Kapitel 5: Narfi Adams

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Vali drehte seinen Kopf ruckartig zu Narfi und starrte in dessen perfektes Gesicht, das solch eine Ernsthaftigkeit ausstrahlt, dass es ihm schon beinahe Angst machte.

"Wieso machst du das? Willst du so unbedingt mit mir befreundet sein?"

"Nein.", sagte Narfi gelassen und lächelte schief.

"Was willst du dann?"

"Dich vor dieser Welt beschützen.", lautete die Antwort des Jungen mit den Eisaugen und Vali wusste nicht so Recht, ob er sich mit dieser zufriedengeben konnte.
Er hätte am Liebsten noch einen Haufen Fragen nach Narfis Beweggründen stellen wollen, doch dieser drehte sich um und verschwand.
Es wirkte ganz so, als ob es für Narfi gar nicht wichtig war, sich mit ihm auszutauschen.
Narfi schien nur daran interessiert, Vali im Auge zu behalten.

Ich achte darauf, dass es dir gut ergeht, doch werde ich nicht immer eingreifen können.

Nach diesem seltsamen Gespräch konnte Vali nicht ausschließen, dass auch Narfi ein Kandidat war, den Brief geschrieben zu haben.
Wenn der Brief aus dem Waisenhaus kam, brauchte er natürlich auch keine Briefmarke!
Doch wenn Narfi das Schreiben verfasst hatte, wer war dann der mysteriöse Mann im Park gewesen?!

Vali fuhr sich erneut durch die Locken und versuchte angestrengt seine Gedanken zu fokussieren.

Narfi.

Wie viele Buchstaben hatte der Name?

N-A-R-F-I.

Das waren fünf und nicht vier...
Konnte er Narfi deswegen als Absender ausschließen? Wohl kaum. Der andere Junge hätte wohl eher nicht gewollt, dass Vali glaubte, er wäre der Absender.
Vielleicht sollte ihn das aber auch einfach nur in die Irre führen...

"Vali?!", hörte er plötzlich jemanden sagen.
Katerina, eine der Erzieherinnen, stand neben ihm, eine Kippe im Mund und schon bereit sie anzuzünden. Sie schien ihn erst jetzt bemerkt zu haben.

"Ähm hi.", stotterte er, genau wissend, dass er sich während der Essenszeit eigentlich nicht hier draußen aufhalten sollte.
Sein Blick fiel auf die Kippe:
"Ehrlich jetzt? Du hast das Rauchverbot auf dem Gelände erhoben. Gerade du rauchst?!"

Sie verzog das Gesicht und zündete ihre Zigarette an.
"Na gut. Ich hab dich hier draußen genauso wenig gesehen, wie du mich beim Rauchen. Und jetzt ab mit dir!"

Ihre Worte waren undeutlich, da sie keine Anstalten machte, die Zigarette aus dem Mund zu nehmen um zu reden.
Vali verdrehte die Augen, stand auf und schlenderte zurück zum Hinterausgang.

"Wo warst du bitte?", fragte Clark, wie immer etwas zu neugierig.

"Narfi hat kurz nach dir schlagartig den Raum verlassen. Was ist denn passiert?", fügte er hinzu, als Vali nicht auf seine erste Frage antwortete.

"Mir war kurz schwindelig und ich musste frische Luft schnappen. Zufrieden?", knurrte Vali.

Wieso verstand niemand, dass er nicht mit ihm reden wollte?
Was er wirklich wollte war, herauszufinden, wer der Typ im Park gewesen ist, wer der Schreiber war und ob es ein und dieselbe Person sein konnte.
Und er wollte, dass seine Verdammten Kopfschmerzen endlich verschwanden.

Clark drehte sich weg, er schien aufgegeben zu haben mit Vali zu reden.

Na endlich., dachte der Junge erleichtert und wartete gespannt darauf, dass er sich endlich vom Esstisch erheben und zurück in ihr Zimmer gehen durfte.
Zum Glück war Wochenende und er hatte den ganzen Tag Zeit, sich über dieses ganz persönliche Rätsel Gedanken zu machen.

Er war sich ziemlich sicher, dass er in der Schule nicht die Spur Konzentration gehabt hätte, solange er den Brief tief in seiner Hosentasche vergraben wusste.

Als die Erzieher sagten, dass sich nun jeder verziehen könne wohin er wollte, stand Vali betont langsam auf und trottete zum Haupteingang davon.
Da es am Haupteingang auch eine Treppe zu den Fluren gab, schien Narfi keinen Verdacht zu schöpfen und folgte Vali nicht.
Nunja, noch wusste er ja noch nicht einmal, ob es etwas gab, dass Narfi wusste und er nicht. Ob es etwas gab, was er herausfinden könnte, was Narfi  verhindern wollte...

Einmal ins Freie getreten, schlug Vali zügig den direkten Weg zum Park ein. Die anderen Waisenkinder waren auf ihre Zimmer verschwunden oder spielten im heruntergekommenen Innenhof Basketball, daher musste er sich auch nicht verfolgt fühlen.
Und je schneller er ging, desto schneller konnte er zum Park.

Es war zwar zu bezweifeln, dass es dort noch irgendein Zeichen von dem Fremden Mann gab, doch der Brief und der Park waren Valis einzige Spuren zu dem anonymen Schreiber.

Er fröstelte, obwohl die Morgensonne bereits warm auf ihn herabschien.
Die so unschuldigen Worte in dem Schreiben, die klangen, als wären sie von einem Freund, gruselten ihn gehörig.
Die Vorstellung, dass eine Person einen andauernd beobachtete war extrem unheimlich und das du bist nicht allein, was zunächst einen ermutigenden Klang hatte, doch genauso gut eine Drohung sein konnte, machte die Situation nicht weniger schaurig...

Und nun rannte er, ein einfacher 15-jähriger Junge, einem Typen hinterher, der sich als potentieller Serienmörder herausstellen könnte.
Vali war sich immer noch nicht sicher, ob sein Handeln WIRKLICH gut durchdacht war.

Im Park angekommen, lief er automatisch zu der Stelle hinüber, an der der Mann gestern gestanden hatte und obwohl es nun nicht mehr dämmrig und kühl war, erfasste ihn sofort wieder dieses Gefühl, dass er gestern gehabt hatte.
Seine Nackenhärchen stellten sich auf und sein Kopf schien "SCHAU HINTER DICH" zu schreien.
Augenblicklich wirbelte Er herum, doch heute schien ihn sein Gefühl tatsächlich in die Irre geführt zu haben, denn hinter ihm war nichts.
Er lachte leise, drehte sich wieder um und verstummte vor Schreck.

"Hallo."

Geschockt starrte er die Person vor sich an, die dort stand, als wäre sie aus dem Boden gewachsen.

"Hab' ich dich etwa erschreckt?", grinste Narfi und vergrub lässig die Hände in den Hosentaschen.
Vali hätte am Liebsten vor Wut aufgeheult:
Da war er extra so langsam gegangen, dass Narfi niemals hätte vorhersehen sollen, dass er das Haus verlassen hatte und doch stand der ältere jetzt vor ihm, mit seinem Grinsen, das weder freundlich noch feindselig war.
Manchmal, dachte Vali, schien Narfis Grinsen eher eine Art Zähneblecken zu sein.
Vielleicht war es seine Art zu dominieren.

"Ja.", gab er schließlich zu und verhielt sich ebenfalls gelassen.
Warum sollte er Narfi eigentlich nicht den Brief zeigen? Vielleicht konnte er ja an dessen Reaktion erahnen, ob er nun der geheimnisvolle Schreiber war oder nicht...

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Ich hoffe es hat euch gefallen👏

Lokison- WolfheartedWhere stories live. Discover now