machst du gerade einen Kontrollgang?«, rief sie mir zu. Ich rief zurück: »Vielleicht!« Ich hörte ihr Lachen. »Wusste ich es doch, ich kenne dich eben zu gut.« Nur eine Sache weißt du nicht, dachte ich. Aber bald würde auch sie von Helene und mir erfahren.

Ich angelte mir wieder mein Handy aus der Tasche und öffnete Helenes Chat. »Hey, ich habe mit Philipp gesprochen. Es war sehr spontan, aber er hat es super aufgenommen. Das bedeutet mir viel. Ich werde auch mit Jette reden. Versprochen. Aber gib mir noch etwas Zeit, ok?« Zwei Sekunden später kam ihre Antwort: »Ich gebe dir so viel Zeit, wie du brauchst. Du bist alles für mich. Ich habe 34 Jahre auf dich gewartet. Jetzt kommt es auf die letzten Wochen oder Monate auch nicht mehr an.« Was hatte ich nur für ein Glück, diese Menschen in meinem Leben zu haben. Ich schickte ihr einen Kuss-Emoji. Sie schrieb zurück: »Was soll ich denn mit einem virtuellen Kuss? Ein realer wäre mir viel lieber.« Mir auch, dachte ich und musste lächeln. Mir auch.

Herzgeflüster || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt