Harte Arbeit

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Da Louis nun nicht mehr da war stürzte sich Harry regelrecht in seine Reha.

Liam, der für ihn eine Ausnahme machte, behandelte ihn öfters, als es das Rezept zuließ, weshalb Harry häufig spät am Abend in die Klinik fuhr. Er durfte für vier Wochen nur halbtags arbeiten, weil er noch nicht so viel stehen konnte, tat dies dann aber an sechs Tagen in der Woche, damit er seine Stunden nicht allzu sehr reduzierte. Alle OPs, die auf seinem Plan standen wurden entweder verschoben, oder von einem Kollegen übernommen. Harry machte nun lediglich die Visiten, die Nachgespräche und beriet Patienten, die erst später im Frühling ihren Termin hatten.

Ohne OPs wäre sein Alltag recht langweilig gewesen, doch Liam hielt ihn auf Trab und lenkte ihn ab. Jeden Abend ging Harry hinunter die Physio- und Rehaabteilung, wo sich sein Kumpel daran machte, das Bein wieder komplett beugen und strecken zu können. Das funktionierte noch nicht sonderlich gut und Harry hatte immer das Gefühl, eine Blockade im Bein zu haben. „Es schwillt langsam ab", hatte Liam am zweiten Abend festgestellt und sich die Blutergüsse angesehen, die aussahen, als ob die kleine Lux Harry mit Wassermalfarben verschönert hatte.

Da er nur halbtags arbeitete, befand sich Harry auch immer zwei Stunden im Fitnessstudio des Krankenhauses. Zeit genug hatte er ja.

Liam war natürlich immer da, sofern er eine Minute entbehren konnte und zeigte ihm neue Übungen. So verbrachte Harry Stunden damit barfuß auf einer weichen Unterlage zu stehen und das gesunde Bein anzuheben. Das operierte zitterte schlimm und er kam sich beinahe vor wie ein kleines Kind, das gerade Laufen lernte. Es war unheimlich schwer und er musste sich erst wirklich zutrauen, diese Übung zu machen. Obwohl er selbst immer jedem Patienten erzählte, dass das neue Kreuzband erst einmal sehr reißfest war und sie keine Angst haben mussten, etwas kaputt zu machen, traute er nun selbst dem Knie nicht ganz über den Weg. Interessant, wie es war, wenn man einmal die Perspektive wechselte.

„So, wir machen etwas neues", verkündete Liam, der um 20 Uhr abends Schluss hatte und kam zu Harry in den Trainingsraum. Er trug ein Balancekissen und einen weichen Ball unter dem Arm. „Stell dich bitte darauf und hebe das gesunde Bein ab", wies er ihn an und machte einige Schritte zurück. „Und jetzt fang den Ball." - „Haha, wie soll das denn gehen Liam? Ich bin schon viel zu sehr damit beschäftigt, überhaupt stehen zu bleiben", gab Harry trocken zurück und Liam machte eine beruhigende Handbewegung: „Ich werfe den Ball langsam und nicht stark, den wirst du schon fangen können." Gut, einen Versuch war es wert, dachte Harry und stellte sich auf die wabbelige Masse aus der das Kissen bestand.

Liam hob den Ball an und warf ihn in einem hohen Bogen direkt auf ihn zu. Harry folgte ihm zwar mit den Augen, war aber gedanklich noch so bei seinem Gleichgewicht, dass er ihn nur noch mit den Fingerspitzen zu fassen bekam. „Na also, das geht doch!", freute sich Liam und fing den Ball, den Harry zurückwarf.

Es wurde von Mal zu Mal besser, doch länger als zehn Minuten konnten sie nicht üben, dann waren Harrys Kräfte am Ende. „Unglaublich", schnaufte er und setzte sich auf den Boden. „Ich bin fix und alle." - „Ja klar. Du hast viel Muskelmasse im Bein verloren. Komm, wir machen für heute Schluss."

Sie gingen in die angrenzende Umkleide und schlüpften aus den Sportsachen. „Wann kommt Louis denn wieder?", fragte Liam, als sie alles in ihre Taschen packten und zum Ausgang gingen. „Im April fängt er hier auf Teilzeit an und wird von Dr Costello in dessen Arbeitsbereiche eingelernt und im Herbst wird er dann seine Stelle komplett übernehmen." Liam nickte verstehend und lächelte: „Das hättest du auch nicht gedacht oder? Dass dein Assistent einmal mit dir zusammenarbeiten würde, oder?" - „Und zusammen sein auch nicht", setzte Harry grinsend hinterher und schulterte seine Sporttasche. „Wird er denn bei dir einziehen, wenn er herkommt? Habt ihr euch das schon überlegt?" Harry zuckte die Schultern. Es wäre nur sinnvoll, wenn sie das täten. Seine Wohnung war groß genug und ein Paar waren sie auch. Eigentlich sprach nichts dagegen. Außer vielleicht, dass Louis es seltsam finden könnte, in dem Bett zu schlafen, in dem Harry mit Anton gelegen hatte. „Ich muss ihn mal fragen, wenn wir heute Abend skypen", sagte er.

Sie blieben draußen vor dem Krankenhaus stehen, damit Liam noch eine Zigarette rauchen konnte und sahen den Patienten zu, die die große Haupttreppe heraufkamen. Viele gingen an Gehilfen und Harry war froh, dass er mittlerweile ohne Krücken laufen konnte. Tatsächlich hatte er seit kurzem fast das Gefühl, ein gesundes Bein zu haben, denn auch die Schmerzen waren weg, lediglich die Schiene, die er laut Louis noch drei Wochen tragen musste, erinnerte ihn daran, was passiert war. „Sag mal, du als lebendes Versuchskaninchen, was Louis neue Methode angeht", fing Liam an und pustete den Rauch nach oben in die Luft. „Hast du den Eindruck, diese Art von Behandlung ist besser? Vielleicht kann er sie dir zeigen und du wendest sie auch bei den Patienten an." - „Ich kann es nicht genau vergleichen, dazu fehlt mir momentan noch die Langzeit Erfahrung, doch ich kann sagen, dass ich jetzt schon keine Schmerzen mehr habe und wenn man bedenkt, dass ich jahrelang nicht schmerzfrei gehen konnte, ist das schon enorm..." - „Hey Harry! Lange nicht gesehen!", rief Jemand und Zayn trat aus dem Haupteingang hinaus ins Freie. Im Schlepptau hatte er Niall, der nur nickte. Scheinbar hatte er immer noch ein schlechtes Gewissen, weil Harry ihn an Sylvester ein wenig zurechtgestutzt hatte. „Wir haben auch Feierabend und sind noch nicht in der Stimmung, nach Hause zu gehen. Wollen wir noch was machen?" - „Ihr könnt zu mir kommen und wir kochen was", schlug Liam vor, doch sein Vorschlag ließ die drei anderen nur die Nasen rümpfen.

Vegan war keiner von ihnen.

„Gegenvorschlag; wir gehen ins Shakespeare, essen dort was und spielen ein Tischkickerturnier", sagte Niall und dem stimmten alle zu. Auf dem Weg dorthin rief Harry Louis auf dem Handy an, um ihm Bescheid zu sagen, dass es mit Skype heute Abend nicht klappte.

„Oh, das kommt mir gerade recht. Ich bin hundemüde und falle fast in mein Bett", gähnte Louis. „Wie war dein Tag?" Harry erzählte ihm von der Physio und Louis zeigte sich erfreut über die Fortschritte, die er machte. „Das klingt super Harry. Wirklich. Warte nur, bis ich wieder da bin, hast du die Schiene abgelegt. Hör zu, ich habe in zwei Wochen ein freies Wochenende. Wie sieht's aus, kannst du da nach London kommen? Es wäre schön, dich wieder zu sehen. Ich vermisse dich", meinte Louis. „Ich vermiss dich auch. Ich komme gerne. Wenn ich später Zuhause bin, buche ich mir sofort einen Zug. Wann soll ich da sein?" - „So früh wie möglich, dass ich ganz lange etwas von dir habe", sagte Louis und es war deutlich zu hören, dass er strahlte, weil Harry Zeit hatte.

Sie hatten sich nun schon eineinhalb Wochen nicht gesehen und das war für zwei frisch Verliebte, eine gefühlte Ewigkeit.

Die Zeit war also mehr als reif für einen Besuch.

3 Years • Part IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt