Kapitel 1

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"You never got the chance to know me. Packed it up and crossed the state. You left behind more than memories. Now, when I sleep, I'm only dreaming of your face."

- Leave Like That, SYML 

Drei Monate später

Immer wieder dringt mir ein gellender Schrei ans Ohr. Ein Schrei, der mich bis in den letzten Millimeter meines Körpers erzittern lässt und den Wolf in mir erwecken will. Doch es ist, als würde ich unter Strom stehen. Ich verwandle mich einfach nicht.

Ich kann seine Qualen nicht mehr ertragen und presse meine Augen zusammen, um seinen schmerzverzerrten Ausdruck nicht sehen zu müssen. Irgendwann verstummen seine Schreie, aber er atmet schwer.
"Wie wär's, wenn wir den Strom etwas aufdrehen?", fragt Monroe lächelnd, während sie eine Waffe durch ihre Finger gleiten lässt wie ein Spielzeug. "Ich will noch ein bisschen mit dir spielen, bevor ich dich endlich umbringe."
Ich mache den Fehler und öffne meine Augen. Er ist gefesselt, sein Gesicht ist blass. Sein Atem geht nur stoßweise und setzt manchmal aus. Theo ist schon halb tot, und ich kann absolut nichts dagegen tun. Egal, wie sehr ich versuche, ihm zu helfen, ich bewege mich nicht von der Stelle.
Ich habe immer geglaubt, dass er eher sterben würde, als schwach zu wirken, aber hier ist er nun, kraftlos und verzweifelt. Er hat keine andere Wahl, als angsterfüllt den Kopf zu schütteln mit der Hoffnung, sie würde aufhören. Doch wir wissen beide, dass diese Hoffnung umsonst ist.
Seufzend verdreht Monroe die Augen. "Du bist eh schon fast tot, es macht keinen Spaß mehr, mit dir zu spielen", sagt sie enttäuscht und steht auf. Meine Fingerspitzen kribbeln. Ich muss etwas tun, sonst bringt sie ihn um!
Ich gebe all meine Kraft und versuche vergeblich, die Wandlung herbeizuführen, ich schreie mir die Seele aus dem Leib, bekomme stattdessen aber nur einen schmerzenden Hals.
Und dann gestehe ich mir ein, was ich schon längst weiß. Ich kann ihn nicht retten. Ich sehe tatenlos dabei zu, wie sie den Strom aufdreht und drei Silberkugeln in Theos Brust jagt. Er schreit noch ein letztes Mal, während das Leben langsam und schmerzvoll aus seinen Augen weicht. Bevor er ganz verschwindet, schaut er mich noch einmal hasserfüllt an, weil es meine Schuld ist, dass er stirbt.

Schweißgebadet und keuchend wachte ich auf. Meine Krallen waren ausgefahren und meine Finger steckten bis zur Hälfte in der Matratze. Ich war gerade dabei, die Kontrolle zu verlieren.

"Verdammt", fluchte ich, während ich aufstand und mich anzog. Es war immer wieder der gleiche Traum, der mich aus dem Schlaf riss. Ich hatte seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen und die Erschöpfung machte mir mehr zu schaffen, als ich dachte. Meine Leistungen in der Schule und auf dem Lacrossefeld waren erheblich gesunken und ich wusste einfach nicht, was ich dagegen tun konnte. Medikamente halfen bei Werwölfen ja nicht.

Es gab jedoch eine Person, die immer wieder in meinen Gedanken auftauchte, wenn ich mir am liebsten frustriert die Haare ausreißen wollte. Scott. Er kannte sich mit Verlusten aus. Ich hatte es so weit wie möglich hinausgezögert, ihn um Rat zu fragen, aber jetzt blieb mir nichts anderes übrig.

Davon würde ich ihm natürlich nicht erzählen. Ich konnte nur erahnen, was Theo mir mit dem Kuss hatte zeigen wollen, doch herausfinden würde ich das nie, denn dafür war es jetzt zu spät. Theo war weg.

Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass sich der Tod eines geliebten Menschen genauso anfühlen würde wie damals, als Hayden das erste Mal gestorben war. Traurig, taub, lustlos. Mir wurde jedoch klar, dass ich komplett daneben lag. Theos Tod schien mit jedem Tag noch unerträglicher zu werden. Die Träume wurden schlimmer, die Schuld größer, und auch die Qual wuchs. 

Viele sagten, dass Leere schlimmer war, aber sie täuschten sich. Es gab nichts Erschreckenderes, als nachts nicht einschlafen zu wollen aus Angst, er könnte sich in meine Träume schleichen, um sich zu versichern, dass meine Schuldgefühle noch präsent waren. Ich würde alles dafür tun, um nicht mehr an ihn denken zu müssen. Der unbeschreibliche Schmerz, den ich dabei fühlte, brachte mich nämlich um.

i'm not gonna save you ➸ thiamWhere stories live. Discover now