thirty-four

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Ich sagte nichts. Rührte mich nicht. Fühlte nichts, außer die schreckliche Kälte in mir. Officer Bennet, wie er sich mir vorgestellt hatte, beobachtete mich schon seit mehreren Minuten. Wahrscheinlich erwartete er, dass ich unter seinem stechenden Blick aufschauen würde, doch diesen Wunsch würde ich ihm nicht erfüllen.

Wir saßen in einem kleinen, aber gemütlichen Raum. Es gab ein Fenster, das in Richtung Flur ausgerichtet war, aber die Jalousien waren unten. Warmes Licht erfüllte den Raum, doch ich starrte bloß auf den Tisch.

„Darf ich Du sagen?", fragte er schließlich nach einem langen Schweigen. Ich reagierte nicht. Warum sollte ich auch? Es war mir doch verdammt noch mal egal, ich hatte andere Probleme.

„Also Erin, um dir zu helfen, musst du mir ein paar Fragen beantworten, in Ordnung?", fragte Officer Bennet. Ich wollte eigentlich keine Reaktion zeigen, aber ich konnte mir kein spöttisches Schnauben verkneifen. Als ob sie vor hatten mir zu helfen. Wenn ich etwas sagen würde, würden sie mir die Worte im Munde verdrehen. Sie würden es so aussehen lassen, als wäre ich Jakes Opfer und nicht das meines Vaters.

„Erin?", drängte der Mann mir gegenüber. Wenn ich weiter auf den Tisch schaute, würden sie bloß denken, ich wäre traumatisiert, also hob ich den Kopf und starrte dem Officer direkt in die Augen. Ich bemerkte ein kurzes Zusammenzucken seinerseits, das wahrscheinlich auf die Kälte in meinen Augen geschoben werden konnte. Wie sie das wohl darstellen wollten?

„Sie werden mir nicht helfen", stellte ich ausdruckslos fest. Ich war nicht mal mehr die, die ich mal war, ja. Einerseits, weil Jake mir Seiten an mir gezeigt hatte, die ich nie gedacht hätte zu besitzen und andererseits, weil mir immer wieder bewiesen wurde, dass diese Welt ungerecht war. Dass die Menschen auf dieser Welt egoistisch und geldgierig waren. Dass das Gute nicht siegen konnte, wenn Geld weiterhin die Welt regierte.

„Natürlich werden wir das. Wir werden Jake Dawson hinter Gitter bringen und du brauchst keine Angst zu haben, dass er dir was tun könnte. Du bist in Sicherheit. Deine Eltern sind auch schon auf dem Weg hier her." Ich wollte schreien. Eine Gänsehaut zog sich über meine Arme, als er meine Eltern erwähnte. Was würde mein Vater mir antun, wenn er mich wieder in seine Finger kriegte? Ich erzitterte, doch dann ergriff mich Hoffnung. Vielleicht würde mir Officer Bennet glauben.

„Damit helfen Sie mir aber nicht! Jake hat nichts getan, außer mich vor meinem Vater zu retten!" Ich klang genauso verzweifelt, wie ich mich fühlte.

Officer Bennet hob skeptisch die Augenbrauen und notierte sich etwas. Der Tisch war nicht sonderlich groß, daher war es mir ein Leichtes das Geschrieben zu entziffern. „Stockholm-Syndrom oder Gehirnwäsche?"

Ich schlug hart auf die Tischplatte und stand ruckartig auf. Mein Stuhl fiel nach hinten und erzeugte ein Knallen, dass ich kaum wahrnahm. Zu groß war die Wut, die Verzweiflung und die Angst.

„Wie viel zahlt Ihnen mein Vater? Wie viel Geld brauchen Sie um das mit ihrem Gewissen zu vereinbaren? Wie viel um ihre Menschlichkeit zu verlieren?", fragte ich mit erstickter Stimme. Ich wollte weg. Nach Hause. Zu Jake.

„Erin, beruhig dich. Setz dich hin. Ich weiß gar nicht, wovon du redest", heuchelte der Officer.

„Tun Sie nicht so. Lassen Sie mich gehen", verlangte ich kalt. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, um mir irgendeinen Halt zu geben, da mein einziger wirklicher Halt verhaftet worden war. Meinetwegen.

„Bitte beruhige dich", wiederholte er. Ich sah keine andere Möglichkeit. Ruckartig fuhr ich herum, stieß die Tür auf und rannte los. Officer Bennet rief hinter mir her, doch ich dachte gar nicht daran stehen zu bleiben.

Die grauen Flure voller Suchanzeigen und ähnlichem zogen an mir vorbei. Die Polizisten, die mir im Weg standen, sprangen überrascht zur Seite. Sie konnten nicht schnell genug reagieren und so schaffte ich es bis zum Haupteingang zu rennen. Ich hörte Rufe hinter mir, als ich die Tür öffnete und die frische Luft inhalierte. Erst jetzt bemerkte ich das Gefühl zu ersticken, das ich die ganze Zeit über, gehabt hatte.

Ich wollte weiter rennen, doch jemand stellte sich mir in den Weg. Kein Polizist, nicht Officer Bennet, sondern niemand geringerer als mein Vater.

*

Ich wusste nicht, vor was ich mehr Angst haben sollte: Mein Vater in der Polizeiwache oder mein Vater außerhalb der Polizeiwache. Würde die Officer Bennet vielleicht ausplaudern, dass ich geredet hatte oder würde er dichthalten? Und was würde passieren, wenn wir die Polizeiwache verlassen hatten? Blutergüsse und Narben könnten einfach auf Jake geschoben werden. Ärzte waren käuflich. Jeder war käuflich.

Ob Mum mich beschützen würde? Ich hoffte es nicht, denn das letzte Mal wurde sie beinahe erwürgt.

„Ich denke es ist besser, wenn wir mit dem weiteren Verlauf beginnen werden, wenn sie wieder sicher zuhause ist", meinte Mum und strich mir über das Haar. Ich dankte ihr innerlich. Ich hatte keinen Nerv mehr für diese Lügen. Ich fühlte mich nur noch hilflos, es war ein grauenhaftes Gefühl. Als würde ich im Meer ertrinken, weit und breit keine Hilfe. Ich schnappe nach Luft, versuche irgendwo Halt zu finden, aber die Wellen sind stärker als ich. Sie werfen sich über mich, bis ich irgendwann untergehe.

„Natürlich", säuselte Officer Bennet und schüttelte meinen Eltern die Hand. Gemeinsam verließen wir das Polizeipräsidium, als wir von Blitzlichtgewitter überrascht wurden. Ich kniff die Augen zusammen und verdeckte mein Gesicht.

Sicher geleitete mich meine Mutter zum Auto. Nicht James saß auf dem Fahrersitz, sondern irgendein fremder Mann Mitte 30. Er trug eine Sonnenbrille und schaute ausdruckslos nach vorne.

„Wo ist James?", flüsterte ich Mum zu. Sie lächelte mich tapfer an und blinzelte, dann zuckte sie mit den Schultern. Es traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Arbeitete er bloß nicht mehr hier oder war er... hatte Vater das zwischen James und Mum herausgefunden oder, dass er mir geholfen hatte? Egal, was es war, er wäre so gut wie tot.

„Mach dir keine Sorgen. Ihm wird es schon gut gehen", log mich Mum an. Ich las ihr die Lüge von den Augen ab.

„Was ist Margret und Marie?", fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass es ihnen gut geht, aber dein Vater hat dem gesamten Personal gekündigt und neues engagiert. Tut mir leid." Ich blinzelte die heißen Tränen in meinen Augen weg, während die Tür aufgerissen wurde und Vater einstieg. Gleichzeitig breitete sich eine eiskalte Stille im Auto und auch in meinem Inneren aus.

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Endlich wieder ein neues Kapitel! Für die lange Wartezeit habe ich genau 3 Gründe: Schreibwerkschatt, Schule, Stranger Things. Ich glaube alle sind ziemlich berechtigt, besonders der letzt (jetzt mal ganz ehrlich: Wenn ihrs noch nicht gesehen habt, tut es, aber passt auf: Suchtgefahr)

Ich wünsche euch noch einen schönen Sonntag :)

Play itNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ