KAPITEL 50

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( Sicht Samu ) 

Am nächsten Morgen beschloss ich, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Zum wiederholten Male machte sich Yvonne Vorwürfe und redete sich ein schlechtes Gewissen ein. Das musste ein für allemal aufhören. Ich war der festen Überzeugung, dass Yvonne keine Schuld an Klaras Fall ins Koma trägt. Auch wenn ich ihr dies noch gestern in der Nacht eintrichterte, glaubte ich noch nicht, dass sie es wirklich eingesehen hatte. Deswegen war das Gespräch zwischen mir und Klara unglaublich wichtig. Ich bin mir sicher, wenn sie meine Sicht der Dinge erklärt bekommt... Übermittelt kriegt, dass ich wegen ihrem jahrelangen Geheimnis nicht böse war. Manchmal musste man sich im Leben auch unangenehmen Dingen stellen. Auch meine 17 jährige Tochter sollte dies wissen.

Nachdem Yvonne und ich Charlie gemeinsam in den Kindergarten brachten, fuhren wir auf direktem Weg zum Krankenhaus. Wenn ich mich auch auf die Straße konzentrierte, huschte mein Blick immer wieder flüchtig zu Yvonne. Ihr Blick war leer. Sie starrte auf die mittlerweile verschneiten Straßen von Berlin und rührte sich nicht. "Ihr beide werdet wieder zueinander finden!", versicherte ich ihr gutredend. "Meinst du wirklich?", fragte sie mit großer Unsicherheit in der Stimme. "Und ob... Klara wird mir zuhören müssen!", gab ich darauf zurück. Ein zaghaftes Lächeln umspielte Yvonnes Lippen. "Ich liebe dich, Samu!", sprach sie zu mir und legte ihre Hand auf meinem Oberschenkel ab. Sofort umgriff ich diese: "Ich liebe dich auch!"  So fuhren wir weiter durch das weiße Dezember - Berlin. 

Am Krankenhaus angekommen, griff ich fest entschlossen um Yvonnes Körper und zog sie mit mir. Mit jedem Schritt, den wir näher an Klaras Station und somit auch zu ihrem Zimmer kamen, schnappte Yvonne beinahe nach Luft. Sie hatte immer noch gewisse Vorstellungen. Doch das brauchte sie nicht. Das versuchte ich ihr mit meiner Nähe zu vermitteln. Letzen Endes, gelangten wir zur besagten Tür, die zu Klaras Zimmer führte. "Du musst nicht hier vor der Tür warten. Es wäre nicht gut für dich. Kaufe dir einen Kaffee und setze dich in den Wartebereich. Ich hole dich dann!", erklärte ich ihr ruhig, während ich nach ihren Oberarmen griff und mit meinen Daumen sanft daran entlang strich. Yvonne nickte nur und schluckte einen dicken Kloß in ihrem Hals herunter. Ich gab ihr einen aufmunternden Kuss auf ihre Stirn und öffnete schließlich die Tür. 

Als ich das Zimmer betrat, platzte ich gerade mitten in eine Therapie. "Oh Klara sieh mal! Du bekommst Besuch. Dann müssen wir hier abbrechen. Ab jetzt werden wir jeden Tag an deiner Aussprache und Motorik arbeiten. Schließlich möchtest du ja spätestens zu Weihnachten heim kommen.", stand ein junger, rothaariger Mann auf und schlich sich fix an mir vorbei. Verwirrt von dieser Szene, sah ich meine Tochter mit krausgezogener Stirn an. Klara öffnete langsam ihren Mund und krächzte: "Ergotherapie!"  Dann verstand ich und trat an ihr Bett heran. "Möchtest du dich nicht aufsetzen? Deine Muskeln müssen wieder bewegt werden!", schlug ich lächelnd vor und suchte bereits nach der Fernbedienung für ihr Bett. Plötzlich bekam sie große Augen und es nahm den Anschein, als wolle sie wild mit ihrem Kopf schütteln. "Nun komm! Das wird schon!", winkte ich ab, stellte das Kopfteil ihres Bettes nach oben und richtete sie so, dass Klara nun aufrecht saß. "Ich habe Durst!", äußerte Klara und rollte mit ihren Augen in Richtung eine komisch aussehenden Schnabeltasse. Grinsend reichte ich sie ihr und unterstützte sie beim Einflößen des Getränkes. "Gerade einmal einen Tag wieder wach und schon stellst du Ansprüche. Du bist wirklich eine gute Mischung aus mir und deiner Mutter!", schmunzelte ich sie an. 

Klara erwiderte mein Schmunzeln, verstummte aber, als ich das Wort Mutter gebrauchte. Da es ihr noch schwer fiel, die richtigen Worte zu formulieren, murmelte sie ständig vor sich hin: "Nicht! Nein, nein!" Jetzt musste ich derjenige sein, der den Kopf schütteln musste. "Darf ich deine Mama nicht erwähnen? Wir beide waren, so oft es uns möglich war, bei dir. Sie sogar mehr als ich. Wahrscheinlich machte sie es, um ihr völlig unbegründetes und schlechtes Gewissen zu beruhigen. Sie hat es immer noch. Aber ich bin der Meinung, dass deine Mama es nicht nötig hat!", erwiderte ich nur schulterzuckend auf ihre Reaktion. Klara verzog das Gesicht und diesmal gelang es ihr, mit dem Kopf zu schütteln. "Mama... Sie hat... gelogen, Samu! Du bist mein... wahrer Vater... Bist du nicht..?", sprach sie angestrengt. "Wütend oder zornig auf sie?", vervollständigte ich und blickte sie fragend an. Klara klimperte einmal mit ihren Wimpern - das Zeichen für Ja. Sanft strich ich ihr eine Haarsträhne hinter dem Ohr fest und legte meine Hand auf ihre Wange. "Nein! Das bin ich nicht. Du warst für eine ganze Zeit lang weg vom Fenster, Tytär. Deswegen wird dich das nun ein klein wenig schocken aber es ist nun einmal geschehen. Deine Mama und ich leben zusammen als Paar. Nach 18 Jahren, liebe ich sie immer noch! Das wirst du leider akzeptieren müssen!", tastete ich mich langsam auf das nun kommende Gespräch heran. Beinahe trotzig drehte sie ihr Gesicht von mir weg. "Sieh mich an, Klara!", forderte ich sie leicht streng auf. Wiederwillig tat sie mir den Gefallen und ihre Augen blitzten auf. "Tue ich... nicht!", erwiderte sie darauf. "Klara, bitte höre auf mit diesem Theater! Ja es stimmt. Deine Mama hat uns Beide jahrelang belogen und es war ihr größter Fehler in ihrem Leben. Das sagte sie mir und auch sich selbst. Immer wieder. Aber vielleicht war es auch gut so, dass sie geschwiegen hat.", stützte ich meine Tochter zurecht. Jetzt war Klara es, die sichtlich verwirrt war. Ich erklärte sofort weiter: "Ich war nicht derselbe Mensch wie heute, Tytär. Fixiert darauf, endlich mit meiner Musik etwas zu erreichen, habe ich die Familienplanung ausgeblendet. Verstehe mich nicht falsch aber ich hätte damals wahrscheinlich verlangt das Kind, also dich, abzutreiben. Ich liebte deine Mutter und sie war mir wichtig. Jedoch hätte ich keinen Nachwuchs gewollt, solange ich kein Geld mit der Musik verdiente. Schließlich musst du deinem Kind etwas bieten können und ihm eine schöne Zeit ermöglichen. Und so weit, war ich ganz einfach noch nicht!"

Diese Worte hatten gesessen. Es mochte sich hart anhören, doch es war die Wahrheit. Offenbar hatte sich Klara eine andere Antwort erhofft. "Sie... hatte also Angst und wollte mich... schützen?", krächzte Klara nach wenigen Augenblicken der Stille. "Ich nehme es stark an, Klara!", erwiderte ich und zog ein Lächeln auf. "Du bist nächstes Jahr volljährig. Das heißt, dass du dann erwachsen bist. Ich bin davon überzeugt, dass du tief in deiner Seele weißt, wie schwer die Zeit für deine Mutter war. Beinahe täglich hat sie dich besucht. Trotz einer Beziehung, einem 3 jährigem Kind und dem Beruf als Sängerin. Deine Mama hat sich Zeit für dich genommen und verschob sogar deswegen Konzerttermine und Autogrammstunden. Alles für dich, Klara!", untermauerte ich meinen Standpunkt. "Wirklich?", hauchte sie und einige Tränen bildeten sich in ihren Augen. Sofort zog ich ein Taschentuch aus meiner Jackentasche und wischte ihr führsorglich die dicken Salztropfen weg. "Wirklich! Sie ist hier. Ich bitte dich. Ihr habt eine Verbindung, die einzigartig ist. Höre ihr zu und sprich dich mit ihr aus!", sagte ich. Nach angestrengten Überlegen, nickte Klara schließlich schwerfällig. "Wie schön. Du liebst doch deine Mutter, oder?", fragte ich eindringlich und legte nochmals meine Hand auf die Wange meiner Tochter. Wieder nickte sie. "Na siehst du! Ich hoffe diese Gespräch zwischen euch geht gut aus. Schließlich möchten wir dich Weihnachten zu Hause haben. Das Fest und die Feiertage gemeinsam mit dir verbringen.", atmete ich erleichtert durch und strahlte mein Kind förmlich an. Doch dann...

Mit aller Kraft ruckelte sie im Bett herum, versuchte sich aufzustützen und fiel mir schließlich direkt an die Brust. Erschrocken fing ich das zerbrechliche Mädchen auf. "Alles in Ordnung? Fühlst du dich nicht wohl?", erkundete ich mich an ihrem Befinden. Doch Klara schmiegte sich erst eng an mich und sah dann zu mir auf. "Danke Papa!", entgegnete sie. Ich traute meinen Ohren kaum und mir blieb die Spucke weg. "Wie war das?", stotterte ich plötzlich. "Papa...! Der bist du doch für mich!", hauchte sie und ich hörte heraus, dass es für sie wohl selbstverständlich war. Ich nahm das Gesicht meiner Tochter in die Hände und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Ich hole nun deine Mama herein. Einverstanden?", stellte ich noch einmal klar.

"Ja!"






Sie soll leben // Samu Haber & Yvonne Catterfeld FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt