KAPITEL 34

736 32 7
                                    

( Sicht Yvonne ) 

"Ach, dann bleibe und versauere doch auf diesem Ast. Ich bleibe bei meiner Meinung!", schrie Samu nur noch hinauf zu mir. Dann konnte ich nur noch wahrnehmen, wie Samu wütend und fluchend zurück ins Haus stampfte. Für einen Augenblick fühlte ich mich, als ob ich gerade auf dem wohl berühmten Siegertreppchen stehen würde. Es fühlte sich seltsam berauschend und wohltuend an, so stur zu bleiben. Obwohl er mir sagte seine Meinung nicht ändern zu wollen, war ich fest davon überzeugt, das er es noch tuen wird. 

Zugegeben, das ich auf die kleine Birke geklettert bin, war in wirklicher Hinsicht sinnlos und kindisch gewesen. Dahingehend hatte Samu Recht. Doch nur mit Reden und Anschreien, konnte ich ihn doch nicht davon überzeugen, auf Tour zu gehen. Seufzend lehnte ich mich am hellem Baumstamm der Birke an und starrte in den Nachthimmel. Es war eine glasklare Nacht und die vielen Sternenbilder erstreckten sich über mir. Als könnte man in jedem Moment seine Hand nach Ihnen ausstrecken. Mit einem Mal kam eine ganz genaue Erinnerung in mir hoch...

>>> Klara war vor 11 Jahren auf genau dieselbe Birke geklettert, auf der ich nun verweilte. Es kam mir so vor, als wäre es gestern gewesen. Klara war 6 Jahre alt. Es war kurz vor ihrem Schulanfang und ich diskutierte mit meinem Kind lautstark darum, ob sie nun das hellgrüne oder das rosageblümte Kleid zur Aufnahmefeier in der Aula tragen sollte. Im Nachhinein, musste ich höllisch darüber schmunzeln. Warum hatte ich mit einem kleinem, 6 jährigem Mädchen über ein Kleid gestritten? Jedenfalls war ich darauf aus, dass Klara unbedingt das Blümchenkleid anziehen sollte. Meine Mutter hatte es ihr gekauft und ich versprach ihr, dass Klara es auch tragen sollte. Doch als ich Klara das Kleid vorstellte, verzog diese angewidert das Gesicht und warf es trotzig zu Boden. "Nein Mama! Das ist hässlich. Sowas will ich nicht anziehen!", konnte ich ihre süße, kindliche Stimme von damals vernehmen. Wie ihr Vater, dachte ich mir nur. "Was willst du denn stattdessen anziehen, Liebling?", fragte ich etwas traurig und hob das Kleid wieder auf. Fest entschlossen lief Klara mit ihren kurzen Beinen zu ihrem Schrank, der ihr zu groß war. Mit verschränkten Armen beobachtete ich mein kleines Mädchen dabei, wie sie sich einen Hocker vor den Schrank schob, darauf stieg und im offenen Schrank herumwühlte. "Das da!", rief sie freudig und kam mit einem leuchtend hellgrünen Kleid zurück, dass ich ihr von einer meiner Städtereisen mitbrachte. Es war hübsch. Doch für einen Schulanfang, fand ich es etwas zu ,,normal"

"Klara, das ist zwar sehr schön. Aber deine Oma hat dir das Blumenkleid gekauft. Und sie wäre sicher sehr enttäuscht, wenn sie im Publikum sitzt und sieht, dass du es nicht anhast!", redete ich ihr gut zu. Doch Klara dachte gar nicht daran auf mich zu hören. "Mama, ich ziehe das an oder Garnichts! Dann gehe ich eben nicht zur Schule!", fauchte mein kleines Mädchen. Und schon wieder kam mir der Gedanke: Sie ist wie Samu, ihr Vater!

"Klara, es reicht! Du ziehst das Blumenkleid an und das ist mein letztes Wort! Hast du das verstanden?", sagte ich ihr in einem strengem Ton und griff fest nach ihren Händen. Klara kniff daraufhin wütend die Augen zusammen, riss sich mit aller Kraft von mir los und stürmte aus ihrem Zimmer. Beide Kleider warf sie mir wütend an den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein! Ich war ihre Mutter! "Sofort stehen bleiben, Fräulein!", schrie ich ihr durch das Haus hinterher. Doch es kam keine Reaktion. Aufgebracht lief ich meiner Tochter hinterher. Gerade konnte ich sie im Wohnzimmer erhaschen. "Klara!", rief ich und stampfte wutentbrannt mit dem Fuß auf den Boden. Doch meine Tochter hörte nicht auf mich. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, öffnete die Terrassentür und rannte hinaus in den Garten, der damals nicht so schön gepflegt war wie heute. So schnell konnte ich gar nicht gucken, da nahm sie ihre ganze Kraft beisammen und kletterte geschickt auf die kleine Birke. Ich musste wirklich die Fassung behalten. Also atmete ich ein paar Mal tief durch, sodass sich mein Puls wieder normalisierte. Ruhig und gelassen folgte ich meiner Tochter, die bockend und mit verschränkten Armen auf dem dünnen Ast hockte. In mir stieg die Angst hoch, sie könnte herunterfallen. Ich versuchte meinen Arm nach ihr auszustrecken, doch Klara wich mir aus. "Was soll denn das, Liebling? Komm herunter. Ich helfe dir!", sagte ich und setzte ein versöhnendes Lächeln auf.  Leider bekam ich nicht die Reaktion, die ich mir erhofft hatte. "Mama, ich komme nicht herunter. Ich will hier oben bleiben!", murrte sie und schaute bewusst von mir weg. Mit einem Mal musste ich lachen: "Und wie lange willst auf dem kalten Ast sitzen bleiben?" "Solange, bis ich das tolle Kleid anziehen darf. Das Grüne!", kam es von Klara, wie aus der Pistole geschossen. Schon wieder dieser Satz. Doch als ihre Mutter, wollte ich sie natürlich davon überzeugen, dass ich Recht hatte. "Du bist doch schon fast ein Schulkind. Und du musst dich damit anfreunden, dass man nicht immer das bekommt was man will!", erklärte ich ihr bestimmend.  "Aber ich will das grüne Kleid anziehen!", Klara war nicht von ihrem Stand umzustimmen. "Du wirst schon sehen, was du davon hast. Dann bleibe doch da oben!", gab ich schließlich auf und ließ meine 6 jährige Tochter auf der Birke sitzen. Als ich ins Haus zurück ging, sah ich noch einmal zu ihr. Klara machte keine Anstalten herunter zu kommen. 

Immer wieder versuchte ich mit dezenten Taten, sie dazu zu bewegen, doch vom Baum zu klettern. Ich schaltete ihre Lieblingsmusik an, lief demonstrativ mit ihrem Lieblingseis am Baum vorbei oder versuchte sie mit Kuscheltieren herunter zu locken. Völlig durchgeknallt. Aber was sollte ich auch tun? Ich war genauso stur, wie meine Tochter.  Doch leider brachte auch das nichts. Kein Versuch zeigte Wirkung. Fast 2 Stunden verbrachte sie da oben, ohne sich zu bewegen. Irgendwann beendete ich, was ich begonnen hatte und betrat Klaras Zimmer. Um die Kleider vom Boden aufzuheben. Ich stellte Beide gegenüber und ließ ein paar tiefe Seufzer aus meiner Kehle. Nach einer Weile musste ich mir eingestehen, dass Klara wirklich das tragen sollte, was ihr gefiel. Ich schüttelte lachend den Kopf und hang das Blumenkleid zurück in ihren Kleiderschrank. Das Grüne hang ich ordentlich auf einen Bügel und ging damit zu der Birke, auf der Klara immer noch saß. Ich reckte mein Kopf kurz in die Höhe. Immer noch keine Regung. Ruhig positionierte ich das Kleid an einem hervorstehenden Ast und schlürfte gemütlich zurück in mein Wohnzimmer. Dort angekommen setzte ich mich auf das Sofa und nahm mein angefangenes Buch in die Hand. Lange dauerte es nicht, da hörte ich wie sich die Terrassentür öffnete und eine über beide Ohren strahlende Klara durchtrat. Sie hatte ihr Lieblingskleid fest an sich gedrückt. Ich legte mein Buch auf dem Tisch ab und sah sie an. Klara grinste mich schon beinahe triumphal an. Das durfte sie auch. Sie hatte erreicht, was sie wollte. So schnell konnte ich nicht schauen da lief Klara mir entgegen, kletterte zu mir auf das Sofa und schlang ihre Arme um meinen Hals: "Danke Mama! Ich habe dich so lieb!" <<<

Ich schmunzelte unaufhörlich bei dieser Erinnerung. Langsam wurde mir kalt und mir kam es in den Sinn, dass ich Samu gegenüber vielleicht doch etwas zu grob war. Aber ich wollte, dass er auf Tournee ging. Es würde ihm eine Art Ausgleich zu unserem sorgevollen Alltag geben. Ich wollte ihm aber keine Vorwürfe machen. Samu fehlte mir und das Einzige was ich nun wollte, war in seinen Armen zu liegen ohne auf das besagte Thema zu kommen. Leichtfüßig glitt ich vom Ast herunter und kam unten mit beiden Füßen auf dem Rasen auf. Alles Licht im Haus war erloschen. Ob Samu wohl schon schlief? 

Ich betrat das Haus, machte mich bettfertig und ging leise in das Schlafzimmer. Es war stockdunkel. Doch ich konnte halb erkennen, dass sich Samu zur Seite gedreht hatte und sich nicht rührte. Verdammt, er schlief schon! Entschlossen legte ich mich zu ihm ins Bett und drehte mich weg von ihm. Gerade als ich im Begriff war einzuschlafen, konnte ich ihn flüstern hören: "Satu?" Kurz darauf spürte ich, wie er sich zu mir drehte und mir über die Haare streichelte. Langsam drehte ich mein Gesicht zu ihm und konnte schemenhaft sein besorgten Blick erkennen. "Satu, ich... Es tut mir Leid. Wieso streiten wir überhaupt über so etwas? Ich werde...", raunte er reuevoll. Doch ich unterbrach ihn, indem ich ihm meinen Zeigefinger auf die Lippen legte. "Nicht Samu! Bereden wir das morgen!", flüsterte ich zurück. Ich drückte ihn sanft auf den Rücken und legte meinen Kopf in seine Armbeuge. Augenblicklich zog er mich eng an sich und hauchte mir einen Kuss auf meine Stirn, wovon ich lächeln musste. "Was hat dich überhaupt dazu bewegt, vom Baum herunter zu kommen?", fragte Samu gähnend. "Eine schöne Erinnerung an vergangene Tage. Aber jetzt, schlafe Samu!", hauchte ich in seine Richtung, ehe ich ihm einen gute -Nacht- Kuss gab. Wir mussten die Sache mit der Tour noch unbedingt besprechen, doch dazu hatte ich nun keine Lust mehr. Ich wollte nun nichts weiter, als in Samu's Armen einschlafen. Nur kurze Zeit später konnte ich vernehmen, wie sich sein Brustkorb ruhig hob und senkte. Samu war eingeschlafen, hielt mich aber trotzdem noch fest umschlossen. Seine Nähe tat mir so gut, dass auch meine Augenlider schwerer wurden und ich wenig später auch eingeschlafen war. 





Sie soll leben // Samu Haber & Yvonne Catterfeld FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt