thirty-five

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2 Wochen später

Wir waren wieder London und ich hatte mich noch nie so wenig Zuhause gefühlt, wie in letzter Zeit. Die Haushälterin, der Chauffeur und die neue Stylistin redeten kaum mit mir, behandelten mich, als dürften sie gar nicht mit mir reden. Was wahrscheinlich genauso darauf zutraf. Selbst Maurice wurde gekündigt, was einerseits Segen und gleichzeitig auch eine Qual war. Unter seinem Gekreische konnte man glatt vergessen, dass es mehr Probleme als Kopfschmerzen gab.

Eine gute Sache hatte der ganze Mist aber. Ich musste nicht mehr zu Galen oder Konzerten, um zu verdeutlichen, wie „traumatisiert" ich sei.

Jake saß in Untersuchungshaft und der Termin für die erste Gerichtsverhandlung stand schon fest. Ich hoffte, dass wenigstens der Richter nicht bestechlich war. Das war meine, Jakes, unsere einzige Hoffnung auf Gerechtigkeit.

Er konnte sich nicht mal einen eigenen Anwalt leisten und die Pflichtverteidiger waren oft nicht von der Unschuld ihres Mandanten überzeigt.

Die Nachrichten waren immer noch voll von den Geschehnissen. Die ganze Welt schien davon zu wissen. Oder zu denken davon zu wissen, denn alles was in den Nachrichten gesagt wurde, waren riesige hässliche Lügen.

Zur Schule musste ich auch nicht mehr gehen. Ich hatte einen Privatlehrer und den Rest der Zeit verbrachte ich mit der Violine oder mit Zeichnen. Vater war die ganze Zeit beschäftigt und angerührt hatte er mich auch nicht mehr, was hauptsächlich an der Aufmerksamkeit lag, die die Medien mir schenkten. Sobald das Thema abgehakt war, würde er wieder anfangen. Das spürte ich.

Das Gefühl zu Ertrinken verfolgte mich Tags und Nachts. Ich fühlte mich hilflos und schuldig. Immerhin war ich an Jakes Leid schuld.

Ich musste etwas tun, aber was?

„Erin", meinte Mum und öffnete die Zimmertür, die ich übrigens auch nicht mehr absperren durfte. „Dein Vater hat ein Meeting mit den Anwälten. Hast du Lust auf einen Shoppingtrip?" Ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.

„Ich hab nicht so Lust dazu...", erwiderte ich und beugte mich erneut über die Zeichnung. Ich versuchte schon seit Tagen die Situation in Amsterdam am blauen Violinspieler einzufangen, aber ich schaffte es nicht das Gefühl der Verbundenheit und Freiheit rüberzubringen. Schon tausend Blätter waren in meinem Papierkorb gelandet.

„Dann wenigstens ein Spaziergang. Du brauchst frische Luft. Und wer weiß vielleicht geht's dir danach schon besser." Irgendwas an dem Ton in ihrer Stimme ließ mich aufhorchen. Ihr Blick bestätigte meine Vermutung, dass irgendwas dahintersteckte. Ich erhob mich seufzend.

„Okay warum nicht", antwortete ich und folgte ihr nach unten. Dort wartete schon Mr. Hunt an der Tür.

„Wohin wollen die Damen denn hingefahren werden?", fragte er mit kühler Stimme. Dieses Problem hatte ich ja fast vergessen. Mr. Hunt war nicht nur der Chauffeur, sondern auch mein persönlicher Babysitter.

„Wir wollen nur ein wenig im Park Spazierengehen. Dafür benötigen wir Ihre Dienste nicht, aber vielen Dank Mr. Hunt", reagierte Mum mit einem zuckersüßen Lächeln. Allerdings hatte er nicht vor lockerzulassen und versperrte uns den Weg nach draußen.

„Ich habe die Anordnung Sie beide überall hinzubegleiten." Ich hasste ihn. Ich glaube, das beruhte auch auf Gegenseitigkeit.

„Ich ordne Ihnen nun an, etwas anderes zu tun." Ihr Lächeln war verschwunden und hatte einer steinharten Mine Platz gemacht. Sie funkelten sich gegenseitig an, keiner wollte nachgeben. Keiner würde nachgeben.

„Meine Aufgabe ist es Miss Anderson zu begleiten. Ohne Ausnahme. Und diese stammt von meinem Vorgesetzten und nicht von dessen Frau." Mum begann süffisant zu grinsen.

Play itWhere stories live. Discover now