Kapitel 5

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Als ich erwachte, konnte ich nur daran denken, dass heute Freitag war. Und an Frau Sturm. Sofort hatte ich ihr breites Lächeln vor Augen. Ich schnappte mir mein Handy und schaltete den Wecker aus, der erst in einigen Minuten klingeln sollte. Dann öffnete ich WhatsApp und klickte auf den letzten Chat. Ich las die Nachricht erneut und klickte wieder auf das Foto. Sie war so unglaublich sympathisch. Und attraktiv. Gott, dachte ich das gerade wirklich?

Um die Gedanken an sie abzuschütteln, stand ich auf und streckte mich. Dann schlich ich in Jettes Zimmer und weckte sie sanft. Sie öffnete die Augen. »Hey, geht es dir besser?« Sie setzte sich auf und gähnte. »Es geht schon. Ich bin einfach nur müde.« Ich streichelte ihr über das Gesicht. »Ok, mach dich fertig. Ich kümmere mich um das Frühstück und dann fahre ich dich wieder zur Schule.« Jette murmelte einfach nur: »Ja, ok.« Ich ging in die Küche. Die Schule war nicht allzu entfernt von uns. Normalerweise fuhr sie immer mit dem Fahrrad, aber warum wollte ich sie heute unbedingt fahren? Ich kannte die Antwort, aber sie war so unsinnig und blöd, dass ich mich nicht einmal traute, daran zu denken. Aber ich musste es mir vor Augen halten. Ich hoffte, Frau Sturm anzutreffen. Oder war das Quatsch?

Ich hatte keine Zeit, um darüber nachzudenken, denn Jette kam in die Küche und wir frühstückten. »Du hast dich heute ja hübsch gemacht«, stellte ich überraschend fest. »Also nicht, dass du sonst nicht hübsch wärst, aber irgendwie siehst du anders aus als sonst. Ist heute irgendetwas?« Sie errötete und am liebsten hätte ich mir die Zunge abgebissen. Warum war ich manchmal nur so verdammt dumm? Warum wohl machte sich ein Mädchen hübsch? Sie wollte einem Jungen gefallen. »Nein, es ist nichts«, antwortete sie leise.

Nach dem Frühstück räumten wir noch den Tisch ab und dann fuhren wir los. Wir kamen der Schule immer näher und schon wieder machte sich ein merkwürdiges Gefühl in mir breit. Das war doch echt lächerlich. Diese Frau war mir völlig unbekannt. Ich wusste nichts über sie. Gar nichts. Doch trotzdem fand ich sie interessant. Ich hielt vor der Schule an und Jette stieg aus. »Bis später«, rief ich ihr nach. Gerade als ich losfahren wollte, kam Frau Sturm mit eiligen Schritten vom Lehrerparkplatz auf mich zu. Nicht direkt auf mich zu, sie sah mich nicht, sondern lief an meinem Auto vorbei und betrat das Schulgelände. Sie trug heute einen Rock und eine Bluse dazu. Ich sah ihr nach, bis hinter mir plötzlich jemand hupte.

Ertappt sah ich in den Rückspiegel und fuhr los. Eine weitere Mama hielt an der Stelle, an der ich soeben stand, und ließ ihr Kind raus. Sie warf mir noch einen bösen Blick zu und ich konnte sie verstehen. Der Andrang morgens vor der Schule war groß und ich stand definitiv zu lange dort. Als ich in die nächste Straße fuhr, verschwendete ich an die Situation schon gar keinen Gedanken mehr. Dafür aber an Frau Sturm. Sie sah toll aus. Immer wieder musste ich an ihre eiligen Schritte denken, bis ich dann schließlich im Büro ankam und mich mit Arbeit ablenken konnte, denn davon gab es wirklich genug.

An diesem Nachmittag kam ich total erschöpft nach Hause. Jette war noch da. Ihr Papa würde sie bald abholen. Kaum hatte ich diesen Gedanken beendet, klingelte es auch schon. Er kam nach oben und wir umarmten uns. Wir verstanden uns noch immer gut. Wir hatten beide nur irgendwann gemerkt, dass die Gefühle nicht mehr da waren. »Habt viel Spaß«, wünschte ich ihnen noch, dann waren sie auch schon wieder verschwunden. Dann ließ ich mir ein heißes Bad ein und las mein Buch weiter. Auf der Couch danach machte ich mir einen Tee und ging früh schlafen. So sah mein Freitag aus. Sehr unspektakulär. Aber das war in Ordnung, denn der Samstag wurde aufregend genug.

Und so war es dann auch. Ich ging mit meinen Freundinnen bei einem Italiener essen und danach zogen wir dann weiter in einen Club. Er war noch relativ leer, denn es war noch nicht allzu spät. Wir nahmen die Tanzfläche in Anspruch und als wir eine Pause machten und uns neue Getränke bestellten, war der Club gut gefüllt. Da ich eine schwache Blase hatte, suchte ich die Toilette auf. Auf dem Weg dorthin, dachte ich für einen Moment, Frau Sturm gesehen zu haben. Als ich wieder hinsah, war die Frau weg. Ich hatte mich sicher verguckt. Soweit war es also schon. Ich schüttelte den Kopf.

Als ich von der Toilette kam, sah ich nach rechts. Und tatsächlich – dort saß Frau Sturm. Sie war ganz alleine. Sollte ich hingehen und sie begrüßen? Oder war das merkwürdig? Wahrscheinlich war es das. Aber bevor ich meine Entscheidung fällen konnte, setzte sich ein Mann mit Getränken in der Hand zu ihr. Ich kannte das Gesicht, aber woher nun? Dann fiel es mir ein – es war Herr Meyer! Der Lehrer meiner Tochter, der Frau Sturm anscheinend toll fand, wie ich schon vermutet hatte. Ihr ging es wahrscheinlich ähnlich. Es versetzte meinem Herzen einen Stich, aber ich hatte mir so etwas schon gedacht. Und dass diese Frau lange Single bleiben würde, war auch undenkbar. Mir war plötzlich nicht mehr nach feiern, ich wollte nur nach Hause. Sie konnte doch tun und lassen, was sie wollte. Warum schenkte ich ihr so viel Bedeutung? Sie war doch einfach nur die Klassenlehrerin meiner Tochter. Mehr nicht. Ich fand Frauen doch nicht einmal toll. Oder doch?

Als ich zurück bei meinen Mädels war, sagte ich ihnen, dass ich nach Hause wollte. Aber sie ließen mich nicht. Sie meinten, dass wir so selten ausgingen, da mussten wir es auskosten. Und eigentlich wusste ich, dass sie recht hatten. Deshalb schob ich die Gedanken an Frau Sturm zur Seite und genoss den Abend. Die Toilette versuchte ich, so gut es ging, zu vermeiden. Ich wollte sie nicht mehr sehen.

Der Abend endete um kurz nach halb vier. Ich ging nun doch noch ein letztes Mal auf die Toilette, bevor wir den Club verließen, aber von Frau Sturm war nichts mehr zu sehen. Es war mir schon irgendwie klar, wahrscheinlich waren sie schon lange bei ihr oder bei ihm. Wir riefen uns ein Taxi und um 04:23 Uhr lag ich im Bett, schloss die Augen und schlief sofort ein.

Erschrocken fuhr ich nach oben. Der Kopf tat mir weh und ich konnte noch nicht wirklich klar denken. Warum raste mein Herz? Was war passiert? Dann hörte ich den Grund. Mein Handy klingelte und hatte mich unsanft aus dem Schlaf gerissen. Langsam und unter Stöhnen griff ich nach dem Handy. Jette. »Ja?«, nuschelte ich noch total verschlafen. »Schläfst du noch?«, fragte sie lachend. »Nein, nein. Alles gut. Ich bin wach. Wurde gestern nur etwas länger mit den Mädels.« Langsam kamen die Erinnerungen an gestern Abend zurück.

»Ich wollte dich nur fragen, ob ich meinen IPod zu Hause vergessen habe. Ich kann ihn nicht finden. Habe schon die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt." Ich stand vorsichtig auf. »Moment, ich gucke mal.« Sie antwortete: »Ich glaube, wenn er da ist, dann in meinem Zimmer. »Ok, gut.« Bevor ich weiter über die Frage nachdenken konnte, hatte sie auch schon meinen Mund verlassen.

»Sind Frau Sturm und Herr Meyer ein Paar?« Ich hörte, wie sie am anderen Ende der Leitung nach Luft schnappte. »Wie kommst du denn darauf?«, wollte sie mit schriller Stimme wissen. »Ich habe sie gestern Abend zusammen im Club gesehen. Deshalb nahm ich das an. Und ihr Schüler seid doch immer gut informiert. Hat mich nur mal interessiert, immerhin sind sie auch Kollegen. Aber egal, schon gut. Vergiss es. Dein IPod ist übrigens hier. Soll ich ihn dir später vorbeibringen?« Warum hatte ich damit überhaupt angefangen? Es ging mich doch überhaupt gar nichts an.

»Woher kennst du denn eigentlich meinen Sportlehrer?«, fragte sie irritiert und etwas argwöhnisch. »Nein, ich brauche den IPod nicht, aber danke trotzdem. Ich bin ja heute Abend wieder zu Hause.« Stimmt ja, heute war Sonntag. Ihre Stimmlage hatte sich verändert. Irgendetwas störte sie doch. Ich musste mir eine Ausrede einfallen lassen. Was sollte ich sagen? »Ich habe ihn mal zufällig in der Schule getroffen. Letztes oder vorletztes Jahr. Ich weiß nicht mehr genau. Vor der Elternversammlung war es.« Sie erwiderte: »Das muss dann letztes Jahr gewesen sein. Vorletztes Jahr war er noch nicht bei uns.« Dann legte sie einfach auf. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Warum hatte ich mit diesem Thema angefangen? Konnte ich es nicht einfach mal gut sein lassen? Anscheinend nicht. Ich ging zurück ins Schlafzimmer, ließ mich ins Bett fallen und schloss die Augen.

Herzgeflüster || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt