Kapitel 29

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Ich begab mich auf schnellstem Weg zu Mert. Ich steckte meine Waffe ein, versteckte sie also gut und seine Männer führten mich, genau wie letztes Mal in sein Haus. Sie brachten mich zu ihm, in sein Arbeitszimmer.
"Da sind wir wieder", sagte er amüsiert und drehte sich zu mir. Meine Augen wurden zu Schlitzen und ich hatte meine Hände zu Fäusten geballt. Wie ich dieses Arschloch verabscheute.
"Wo ist sie?", fragte ich ihn auffordernd. Er grinste nur hämisch und ging durch den Raum.
"Deine Frau? Keine Sorge, sie ist in guten Händen. Sie wird gerade zu ihrem ehemaligem Vergewaltiger geführt", erklärte er und ich blickte ihn skeptisch an. Ehemaliger Vergewaltiger? Woher wusste Mert, dass Leyla vergewaltigt wurde? Woher kannte er Leylas Vergewaltiger? Wer war ihr Vergewaltiger?
"Wer?", fragte ich ihn nur.
"Deniz", sprach er dann plötzlich aus und meine Wut wurde größer. Allein dieser Name reichte, um mich vollkommen aus der Fassung zu bringen. Es war einfach so verdammt kompliziert alles, aber dennoch so einfach. Es war einfach unfassbar.

Deniz hatte Leyla also vergewaltigt. Seinetwegen musste sie also all die Monate so leiden. Er hatte ihr Leben zerstört. Wenn ich ihn nicht erledigen, dann heiße ich nicht Can Yalçin. Er wird dafür bezahlen, dachte ich mir. Damals als er das selbe Cansu angetan hatte, konnte ich nichts tun. Doch nun werde ich etwas tun. Denn sie alle hatten eine Grenze überschritten. Ich spürte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie das Monster in mir erwachte. Es war eine unvorstellbar, unkontrollierbare Wut auf jeden einzelnen dieser Mistkerle. Ich wollte sie alle vernichten.
"Wo sind die beiden? Sag es mir sofort", sagte ich wieder auffordernd. Er schwieg jedoch nur und grinste. Er provozierte mich mal wieder. Also zückte ich meine Waffe und schoss geschickt auf jeden seiner Männer. Aber so, dass es nicht lebensgefährlich für sie war. Ich wollte schließlich niemanden töten. Mert blickte mich etwas erstaunt an.

"Wirklich interessant. Du hattest vorher noch nie einfach so eine Waffe eingesetzt. Doch sieh an. Wenn es um deine Ehefrau geht, hast du überhaupt keine Furcht und könntest sogar das tun, was eigentlich nie deine Art gewesen war. Töten", meinte er dann und grinste nur, während ich sprachlos da stand. Er musterte mich intensiv und ging um mich herum.
"In dir steckt ein Monster. Du bist genauso gefährlich wie ich, zeigst es aber nicht. Wer hätte gedacht, dass selbst jemand so wie du ein Gewissen besitzt. Und das alles nur wegen einer einzigen Frau. Lächerlich", sprach er und schmunzelte. Er fand das ganze amüsant und konnte es wohl nicht richtig glauben. Aber wenn ich ehrlich war, verwirrte es mich selber. Warum war ich so? Warum war ich anders? Nur wegen Leyla? Hatte Leyla mich tatsächlich so verändert? War sie villeicht jemand, der mich von Tag zu Tag immer mehr aufhielt in meinem Leben?
"Warum tötest du mich nicht? Ich habe so viel getan, aber du hast dich bis heute zurückgehalten.Woran liegt das? Du bist für das Töten geboren, Can. Oder etwa nicht? Bist du etwa doch nicht der, für den dich alle halten? Bist du etwa nur ein ganz einfacher Mann? Ein einfacher Mann, der seinen Feind ohne jegliche Hemmungen erledigen könnte, es aber nicht tut. Wegen einer einzigen Frau. Warum, Can? Ist das also der wahre Can Yalçin?", fragte er mich ernst. Ich seufzte und lies meine Waffe sinken. Ich wusste keine Antworten auf diese Fragen. Sie waren zu kompliziert, um sie in diesem Moment zu beantworten. Schweigend senkte ich meinen Blick, während Mert nun wieder vor mir stand.

"Ständig hast du die Möglichkeit, mich zu vernichten, tust es aber nicht. Das bist nicht du, Can. Ich weiß genau, dass du eine Person töten könntest. Leyla ist Schuld. Leyla ist Schuld daran, dass du so geworden bist. Siehst du es denn selber nicht? Du bist zu weich geworden. Viel zu weich. Wirklich schade, Can. So macht alles schließlich kein Spaß. Du bist schwach", meinte er und ich konnte nichts anderes, als ihm in meinen Gedanken Recht zu geben. Er hatte Recht. Damals hatte ich in diesem Augenblick nicht genau nachgedacht und gab ihm dummerweise recht. Mert seufzte und kam einen Schritt auf mich zu.
"Also, Can. Ich frage dich jetzt. Was wählst du?", fragte er mich nun und ich blickte ihn an. Mich der Polizei stellen und ins Gefängnis gehen oder die Stadt für immer verlassen und nie wieder zurückkehren. Was sollte ich tun?

Ich dachte nach. Ins Gefängnis könnte ich niemals gehen. Leyla würde das nicht verkraften und wenn ich die Stadt verlassen würde, hätte Mert die Macht. Das würde meinen Untergang bedeuten. Nein. Ich musste mir etwas überlegen.
"Gib mir etwas Zeit. Ich denke darüber nach", sagte ich ruhig und er grinste wieder.
"Na gut. Aber deine Frau kannst du fürs erste vergessen. Keine Sorge. Sie ist bei Deniz und mir in guten Händen", sagte er amüsiert. Ich musste mich wirklich beherrschen. Sonst würde ich ihn noch ernsthaft umbringen.
"Wenn ihr sie einmal anfasst, werde ich euch beide töten", sprach ich drohend. Er lachte.
"Sagen kannst du es. Aber es wirklich umzusetzen, gelingt dir leider nicht", erwiderte er amüsiert. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Ich hatte eine Wut auf mich selber, weil er Recht hatte. Ich konnte es nicht. Wie ich diesen Bastard hasste.

"Ich will sie sehen. Bring mich zu ihr", sagte ich kalt und er nickte nur. Ich folgte ihm nach unten, in den Keller. Es war ziemlich finster und schmutzig hier. Das Licht flackerte und es war ziemlich still. Mert öffnete eine Stahltür und wir traten in den finsteren Raum ein, in dem ein kleines Licht brannte. In einer Ecke des Raumes saß Leyla auf dem Boden und hatte ihr Gesicht mit ihren Händen verdeckt, während sie ihre Knie an sich gezogen hatte. Ich sah schon von hier aus, dass sie verletzt war. Viele blaue Flecken sowie blutende Wunden zierten ihren zierlichen Körper. Sie hatten ihr also doch weh getan. Diese miesen Schweine. Ich blickte mich kurz um. Wo war Deniz?
"Lass uns kurz alleine", sagte ich weiterhin kalt zu Mert, während mein Blick bei Leyla hingen blieb, deren Gesicht blut verschmiert war. Langsam ging ich auf Leyla zu, nachdem Mert uns alleine gelassen hatte und kniete mich zu ihr.

Leyla POV

Müde blickte ich auf und hielt mir meine Hand vor mein Gesicht, wegen des grellen Lichts. Als ich meine Hand entfernte, blickte ich Can traurig in die Augen. Er war tatsächlich gekommen. Ich lächelte leicht und wischte mir meine Tränen weg.
"Dir geht es gut. Das ist schön", murmelte ich zufrieden und senkte meinen Blick mit diesem schwachen Lächeln. Welch eine Erleichterung, dass ihm nichts zugestoßen ist, dachte ich nur. Er blickte mich verwundert und mitleidig an.
"Was haben sie dir angetan, Leyla?", fragte er mich nun. Ich blickte ihn nun wieder an und mein Lächeln verschwand.
"Ich habe Angst, Can", sagte ich nur zitternd und war kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Alles tat weh. Alles schmerzte. Ich hielt mir meine Hand vor den Mund und weinte.
"Leyla. Was ist los? Was haben sie dir angetan?Sag es mir", forderte er mich besorgt auf.
"Wenn ich es dir sage, werden sie dich töten oder du wirst sie töten", sagte ich nur und blickte ihn flehend an. Er seufzte und streichelte meine Wange. Er verstand mich nicht. Ich sprach weiter.

"Dir darf nichts passieren, Can. Wenn dir etwas zustößt, werde ich das nicht aushalten. Bitte, Can. Tu nichts unüberlegtes und sei vernünftig. Ich flehe dich an. Ich liebe dich doch so sehr", flehte ich ihn an und hörte mich selbst in diesem Moment überhaupt nicht. Ich schien in diesem Moment komplett den Verstand zu verlieren. Ich sprach das aus, was sich in meinem Herzen befand, war aber nicht ganz bei Sinnen. Er legte seine warmen Hände auf meine Wangen und lehnte seine Stirn an meine.
"Alles wird gut, Leyla. Ich werde dich beschützen. Ich bin da", antwortete er nur und ich umarmte ihn sofort. Diese Umarmung brauchte ich einfach in dem Moment. Beruhigend streichte er mir sanft über mein Haar. Ich beruhigte mich etwas und hielt ihn so lange fest, als wäre es unser letztes Wiedersehen. Als wir uns dann voneinander lösten, blickte er mich wieder fragend an.

"Was haben sie dir angetan? Sag es mir", forderte er mich erneut auf. Soll ich es ihm wirklich sagen? Würde ich damit Unheil anrichten? Würde es alles ändern?
Ich seufzte, sagte es ihm aber dann schließlich.
"Deniz. E-Er hat m-mich wieder ver-vergewaltigt", sprach ich ängstlich aus, woraufhin Cans Blick finster wurde. Ich hatte ihn noch nie so gesehen. Es machte mir Angst. Ich hätte ihm das niemals verraten dürfen. Denn mit diesem einen Satz, zerstörte ich alles. Dieser eine Satz hatte alles verändert. Alles, was normal zu sein schien, wurde zu einem schrecklichen Albtraum. Dieser eine Satz würde großes Unheil anrichten und viel Schaden verursachen. Das wussten wir beide jedoch in diesem Moment noch nicht. Wir sahen uns nur gegenseitig schweigend in die Augen und versuchten uns mit diesen Blicken gegenseitig zu beruhigen.

ZwangsheiratWhere stories live. Discover now