20. Staubiges Leder

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„Hast du oft geschwänzt?"

Ich nickte.

„Dann warst du nicht blöd. Nicht auf die Art. Das rede ich mir zumindest ein, seitdem ich all meine Tests verhaue", er seufzte. „Aryn hat mich gezwungen, die Einverständniserklärung für einen Kurswechsel zu unterschreiben. Wir sind jetzt im selben Geschichtskurs, Carterlein."

„Wow. Kann's kaum erwarten, dass die Ferien enden. Aber mal eben zurück zu Manon: Wie geht's ihr seit gestern Abend? Ich habe sie in der Menge nicht mehr gefunden."

Amor zuckte die Achseln. „Sie ist gerade ins Fitnessstudio gefahren und gestern hat sie auch seelenruhig geschlafen. Mach dir mal keine Sorgen um sie."

Ich zog die Augenbrauen hoch und erwiderte nichts. Vermutlich hatte er recht. Schließlich kannte er sie länger als ich. Wenn ich wüsste, wie sie so auf bestimmte Dinge reagiert, hätte ich ja nicht fragen müssen.

„Du warst die Nacht über bei El, oder?"

Nickend wandte ich den Blick ab, doch er verlangte Details. „Ist irgendwas spannendes passiert?"

Den Kuschelpart behielt ich lieber für mich und ihre Tränen ließ ich ebenfalls unerwähnt. Stattdessen erzählte ich ihm von der Story, die Julie uns mitgeteilt hatte. Amor lauschte ungläubig und schüttelte anschließend den Kopf.

„Dieser Jake sollte mal eine Aggressions-Therapie machen."

Da hatte er vermutlich recht. Ich blickte nachdenklich gen Himmel und legte dabei den Kopf in den Nacken. Seufzend lehnte er sich an mich.

„War das dein Handy oder meins?", murmelte er fragend. Ich hatte nichts gehört und kramte meines verwundert hervor.

Der Bildschirm leuchtete auf und eine Nachricht von Manon wurde angezeigt.

„Deine Schwester fragt mich, ob ich mit ihr trainieren möchte."

Er löste sich mit einem angewiderten Blick von mir. „Carter!", hob er vorwurfsvoll an und stockte dann plötzlich mit geweiteten Augen. „Oh! Sorry. Trainieren, na klar."

Leider konnte ich nicht. Nachdenken, meine ich. Darüber, weshalb ich mit einem Male dankbar für die bevorstehende Nachhilfestunde war und weshalb es mich nicht so sehr interessiert hatte, was gestern aus ihr geworden war, bis ich Amor getroffen hatte. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was ich verpasste und wie schnell sie über alle Berge wäre, wenn sie wüsste, was für eine Meinung ich mir langsam aber sicher über sie bildete.

Ich versprach ihr, ein anderes Mal mitzugehen und legte seufzend mein Handy zur Seite. Amor blickte mich neugierig an, weshalb ich ihm von Ava und unserem bevorstehenden Date erzählte. Er nickte nur und lehnte sich wieder zurück.

„Englisch", fügte ich noch hinzu.

Überrascht zog er die Augenbrauen hoch und zuckte die Achseln. „Darauf rauchen wir jetzt eine. Die Kippen gehen aber auf dich, weil du der Dümmere bist."

Liebevoll stupste er mich an und steckte seine Hand in meine Jacke, um nach der Schachtel zu greifen. Ich schmunzelte und half ihm, bevor er auf die Idee kam, auch in meine Hose zu greifen. Freundin hin oder her, ich war immer noch ein unwiderstehlicher Leckerbissen.

* * *

Hastig klickte ich auf Avas Kontakt und hielt mir Julies Handy ans Ohr, während ich zurück zum Park eilte. Ich hatte mich extra eine halbe Stunde vor sechs Uhr wieder auf den Weg nach Hause gemacht, nur um dann durchgehend mein Handy zu suchen.

„Hallo?", ihre Stimme klang fast schon besorgt. „Julie? Rufst du wegen Carter an?"

„Hey, sorry, dass ich zu spät bin", entschuldigte ich mich direkt. „Hab mein Handy verloren und suche es gerade. Wenn ich es jetzt finde, bin ich zwanzig nach da. Oder hast du bereits was anderes geplant?"

„Wir sollten eigentlich nur bis halb Sieben lernen, aber vielleicht ist es doch nicht so schlimm, dass Isaiah mir gerade absagen musste", ein Lächeln schwang in ihrer Stimme mit. „Mach dir keine Sorgen, Carter. Ich warte hier. Hoffentlich findest du es wieder."

„Ok, danke. Wir sehen uns dann gleich", seufzend legte ich auf und eilte zu der Bank, auf der wir gesessen hatten. Julies Handy schob ich mir in die Hosentasche und checkte unseren Sitzplatz ab. Nichts. Daneben, auf dem Boden ebenfalls nicht, sodass ich mich hinkniete und darunter nachsah.

Wenn ich es jetzt nicht dort liegen gesehen hätte, wäre mein Geduldsfaden endgültig gerissen. Doch es hatte sich unglaublicher Weise einen gemütlichen Platz im Dreck gesucht und als ich danach griff, bemerkte ich noch was anderes. Die Spitze von etwas Hartem ragte aus dem nächsten Busch, der hinter der Parkbank eingepflanzt war.

Für einen Moment verharrte ich in meiner Position, ehe ich meine Hand erneut ausstreckte und danach griff. Ich zog es aus der feuchten Erde und legte mein Handy auf eine saubere Fläche, um mein anderes Fundstück abzuklopfen. Man konnte schnell erkennen, dass das arme Kerlchen ein Notizheft war, weswegen ich über das staubige Leder streifte, bis es halbwegs sauber war.

Neugierig betrachtete ich das schwarze Buch und wendete es ein paar Mal. Das Design war schlicht, was bedeuten sollte, dass es vollständig schwarz gebunden war. Nicht einmal bekritzelt war es. Die Reste eines neonblauen Gummibandes leuchteten am Rand des Buchdeckels, weshalb ich davon ausging, dass der Besitzer sie abgeschnitten hatte.

Mit gerunzelter Stirn stand ich auf und hielt das Teil ins Licht der Straßenlaterne. Meine Augen tränten aufgrund der Kälte, was meinen Kontaktlinsen nicht wirklich gefiel. Hoch lebe der Winter, der uns bereits um Sechs die Sonne nahm.

Wahrscheinlich sollte ich das Ding besser wieder zurücklegen und abhauen, bevor Ava doch noch ausflippte. Aber interessiert war ich schon.

Was wohl drinnen stand? Einkaufslisten? Irgendwelche Anekdoten? Tagebucheinträge?

Die Neugier ließ mich nicht los, sodass ich das Heft schließlich hastig öffnete. Doch als ich sah, dass die Schrift unglaublich unleserlich war, wurde ich missmutig. Viele Wörter, aber auch ganze Zeilen waren verschmiert.

Außerdem waren die Seiten wellig und an den Rändern zerrissen. Viel bedeutet hatte dieses arme Heft dem Besitzer anscheinend nicht, wenn es in so einem miserablen Zustand war.

Das bedeutete dann wohl, dass niemand es vermissen würde und ich es als anständiger Bürger des Vereinigten Königreichs mit nach Hause nehmen musste.

BorderlineOnde as histórias ganham vida. Descobre agora