Chapter 6

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Nun waren schon zwei Wochen vergangen. Ich war wieder daheim und hatte nur noch eine Naht an meiner Schläfe. Meine Eltern hatten natürlich einen riesen Schock bekommen, als das Krankenhaus angerufen hatte. Nun saß ich wie gewohnt in meinem Rollstuhl und machte meine Hausaufgaben. Lukas und ich telefonierten jeden Tag. Und wenn es mal nicht klappte, dann schrieben wir. Es war genau das eingetroffen was ich befürchtet hatte. Ich vermisste ihn schrecklich. Und wer wusste schon wann ich ihn wieder sehen würde. Ich nahm mein Handy in die Hand und sah, dass Lily online war. Seit sie von Lukas Luis' Handynummer hatte war sie irgendwie dauerhaft online. Ich glaubte sie mochte ihn inzwischen mehr als Lukas. Ich legte mein Handy wieder beiseite und machte meine Hausaufgaben fertig. Dann nahm ich mir mein Buch und mein Handy -falls Lukas anruft- und fuhr raus auf die Terrasse. Gerade als ich anfangen wollte zu lesen klingelte mein Handy. Lukas. "Hey Lukas. Weißt du was zwischen Luis und Lily läuft? Ich glaube die schreiben 24/7 miteinander..." sagte ich. "Dir auch einen wunderschönen guten Tag Hanna." lachte Lukas. "Oh sorry." murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart. "Ich wollte dich eigentlich genau das selbe fragen, weil Luis nur noch am Handy ist. Schlimm. Ich erzähl ihm was. Er sitzt am Handy. Ich räume auf. Er sitzt am Handy. Ich mach uns was zu essen. Er ist am Handy und grinst. Ich telefoniere mit dir. Er sitzt am Handy. Sogar abends im Bett ist er noch am Handy. Schlimm. Ich fühle mich wie der Papa von einem Teenager." grinste Lukas.
Wir telefonierten noch lange und erzählten uns viel. Ich erzählte von der Schule und er von dem letztem Konzert der Code-tour und das er auf den Weg nach Hannover zu seinen Eltern war. Ich würde ihn gerne wieder sehen. Nachdem er auflegen musste weil er in Hannover angekommen war, fuhr ich wieder rein, weil es ziemlich frisch wurde und anfing zu regnen.


Dank unserer täglichen Gespräche wusste ich viel von ihm. Seine Mutter, Birgit, war Musiklehrerin an einer Grundschule, außerdem gab sie Kindern Klavierunterricht. Sein Papa, Michael, war Systemberater. Seine Schwester hieß Marie und hatte Mikrozephalie. Sie saß auch im Rollstuhl. Ich würde sie gerne mal kennen lernen. Sie ist vor kurzem 16 geworden und somit 1 Jahr jünger als ich. Vielleicht kann ich Lukas ja mal besuchen kommen und seine Familie kennen lernen. Bevor ich es vergaß schrieb ich direkt Lukas an. Er antwortete sofort mit einem: 'Klar. Hast du am Wochenende schon was vor?' Ich machte mein Handy wieder aus und fuhr in die Küche, da es Abendessen gab.
"Mama, darf ich am Wochenende nach Hannover?" fragte ich. "Was willst denn du in Hannover?" fragte sie und zog die Augenbrauen hoch. "Lukas besuchen." sagte ich ganz selbstverständlich. "Lukas besuchen? Wo du das letzte mal mit Lukas warst, mussten wir dich im Krankenhaus besuchen." fing das schon wieder an... Jeden Abend das gleiche. "Aber das lag doch nicht an Lukas. Das war allein meine Schuld. Ich hätte einfach Lily wecken oder einfach liegen bleiben sollen und dann wäre alles gut gewesen. Da hat Lukas gar nichts mit zu tun!" Meine Mutter schaute mich genervt an. "Ich lass dich doch nicht alleine mit so einem Handicap in diesem Ausmaß, alleine in eine große Stadt wie Hannover. Das geht nicht. Zumal ich diesen Lukas überhaupt nicht kenne. Der könnte sonstwas mit dir anstellen." Ich seufzte auf. "Mama, ich glaube nicht, dass Lukas was mit mir anstellen würde. Tausende von Mädels verehren ihn und ich bezweifle, dass er sich eine Rollstuhlfahrerin aussuchen würde. Zumal ich ja dann gar nicht alleine wäre, wenn Lukas bei mir ist und..." weiter kam ich nicht. "Schluss jetzt! Du bist BEHINDERT!  Keine Mutter der Welt würde seine behinderte Tochter mit einem völlig fremden Typen, der dazu noch berühmt ist, alleine in eine große Stadt wie Hannover gehen lassen. Das Thema ist jetzt abgehakt. Ich habe nein gesagt und dann heißt es auch nein!" Aua. Das war hart. "Ok." sagte ich leise,  drehte mich um und fuhr wieder in mein Zimmer. Ich nahm mein Handy raus und erzählte Lukas alles per Sprachnachricht. Am Ende kullerten mir ein paar Tränen über die Wange. Meine Mutter hatte mich noch nie 'behindert' genannt.
Ich ließ mich vom Rollstuhl auf den Boden fallen und machte mich schon mal bett fertig. Als ich gerade Richtung Dusche wollte, klingelte mein Handy. Lukas. "Hey Süße!" Ich lächelte. "Hast du mich so sehr vermisst, dass du mich direkt wieder anrufst?" scherzte ich. "Natürlich Schätzchen. Aber eigentlich rufe ich an, weil ich eine Idee habe. Ich habe nächste Woche ein paar Termine bei dir in der Nähe. Da könnte ich zu dir kommen, deine Mutter kann mich kennen lernen und sich ein eigenes Bild von mir machen. Ich kann dich dann in der Woche morgens in die Schule bringen, gehe dann zu meinen Terminen und kann dich dann wieder abholen. Und dann können wir den ganzen Nachmittag und Abend gemeinsam verbringen. Na was sagst du dazu?" Ich lächelte erneut. Eigentlich lächel ich immer wenn wir telefonieren. "Ich finde die Idee großartig. Die Frage ist nur ob meine Eltern damit einverstanden sind. Ich kann ja morgen früh mal fragen. Aber jetzt will ich erstmal duschen, ich sitze hier nämlich nackig auf dem Boden." Lukas räusperte sich beschämt. Das hätte ich vielleicht nicht so deutlich sagen sollen. Er ist schließlich ein Typ. Und Typen können ja nur an das eine denken.
Die meisten jedenfalls.
Nach einem Moment peinlicher Stille sagte Lukas: "Ähm ja, dann störe ich dich mal nicht. Geh mal duschen. Ich mach mir jetzt einen Ingwertee."
"...so wie jeden Abend" vollendete ich seinen Satz. "Ingwertee is Bæ!" lachte er. Ich schüttelte angewidert den Kopf. "Wie auch immer. Tschüssii!" Lukas lachte immer noch "Tschau!" und schon legte er auf.
Ich rollte quer über den Boden zum Bad und zog mich auf den Duschstuhl.
Nach einer ausgiebigen Dusche, lag ich im Bett und hoffte das mein Magen sich damit zufrieden stellen würde heute mal kein Abendbrot zu essen. 
Natürlich würde er das nicht. Also lag ich lange mit knurrendem Magen im Bett und wartete auf den Schlaf der nicht kam. Irgendwann gegen halb 11 fuhr ich dann doch nochmal in die Küche und holte mir was zum essen. 

Kiss me (Lukas Rieger FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt