45. Hässliche Weihnachtsgeschenke

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Im Gegensatz zu El ging sie sofort dran, doch noch bevor ich Hi sagen konnte, enttäuschte sie mich auch schon: „Hey, Carter, es ist gerade ganz schlecht. Ich rufe dich gleich—"

„Lass gut sein, ich gehe schon", hörte ich jemanden im Hintergrund zischen und runzelte die Stirn. Manon seufzte und ließ ein „Nein!" hören, bevor sie auflegte.

Verdattert starrte ich mein Handy an und versuchte die Stimme zuzuordnen. Sie war weiblich und etwas tiefer. War das etwa... Riana?

Es dauerte tatsächlich keine fünf Minuten, bis Manon mich zurückrief. Genervt stöhnend beschwerte sie sich kurz über irgendwas, das ich nicht ganz verstand, und riss sich dann wieder zusammen: „Also, was war los?"

Ich seufzte leise. „Kann ich rüber kommen?"

Es herrschte kurz Stille, in der ich realisierte, woran sie denken musste und schnell hinzufügte: „Aus nichtsexuellen Gründen."

„Oh, okay", sie klang erleichtert. „Gut. Amor ist nämlich Zuhause. Ist was passiert?"

„Ich erklär's dir am Besten, wenn ich bei dir bin. Bis gleich."

„Okay, bis gleich, Carter."

Ich legte auf und schnappte mir eine andere Jacke aus meinem Schrank, die nicht komplett durchnässt war. Der Sturm hatte sich etwas gelegt, doch ich würde trotzdem das Auto nehmen. Hoffentlich hörte Julie den Motor nicht, denn ich wollte ihr ganz sicher nicht erklären, was ich unter meiner Jacke versteckte und weshalb ich wieder abhaute.

Lautlos schlich ich nach unten und schlüpfte in meine Schuhe, bevor ich leise die Haustür hinter mir schloss. Etwas angespannt lief ich zum Auto und stieg fröstelnd ein.

Um ehrlich zu sein, hatte ich schon etwas Schiss vor Manons Reaktion. Sie wusste nicht, dass ich von ihrer Bisexualität wusste und ich wollte es ihr eigentlich auch nicht so ins Gesicht klatschen, aber es wurde genauso sehr langsam Zeit, dass diese Person Hilfe bekam.

Während der kurzen Fahrt malte ich mir mögliche Szenarien aus, wie das jetzt ablaufen könnte, bevor ich schon viel zu schnell klingelte und wenige Sekunden später in Manons neugieriges Gesicht sah.

Sie umarmte mich kurz und zog mich mit rein. „Amor macht ein Nickerchen, also wundere dich nicht, warum er dich nicht anspringt." Sie lächelte und legte plötzlich den Kopf schief. „Was hast du da in der Hand?"

„Können wir eben in dein Zimmer?"

Sie nickte und hatte es plötzlich ganz eilig. „Ist das ein Heft? Wenn ja, dann habe ich dasselbe. Meins ist nur eindeutig sauberer."

„Echt?", fragte ich nur verwundert. „Genau dasselbe?"

Sie zuckte die Achseln und nahm es mir ab. „Sieht aus wie das Notizbuch mit dem veganen Leder und neonblauen Band, das Daniel letztes Jahr mir und ein paar Freunden zu Weihnachten geschenkt hat. Sehr einfallsreich, ich weiß. Und überhaupt nicht hässlich", sie verdrehte die Augen und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer.

„Wer alles hat eins bekommen?", fragte ich und folgte ihr hinein.

„Das weiß ich nicht so genau", sie zuckte die Achseln. „Warum fragst du?"

Ich drehte mich unentschlossen um und zögerte kurz, bevor ich ihre Tür wieder zustieß.

„Das ist ein Tagebuch", begann ich dann zu erklären. „Ich hab's El bereits gezeigt, nachdem ich es im Park bei mir in der Nähe gefunden habe, aber sie ist sich auch nicht sicher, wem es gehört."

Sie betrachtete mich verständnislos und begann nun, drin zu blättern. „Warum wollt ihr das denn wissen?"

„Weil es ihr nicht so gut zu gehen scheint."

„Ihr?", fragte Manon nun und deutete auf die Couch hinter uns. Ich setzte mich hin und sah ihr dabei zu, wie sie stehend begann die erste Seite zu lesen.

Nickend blickte ich kurz weg. „Ja."

„Hm...", sie schüttelte leicht den Kopf und sagte genau, was ich erwartete: „Hier steht aber, dass keiner herausfinden wird, welches Geschlecht sie hat."

„Ja, aber sie nennt sich selbst Freundin, daher denken wir, dass sie weiblich ist."

Manon zog eine Augenbraue hoch und nickte schließlich zustimmend. „Okay, und du möchtest das ich das jetzt lese, um dir dabei zu helfen, ihre Identität aufzudecken?"

„Naja", ich presste kurz die Lippen aufeinander. „Du musst es nicht wirklich durchlesen..."

„Woher soll ich dann wissen, wer es geschrieben hat?"

Augen zu und durch, Carter. „Weil sie erzählt, dass du in sie verliebt bist."

Als ich das aussprach, erblasste Manon fast in Sekundenschnelle. „Sie... was?!"

Ich wiederholte mich nicht.

„Oh."

Jetzt folgte eine sehr unangenehme Stille und ich wusste, es war Zeit für mich zu gehen.

„Kannst du dich um sie kümmern?"

Manon schluckte schwer und starrte mich schockiert an, bevor sie langsam zu sich kam.

„Ja", murmelte sie nun heiser. „Überlass mir das. Danke fürs Vorbeikommen, Carter."

„Ähm, gerne", antwortete ich verunsichert und stand auf. „Wir sehen uns."

Darauf kam keine Antwort mehr. Sie blickte mich nichtmal mehr an und begann nun, den Rest des Tagebuchs zu lesen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen verließ ich ihr Zimmer und beschloss, Amor zu finden und zu wecken. Er würde Manon jetzt besser beistehen können als ich, denn diese schien dieses Thema echt zu belasten.

BorderlineWhere stories live. Discover now