thirty-three

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Ich lehnte mich an Jake, während ich weiter auf den Fernseher schaute. Wir sahen Mulan, weil das Jess Lieblingsfilm war und sie ihn uns zeigen wollte. Tatsächlich hatte ich ihn nie gesehen. Als Kind hatte ich bloß die typischen Disney-Märchen gesehen: Cinderella, Dornrösschen, Schneewittchen, die Schöne und das Biest... Und jetzt fiel mir auch warum. Sie alle zeigten, dass man einen Mann braucht, um glücklich zu werden. Abgesehen von Belle vielleicht.

„Sieh nur! Jetzt wird sie langsam immer besser!", erklärte mir Jess begeistert und ich stimmte ihr staunend zu.

„Was für ein Schei- Mist. Hat man anstatt Söhnen, Töchter mir gesandt? Echt jetzt? Als könnten Frauen nicht genauso gut kämpfen, wie Männer. Oder als müssten Männer super Kämpfer sein. Pff...", hörte ich Talia Aiden zuflüstern, die in seinen Armen lag. Ich grinste und mir wurde klar, warum Jess mir diesen Film unbedingt zeigen wollte: Talia meckerte wahrscheinlich immer, wenn sie Mulan schauten.

Und das wurde mir auch ein paar Minuten später klar, als sie sich darüber aufregte, dass der eine Typ eine Frau wollte, die bloß gut kochen müsste.

Jess schlief an meiner Schulter ein und Aiden trug sie nach dem Film hoch. Jake und ich räumten die Popcorn Schüsseln in die Spüle und schmissen die leeren Pizza Kartons in den Mülleimer.

Als ich Talia darauf angesprochen hatte, hatte sie bloß gemeint, dass sie sich während der Saison nur von Hasenfutter ernähren dürfte und es sich jetzt gönnen könnte. Mir war klar, dass sie sich auch während der Saison nicht daranhielt.

„Du scheinst den Film ja nicht besonders zu mögen", sagte ich, während Talia und ich die Decken auf der Couch wieder zusammenfalteten. Sie lachte und schüttelte den Kopf.

„Doch, ehrlich gesagt ist es auch mein liebster Disney-Film, aber ich rege mich trotzdem über den sexistischen Scheiß auf. Der ist ja extra drin, damit sie es am Ende allen zeigt, aber trotzdem", erklärte sie mir. Jetzt war ich diejenige die lachte. Talia war ein wirklich besonderer Mensch.

*

„Ihr müsst verschwinden. Sofort!" Talia war plötzlich ins Gästezimmer gestürmt und hatte uns hektisch angesehen. Wir realisierten ihre Worte nicht wirklich, während sie schon begann unsere herumliegenden Sachen in die Taschen zu stopfen.

„Kommt schon", drängte sie und ich erwachte aus meiner Starre. Ich wollte nachfragen, was los war, aber es blieb keine Zeit. Die Taschen waren zu und Jake trug sie nach unten.

„Aiden wartet im Auto. Beeilt euch. Schnell!" Wir rannten beinahe zum Auto, in dem Aiden schon am Steuer saß. Er wirkte genauso wie Talia ziemlich besorgt, und genauso wie sie, verlor er kein Wort darüber was eigentlich los war.

Talia drückte mich hastig an sich und öffnete dann den Kofferraum. Unsere Taschen warfen wir achtlos hinein und als wir auf die Rückbank rutschten brauste Aiden schon los. Der Abschied von Talia war viel zu kurz gewesen. Ich hatte mich ja nicht mal bedankt!

„Was ist überhaupt los?", fragte Jake schließlich. Er hielt meine Hand und strich beruhigend über meinen Handrücken. Ihm schien meine Aufregung aufgefallen zu sein.

„Claire hat Erin erkannt. Wir haben eine Drohung oder so was in der Art gefunden. Also mussten wir euch hier wegschaffen. Ich fahr euch jetzt zur nächsten Autovermietung. Dort mietet ihr euch einfach eins und fahrt zu einem Flughafen, der nicht allzu nah ist. Wir schaffen das schon." Ich nickte, obwohl ich mir beim letzten Satz so gar nicht sicher war. Was wäre, wenn die Polizei schon hinter uns her war? Oder wenn sie überall auf uns wartete? Wenn mein Vater schon bescheid wusste? Ich keuchte.

„Alles in Ordnung", fragten die Jungs gleichzeitig.

„Ja, ja alles bestens", log ich, während mir speiübel wurde. Mein Leben war doch nur noch ein einziges Chaos! Ich flüchtete vor der Polizei und vor meinem Vater, ich hatte keinen sicheren Ort und die einzige Person, die ich länger als zwei Tage sah, flüchtete mit mir!

*

Aiden und Jake klatschten sich mit einem dieser Jungen-Handschlägen ab und gaben sich dann eine kurze brüderliche Umarmung. Aiden umarmte mich auch kurz, bevor er mir durch die Haare wuschelte.

„Passt auf euch auf", rief er, als er in seinem Auto saß und fuhr dann los. Ich seufzte, doch uns blieb keine Zeit.

Das gemietete Auto parkte etwas weiter entfernt. Jake nahm meine Hand, als wir darauf zu gingen und lächelte mir beruhigend zu, als plötzlich mehrere Autos abrupt auf dem Parkplatz hielten. Blau und Rot.

„Hier ist die Polizei! Treten Sie zurück, heben Sie die Hände und entfernen Sie sich von dem Mädchen!", schrie einer der Polizisten. Wir erstarrten und drehten uns um. Jake hob seine Hände und ich tat es ihm gleich, doch auf mich hatten sie es nicht abgesehen.

„Entfernen Sie sich von dem Mädchen, hab ich gesagt!", schrie der Polizist scharf. Jake warf mir wieder einen seiner Blicke zu, die genauso wirkten wie eine heiße Schokolade an kalten Regentagen. Aber nicht heute. Nicht in diesem Moment.

„Komm her, Kleines", sagte ein anderer Polizist. Bloß Jake durfte das, dachte ich, während der erste mit seiner Waffe auf Jake zielte. Warum tat er das? Er war doch unschuldig! Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich bemerkte, dass sich eine Menschenmenge, um uns versammelt hatten. Ein paar von ihnen hielten ihre Handykameras in die Höhe.

„Jake Andrew Dawson, ich verhafte Sie hiermit wegen Entführung, Freiheitsberaubung, Diebstahl und Vergewaltigung. Sie haben das Recht zu schweigen, alles was Sie sagen kann und wird im Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt, falls Sie sich keinen leisten können, wird der Staat Ihnen einen zu Verfügung stellen", ratterte der Polizist seinen Text herunter und schnallte Handschellen um seine Hände. Ich wimmerte auf. Der Polizist dachte wahrscheinlich ich würde vor Erleichterung wimmern und strich mir über den Rücken.

Die Berührung ließ mich aus dem Schock aufwachen und ich riss mich aus dem Griff des Polizisten.

„Lassen Sie ihn los! Er ist unschuldig! Er hat nichts dergleichen getan! Hören Sie mir doch mal zu! Officer, bitte, hören Sie mir zu. Er ist unschuldig, mein Vater hat gelogen. Bitte, glauben Sie mir doch", schrie ich und versuchte zu Jake durch zu kommen. Ich schubste den Officer zur Seite und warf mich förmlich auf Jake.

„Erin, alles wird gut, okay? Beruhig dich, Kleines. Ganz ruhig", flüsterte er mir zu, als ich meine Arme um ihn schlang und begann zu weinen.

Ich spürte plötzlich einen Arm auf meiner Schulter, der mich zurückzog. Ich versuchte mich zu wehren, um mich zu schlagen und zu treten, aber es brachte nichts. Der Polizist, der mich auch schon vorhin festgehalten hatte, trug mich weg. Weg von Jake. Weg von dem Jungen, den ich liebte.

Mein Kreischen, mein Flehen und auch mein Heulen brachten nichts. Warum glaubten sie uns denn nicht? Warum ruinierte Geld die Menschheit so sehr, dass sie sogar ihre Menschlichkeit verloren?

Der Officer schubste Jake grob in Richtung ihres Wagens und packte seinen Kopf, um ihn in das Auto zu zwängen, als ich meinen Namen hörte. Es war dieser ganz besondere Klang, der mir zeigte, dass Jake die Person war, die ihn ausgesprochen hatte.

Ich hob den Kopf und sah hoffnungslos zu ihm. Meine Sicht wurde durch die Tränen in meinen Augen getrübt, aber ich erkannte klar und deutlich, dass Jake mich mit seinen wunderschönen, meeresblauen Augen ansah.

„Wir schaffen das", flüsterte er, bevor der Polizist ihn ins Auto drückte.

Ich starrte dem Polizeiwagen mit Tränenverschleiertem Blick hinterher und wiederholte seine Worte, wie ein Mantra, in meinem Kopf.

Wir schaffen das

Wir schaffen das

Wir schaffen das...

Wenn ich das bloß glauben könnte...

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