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Zum dritten Mal brach der Hybrid nun zusammen. Jedes mal stach das Herz des Wissenschaftler etwas schmerzhafter. Er hasste es hier zu sitzen und nichts machen zu können. Er saß hier, in dem Käfig, neben ihm ein bewusstloser Tiger-Hybrid und war gefangen. Bis seine Mitarbeiter kamen, war er ein Gefangener, wie die Hybriden in den kleinen Käfigen des normalen Traktes.

Ardys Blick wanderte von dem Hybriden weiter zu dem kleinen Arztkoffer. Ihn durchfuhr eine Art Geistesblitz. Er schnappte sich den Koffer und kroch zu dem bewusstlosen Wesen. Er zog seinen schwarzen Kittel aus und riss einen dünnen Streifen davon ab. Dann tunkte er diesen in den Wassernapf und begann den Halbtiger vorsichtig zu verarzten.
Er versuchte so sanft, wie nur möglich umzugehen, damit er dem geschundenen Körper nicht noch mehr Schmerzen zufügte.

Die Zeit verstrich und der junge Wissenschaftler arbeitete ruhig vor sich hin. Das tiefe, gleichmäßige Atmen des Hybriden beruhigte ihn und er konnte sich voll und ganz auf die ganzen, kleinen Wunden konzentrieren. 
Er kam gut voran und war gerade bei den Händen mit den langen, gebogenem Krallen angekommen, als ein Zucken durch den Körper des Hybriden ging.
Leicht verängstigt zuckte Ardy zurück und begann vorsichtig den Kopf des Halbtigers zu streicheln, in der Hoffnung, dass er nicht aufwachte.
Ihm wurde bewusst, wie gefährlich das war, was er gerade tat. Doch er wollte nicht aufhören. Konnte nicht aufhören.
Er musste unbedingt einen weiteren Zusammenbruch verhindern. Konnte er doch sonst nichts für den Hybriden tun.
Das Einzige, was er momentan machen konnte, war die Wunden des Halbtigers zu versorgen. Und das machte er mit einer Sorgfältigkeit, die seinesgleichen suchte.

Der Hybrid schien sich wieder zu beruhigen, driftete wieder in einen tieferen Schlaf weg. Etwas beruhigter fuhr Ardy fort, wickelte einen Verband um die Hand, um zu verhindern, dass sich der Halbtiger die Krallen endgültig herausriss.

Als er den Hybriden fertig verarztet hatte, legte er den Kopf mit den schwarz-weiß gestreiften Ohren vorsichtig in seinen Schoß und fing an, dem Halbtiger durch das Haar zu streichen.
Er war wie verzaubert, hypnotisiert von dem so unerwartet zartem Gesicht des Hybriden.
Seine Gesichtszüge waren entspannt und er wirkte so jung, so unschuldig und überhaupt nicht gefährlich.
Wenn er hier so friedlich lag, konnte sich Ardy überhaupt nicht vorstellen, dass dieses Wesen eines der gefährlichsten dieses Labors war.

Mit seiner rauen Fingerspitze fuhr er vorsichtig die Konturen des Gesichts nach, die leichten Schatten und Andeutungen der schwarzen Streifen, die den Haaransatz des Hybriden zierten.
Er war wie im Rausch.
Völlig benommen von der
schönen Gestalt des Halbtigers.
Völlig verzaubert von den scharfen, aber dennoch zarten Konturen des Gesichtes.
Von dem überraschend weichen Haar.
Wenn es nur irgend möglich war, entspannte sich die Züge des Hybriden noch etwas, die Berühungen schien er unterbewusst sehr zu genießen.
Die weiche Haut des Halbtigers zu berühren, löste ein solch unbekannt gutes Gefühl in ihm aus, dass er ihn nie wieder loslassen wollte.
Ein hitziges Kribbeln ging von der Stelle aus, wo die Hand Ardys das Gesicht des Hybriden berührte, und verteilte sich in seinem ganzen Körper.

Er wusste nicht, wie ihm geschah, doch diese Gefühle, benebelten ihm dermaßen das Gehirn, dass er nicht klar denken konnte.
Er fühlte sich wohl. Viel zu wohl.  Zu wohl, um mit dem Hybriden zu arbeiten. Ardy wusste genau, dass er nach dieser Nacht, dem Hybriden unmöglich etwas antun könnte. Und das würde fatale Folgen haben.

Im schlimmsten Fall würde er gefeuert werden und das musste um jeden Preis verhindert werden.
Denn wer dieses Projekt freiwillig oder unfreiwillig verließ, tauchte nicht wieder auf. Das wurde dem schwarzhaarigen Wissenschaftler mit einmal bewusster denn je.

Er machte das alles hier nicht für Geld. Er machte es, um sein Leben zu schützen. Er hatte keine Angst, auf der Straße zu landen, ohne Geld und Dach über dem Kopf.
Er hatte Angst vor seinen Kollegen und was sie mit ihm anstellen würden, wenn er sich ihnen in den Weg stellte und für die Hybriden kämpfte.
Vielleicht würde er selbst als Versuchsobjekt in den Zellen landen.

Als Opfer ihrer Experimente.

Beraubt von Würde und Stolz.

Nein! Er durfte den aufkeimende Gefühlen für diesen Hybriden keine Chance geben! Er musste kalt bleiben. Kalt und unnahbar, sein Herz verschließen, hinter einer dicken Mauer aus Eis. Kein Leid, kein Winseln, kein Blick in die stumpfen Augen der Hybride durfte Mitleid auslösen.

Doch er war zu schwach, um sich gegen sich selbst zu wehren.
Sein Herz war zu groß, als dass er es verbarrikadieren könnte.
Die Gefühle schon zu stark, um sie noch unterdrücken zu können.

Er könnte dem Hybriden keine Schmerzen hinzufügen. Er konnte nur zu sehen, wie er, und alle anderen langsam zerstört und gebrochen wurden.
Wie er selbst zu Grunde gehen würde und als eines, der unzähligen Experimente enden würde.

Während seine Hoffnungen immer weiter schwanden und seine Zweifel Überhand nahmen, übermannte ihn schließlich die beruhigende Schwärze des Schlafes und er fiel, mit dem Kopf des Halbtigers in seinem Schoß, in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Written by Federsturm

Objekt XVIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt