KAPITEL 64

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( Sicht Yvonne ) 

Das Dunkle vor meinen Augen vermischte sich mehr und mehr, mit einer warmen Helligkeit. Die Helligkeit wurde stärker, bis die Dunkelheit völlig verschwand und ich mühselig meine Augen öffnete. Zuerst blendete es. Doch dann realisierte ich, dass die ersten warmen Sonnenstrahlen des Frühlings, an meiner Nasenspitze kitzelten. Solch eine Wärme zu spüren und das am frühen Morgen, war eine relative Seltenheit in Finnland. 

Kurz reckte ich meinen Kopf dem Licht entgegen. Die Sonne leistete bereits ganze Arbeit und strahlte durch das kleine Holzfenster unseres Schlafzimmers hindurch. Ich glaubte erst, dass ich mich noch im Traum befinden musste. Aber als ich dann Samu friedvoll und lächelnd neben mir schlafen sah, wusste ich, dass die Wirklichkeit wieder im Raum stand. Ein Weilchen betrachtete ich meinen Ehemann. Er machte einen solch unwiderstehlichen Eindruck. Die kuschelige Bettdecke verhüllte nur zur Hälfte seinen durchtrainierten, nackten Oberkörper. Seine muskulösen Oberarme, hatte er über seinem Kopf ausgestreckt und ein leises Schnarchen vermochte ich auch zu hören. 

Sachte strich mit meinen Fingerspitzen durch sein Haar, dass so unglaublich weich war. Während ich das tat, breitete sich das Lächeln auf seinen Lippen immer mehr aus. Er war glücklich. Ich war glücklich. Was sollte man mehr wollen? 

Gestern war unser Tag gewesen - unsere Hochzeit. Von nun an, würden wir das Leben gemeinsam bis zum Ende bestreiten und ich konnte es kaum noch erwarten, dies endlich zu beginnen. Stolz konnte ich mich von nun an, Yvonne Haber nennen. Ich liebe es. 

Samu sah so entzückend aus, dass ich ihn auf gar keinen Fall wecken wollte. Also stand ich leise auf, suchte mir meine Sachen zusammen und zog mir meine weichen Kuschelsocken über. Sachte schlich ich mich auf Zehenspitzen aus dem Schlafzimmer und suchte mir den Weg zur Terrasse. Bevor ich jedoch hinaus trat, warf ich mir die große Sofadecke über. Denn trotz der herrlichen Frühlingssonne, waren die Außentemperaturen doch recht kühl. Mit großer Achtgebung, dass ich nicht zu laut sein würde, öffnete ich die Tür und trat in den Morgen hinein. Ich zog die Decke noch dichter an mich heran und lief geradewegs, auf dem Pier entlang, der am See endete. Als ich dort ankam, machte ich kurzer Hand, Nägel mit Köpfen. Ich schlüpfte aus meinen Socken und tauchte meine Füße in das kühle Nass. Selbst die gefühlten Minustemperaturen, die nun meine Haut umschlossen, brachten mich noch immer nicht dazu, wahr haben zu wollen. 

Noch nicht einmal die friedvolle Ruhe, die über den See und den Wald zog, half. Es war wie in einem Traum. Gestern war der wohl schönste Tag meines Lebens gewesen. Nicht nur, dass ich den Mann meiner Träume heiratete und meine engsten Freunde und Familie diesen Moment mit erlebten - Nein! Klara sorgte zum Abendessen der Hochzeitsfeier, für den wortwörtlichen Höhepunkt. Die ganze Zeit über wunderte ich mich schon. Am Tage unserer Abreise, las sie mit großer Aufmerksamkeit den Wälzer von Anatomiebuch. Und dann ihr Latein - Gefasel. Eigentlich hätte ich von Anfang an schalten müssen. Mein wunderhübsches Mädchen, dass nun offiziell erwachsen war, will Ärztin werden. Ein Medizinstudium beginnen. 

Worte konnten nicht beschreiben, wie stolz ich auf meine Tochter war. Das mochte wohl jede Mutter sagen. Aber ich hatte wirklich das Gefühl, dass sie erst gestern auf die Welt kam, ihre Augen zum ersten Mal öffnete und lächelte. Und jetzt war aus ihr eine junge, hübsche Frau geworden und verfolgte ihren sehnlichsten Wunsch Ärztin zu werden. Wo war bloß die Zeit geblieben? 

Während ich über all das nach dachte, spürte ich, wie sich zwei starke Arme um meinen Körper legten und sich gleich zwei weitere Füße zu mir ins Wasser gesellten. "Du bist aber früh wach, Satu!", hauchte mir die tiefe, brummige Stimme von Samu ins Ohr. Ich musste schmunzeln. Er hauchte mir einen Kuss auf meine Wange und kuschelte sich mit in die große Decke. Nicht einmal ein Shirt hatte Samu sich angezogen. Seinen nackten Oberkörper konnte ich an meinem Rücken spüren. "Und du wirst dir noch die Grippe holen!", erwiderte ich feixend, genoss aber seine nackte Haut, die sich an meinen Körper schmiegte. "Ich glaube nach der letzten Nacht, hole ich mir garantiert keine Grippe. Die war einfach zu heiß. Findest du nicht auch, Frau Haber?", entgegnete er lachend und baute noch mehr Druck in die Umarmung auf. Die Röte schoss automatisch in mein Gesicht. Doch zu hören, wie er mich Frau Haber nannte, ließ sie wieder verschwinden. Fürs Erste genossen wir schweigend die geräuschlose Stille. 

Nach einer Weile fragte Samu: "Was tust du eigentlich hier draußen?" "Sind die Kinder etwa schon wach?", antwortete ich mit einer Gegenfrage und zerbrach mir schon innerlich den Kopf. Charlie und Klara bei ihrer Morgenroutine, war ziemlich nervenaufreibend. Einfach damit zu erklären, dass der Altersunterschied zwischen den Zweien, zu groß war. "Keine Sorge, Satu. Die liegen noch im Bett und träumen vor sich hin!", beruhigte Samu mich. "Gut...!", atmete ich auf und bettete meinen Kopf in seiner Halsbeuge. "Keine Ahnung, was ich hier mache. Nachdenken, die Ruhe genießen und mir Gedanken über Medizin machen.", sagte ich und schloss meine Augen, als Samus warmer Atem über mein Gesicht wehte. "Damit hat Klara wohl ein ganz großes Fass aufgerissen, was?", schien Samu meine Anspielung sofort zu bemerken. Ich verhakte unsere Finger ineinander: "Ja. Ich hätte mir nie vorstellen können das meine... unsere Tochter einmal ins Krankenhaus gehen und Kittel in weiß tragen würde. Und nach der Sache mit dem Koma dachte ich eigentlich, dass sie beruflich in eine komplett andere Schiene möchte." 

"Manchmal prägen aber bestimmte Erlebnisse einen Menschen zu sehr. Klara hat eine unglaubliche Begabung, die Leute um sich herum zu beobachten. Sie weiß sofort, wie es einem geht. Die Patienten haben Klara bestimmt dazu ermutigt.", philosophierte Samu vor sich hin. Ich liebte es, wenn er das tat. Ich hatte immer noch nicht heraus bekommen, wie er in jeweiligen Situationen, genau die richtigen Worte finden konnte. "Bestimmt...", stimmte ich nachdenklich zu. "Was ist, Satu?", wollte Samu wissen. "Ach, ich weiß nicht. Nenne mich eine überführsorgliche Mutter. Doch ein wenig Angst habe ich schon. Das Medizinstudium ist nicht gerade leicht. Sie muss also ein sehr gutes Abitur haben, um überhaupt zugelassen zu werden. Des Weiteren, beansprucht es stark die Psyche. Sie muss von zu Hause ausziehen, eine passende Universität finden und sich ein komplett neues Leben aufbauen. Ich mache mir Sorgen, Samu!", entgegnete ich. Weiter konnte ich jedoch nicht sprechen, denn sogleich, spürte ich seine weichen Lippen auf meinen. "Du hast mir schon 100 Mal erzählt, dass Klara das Temperament von mir hat. Natürlich mache ich mir auch Sorgen. Das liegt wohl in der Natur jeder Eltern. Doch man bekommt Kinder um sie zu lieben und sie schlussendlich selbständig ins Leben gehen zu lassen. Klara ist so stark. Sie wird das schaffen, da bin ich mir sicher!", flüsterte er mir an meine Lippen. Unsere Blicke trafen sich. Seine Augen waren voller Liebe, Wärme und Wahrheit. Ich glaubte ihm jede einzelne Silbe. "Wie kann ich nur einen Menschen wie dich verdienen? Was wäre ich nur ohne dich?", fragte ich mich selbst und auch meinen Ehemann. "Eine schrecklich einsame, bemitleidenswerte Frau!", scherzte er und küsste mich nochmals. "Du Schuft!", presste ich unter Küssen hervor und schlang meine Arme um seinen Hals. 

"Gehen wir zurück und wecken die Kinder. Ich glaube mein Magen beginnt gerade höllisch zu knurren!", schlug Samu nach unserer niedlichen Kampelei vor. Schmunzelnd nickte ich. Grazil erhob er sich, half mir auf die Beine und legte die Decke um uns Beide. So liefen wir gemeinsam zurück zur Hütte. 

Wir verbrachten noch wunderschöne zwei Wochen hier am Tuusula - See. Bessere Flitterwochen konnte man sich nicht vorstellen. Zeit mit der Familie war das, was wahres Glück ausmachte. Dies wurde mir von Moment zu Moment klarer. Leider musste der Urlaub irgendwann ein Ende nehmen. Und schlussendlich saßen wir wieder im Flieger nach Berlin. Dieses Jahr würde eines der besten meines Lebens werden.              


Sie soll leben // Samu Haber & Yvonne Catterfeld FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt