22. Kapitel

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Christian:
Ich hatte einen schrecklichen Albtraum. Columbia hatte den 150 Punkte Test gewonnen und ich musste nun mit ihr auf ein Date.
Ich höre Tanners Stimme: „Guten Morgen! Na? Seelisch schon auf das Date mit Columbia vorbereitet?“
Mist. Es war doch kein Traum. Tanner zieht die Vorhänge auf und ich stöhne sowohl durch diese Selbsterkenntnis, als auch durch den hellen Lichteinfall.
„Was machst du überhaupt hier? Wo ist Carson?“
„Carson schläft noch. Er hatte Gestern… eine schwere Nacht.“
„Bitte was?“, frage ich und richte mich auf.
„Ich erzähle es Euch, wenn Ihr mir versprecht nicht wütend zu werden und ihn nicht zu bestrafen.“
Ich verenge die Augen noch mehr zu Schlitzen, als sie eh schon sind, und meine: „Wofür soll ich ihn nicht bestrafen? Wenn er etwas illegales oder irgendetwas in dieser Richtung getan hat, dann werde ich ihn auf jeden Fall bestrafen.“
Tanner zögert, entschließt sich dann aber doch: „Ok ich sag es Euch trotzdem.“ Er setzt sich neben mich aufs Bett. Ohne mich zu fragen. Als Bediensteter. Einfach so.
Momentan bin ich zu Müde um ihm eine Standpauke zu halten. Aber später wird er noch gewaltig etwas von mir hören.
„Also“, beginnt er, „Wir, ein paar Kollegen von den Bediensteten und ich, haben gewettet, wer diesen Test gewinnt.“ Meine Miene verdunkelt sich. So etwas in der Art hätte ich eigentlich erwarten müssen, aber dass Carson mitmacht?
Tanner guckt mich prüfend an, spricht jedoch weiter: „Naja, jedenfalls, Ethan Garner und ich waren die Einzigen, die auf Columbia gesetzt haben. Alle Anderen haben auf ziemlich viele unterschiedliche Damen getippt…“
„Was war der Wetteinsatz?“, unterbreche ich ihn, da ich keine Zeit für seine Ausschweifungen habe.
„Ok. Die, die falsch gelegen haben, mussten den selbstgebrannten Wein eines Kollegen trinken und der stand ein wenig zu lange.“ Er sieht unsicher zu mir rüber.
„Ich möchte mal darüber hinwegsehen, dass eigenständiges Weinbrennen im Schloss untersagt ist.“ Ich seufze einmal kurz. „Und auch, dass ihr Wetten und Trinkspiele auf Kosten meiner Kandidatinnen gemacht habt.“
„Aber…?“, meint Tanner skeptisch.
„Aber, dass ihr beide geglaubt habt, dass Lady Columbia gewinnen wird, kann ich euch nicht verzeihen.“
„Wieso? Wir hatten doch Recht.“
„Ja aber trotzdem. Ich meine: haben Sie Lady Columbia schon einmal gesehen? Dieses Mädchen hat keine Ahnung davon, wie man sich richtig Verhält und hätte sie kein fotografisches Gedächtnis, dann hätte sie garantiert keine Chance gegen Lady Alexandra gehabt.“
Tanner zieht eine Augenbraue hoch. „Ich denke Ihr unterschätzt Lady Columbia gewaltig. Natürlich ist sie sehr anders, als Ihr. Sie hat andere Ansichten, verhält sich anders als Ihr, denkt vielleicht sogar anders als Ihr. Aber das etwas neu oder anders ist, bedeutet ja noch lange nicht, dass etwas schlecht ist. Grade Ihr, der Ihr bald König werdet, solltet das verstehen. Wie wollt Ihr es sonst schaffen mit politischen Problemen jeglicher Art umzugehen? Wenn Ihr Euer Volk glücklich machen wollt und auf seine Bedürfnisse eingehen wollt, dann müsst Ihr Euch auch auf die Sichten anderer einlassen.“
Ich sehe ihn schockiert an. Wie kann er es nur wagen?! Ich bin der Prinz! Wie kann er sich trauen, mich so offen zu kritisieren?! Ich habe das Gefühl, seit ich dieses Casting mache, ist nichts mehr, was ich mache oder bin, gut genug. Meine gesamte organisierte Welt bricht auseinander. Ich darf nicht meine Kontrolle verlieren! Meine Mutter hat mir doch beigebracht, dass man als Herrscher, beziehungsweise zukünftiger Herrscher, niemals die Kontrolle verlieren darf! Aber hat er vielleicht doch auch ein bisschen Recht? Verschließe ich mich, vor den Ansichten anderer? Das darf ich nicht einfach auf mir sitzen lassen!
Ich starre ihn mit Wut in meinen Augen an. „Gehen Sie! Sofort!“ Zu meinem Erstaunen wirkt Tanner keinesfalls bestürzt oder etwas in der Art.
Er seufzt schlicht und steht ganz ruhig auf. „Das ist genau das, was ich meine. Denkt darüber nach.“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verlässt er mein Zimmer.
Ich fahre mir durchs Haar. Hat er Recht? Wie kommt es, dass ich plötzlich Selbstzweifel habe?! Ich hatte nie Selbstzweifel! Na gut. Ich weiß nicht ob er Recht hat, aber Tanner kennt mich sehr gut und verbringt viel Zeit mit mir. Und ob ich es mir eingestehen will, oder nicht… ich vertraue ihm. Ich werde einfach versuchen, mich bei diesem dämlich… bei diesem Date auf Columbia einzulassen. Gott steh mir bei.
Eine Viertelstunde vor meinem festgelegten Termin mache ich mich auf den Weg zu Columbia. Nur dass diese bereits da steht, als ich die Tür zu meinem Zimmer öffne, und mich beunruhigend angrinst. Ich erschrecke mich zu Tode.
„Lady Columbia?! Wie lange stehen Sie schon hier?!“
„Etwa eine halbe Stunde. Ich hatte gedacht es ist immer besser ein bisschen früher da zu sein.“
Ein BISSCHEN früher? Sie stand eine HALBE STUNDE vor meinem Zimmer und hat meine Tür angestarrt, bis ich herauskomme?! Das nimmt langsam schon Dimensionen eines Stalkers an…
„Wie sind Sie überhaupt hier hin gekommen?“, will ich wissen, „Es ist den Erwählten nicht erlaubt, den Flügel der Königsfamilie zu betreten!“ Ich sehe Tanner an der Ecke stehen.
Er sieht mich, grinst und tut so, als wäre er gerufen worden und müsste dringend gehen.
Aha. So ist sie also reingekommen. Ich soll mich auf sie einlassen. Wie soll ich das machen, wenn sie mich schon aufregt, bevor das Date überhaupt richtig begonnen hat?! Ganz ruhig, Christian. Beruhige dich. Du kriegst das hin. Denk an dein Reich. Denk an Illéa.
Ich atme tief ein. Als ich wieder ausatme lächle ich entspannt. „Gut, lassen Sie uns gehen.“ Ich schaffe es sogar, ihr meinen Arm anzubieten, den sie mehr als freudig ergreift und wir laufen los.
Während wir an Tanner, der sich einfach nur hinter die Ecke gestellt hatte, vorbei kommen, meint dieser schmunzelnd: „Viel Spaß ihr Turteltauben!“
Columbia ruft ihm entzückt: „Danke, Tom!“, zu.
Ich stocke kurz. Tanner ist seit Jahren meine Wache. Aber ich habe ihn nie mit Vornamen angesprochen. Ich hatte sogar vergessen, wie sein Vorname gewesen war. Für mich war er schon immer Tanner. Aber er heißt ja Tom.
„Christian?“, spricht Columbia mich an, „Alles in Ordnung?“
Und wo wir grad beim Thema Vornamen sind… „Ja alles Bestens“, behaupte ich und füge scharf hinzu, „Aber Sie sollen aufhören mich mit meinem Vornamen anzusprechen.“
Columbia verdreht die Augen. „Mein Gott. Warum regt dich das überhaupt so auf? Es ist doch sonst niemand da. Und selbst wenn jemand da wäre, du bist doch auch nur ein ganz normaler Mensch. Also warum sollte ich dich nicht wie einer ansprechen?“
Das ist ja wohl die Höhe! Wir sind inzwischen Draußen angekommen und ich entreiße ihr wütend meinen Arm. „Ich bin kein ‚ganz normaler Mensch‘! Ich bin der Kronprinz Illéas! Und ich erwarte auch als solcher behandelt zu werden!“
Sie kommt herausfordernd auf mich zu. So aufgebracht und gegen mich gerichtet, habe ich sie bisher noch nie gesehen. „Und ohne deinen blöden Titel und dein Geld? Was wärst du dann bitte noch? Jeder andere hätte genauso gut Kronprinz sein können. Also steig von deinem hohen Ross runter und tu nicht so, als wärst du etwas besseres, nur weil du in die richtige Familie hineingeboren wurdest, Christian.“
Autsch. Das hat gesessen. Ich bebe schockiert mit meiner Unterlippe. Meine Wut ist so groß, dass ich sie gar nicht in Worte fassen kann. Und gleichzeitig flimmert noch etwas anderes in meiner Brust auf. Etwas, das ich nicht ganz deuten kann. Es kann nicht sein, dass ich mich durch dieses dumme Mädchen… verletzt fühle. Oder? Ohne ein weiteres Wort dreht sich Columbia um und geht. Immer noch halb taub laufe ich ihr hinterher.
Nach ein paar Schritten verwandelt sich auch diese Taubheit in rasende Wut. Ich drehe Columbia an der Schulter zu mir um. Mein Kopf ist hoch rot.
„NIEMAND HAT ES JEMALS IN MEINEM GESAMTEN LEBEN GEWAGT, SO MIT MIR ZU SPRECHEN!“, schreie ich sie an. „Wie meinst du das? Wie mit einem normalen Menschen?“
Es prallt an ihr ab, wie Wasser auf einer Plastikfolie. Das kann nicht ihr ernst sein. Ihr Blick ist so verwirrt und unschuldig, als hätte sie keine Ahnung davon, dass sie etwas falsch gemacht haben könnte. Das steigert meine Wut noch mehr.
„Das tut mir so leid für dich, Christian. Du bist in so einer schwierigen Position und niemand sagt dir die Wahrheit oder versucht dir zu helfen, weil sie Angst vor deiner Macht haben. Und dein unendlicher Perfektionismus schreckt sie nur noch mehr ab. Das muss wirklich schwer für dich sein. Du musst dich so einsam fühlen.“
Was zum…?! Nein! Tue ich nicht! Ich habe meine Familie, die mich tatkräftig unterstützt, vor allem meine Mutter, und die Diener haben keine Angst vor mir, sondern respektieren mich und meine Arbeit.
Aus heiterem Himmel beginnt Columbia sanft zu lächeln. „Aber keine Sorge. Deshalb bin ich ja da. Ich habe dich immer schon beobachtet und ich weiß, dass so viel Gutes in dir steckt, das nur darauf wartet, von deiner sturen Denkweise befreit zu werden. Ich verspreche dir, dir dabei zu helfen und, dass ich dir immer meine ehrliche Meinung sagen werde.“
Das wird ja immer schöner! Ich trete wieder einen Schritt auf sie zu. „MICH INTERESSIERT DEINE MEINUNG NICHT!“
„Hey!“, werde ich plötzlich von der Seite angesprochen. „Könntet ihr bitte aufhören euch zu streiten und uns unseren Ball wieder geben? Wir haben jetzt schon drei mal gefragt, Bruderherz!“
Ich drehe meinen Kopf. Leonard und Lennard stehen mit verschränkten Armen da und sehen erwartungsvoll und genervt zu mir. Zu meinen Füßen liegt tatsächlich ein alter Fußball.
Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar. Seufzend meine ich: „Leo, Len. Wie oft soll ich euch noch sagen, dass ihr in den Gärten nicht Fußballspielen sollt? Ihr ruiniert den Rasen und ich habe Angst um die Fenster.“
Len verdreht die Augen. „Mein Gott. Du bist so langweilig.“
Ich schüttle den Kopf. Alle scheinen heute etwas gegen mich zu haben.
„Geht doch in den Wald. Da ist auch Gras.“
„Im Wald sind aber die ganzen Bäume und man kann dadurch nicht so frei spielen“, beteuert Leo.
„Dann geht halt…“
„Boa Christian. Spiel einfach den Ball zurück“, mischt sich jetzt auch noch Columbia ein.
Ich starre sie fassungslos an. Was hat sie in meinen Privatangelegenheiten zu suchen?
Sie verschränkt die Arme. „Na los! Die Beiden haben Recht! Du musst mal lockerer werden! Und jetzt spiel endlich den Ball zurück.“
Sie gibt mir Befehle?! Das kann sie nicht ernst meinen! Leo und Len beginnen leise zu kichern. Sie stellt mich bloß!
Herausfordernd sieht sie mich an. „Spiel zurück Christian.“
Ich schüttle den Kopf. „Nein.“
In dieser Sekunde schießt Columbia den Ball vor meinen Füßen weg und rennt ihm lachend hinterher. Leo und Len sehen sich überrascht an und folgen Columbia grinsend. Ehe ich mich versehe beginnen die drei auch schon, mich verhöhnend, Fußball zu spielen.
Das ist das unladyhafteste Benehmen, was ich je in meinem Leben gesehen habe. Ich lasse das nicht auf mir sitzen und verliere durch diese Göre meine Autorität! Diesen Krieg gewinne ich.
Schnell ziehe ich mein Jackett aus. „HER MIT DEM BALL!“, rufe ich und ein Fangspiel beginnt, in dem ich Leos und Lens Fußball hinterher jage, den sie und Columbia immer wieder hin und her kicken. Warum muss Columbia auch heute ein kurzes Kleid tragen, in dem sie sich gut bewegen kann?!
Irgendwann kann ich dann doch noch atemlos den Ball mit meinem Fuß zum stillstehen bewegen. Na endlich! Jetzt kriegen die aber was zu hören! Gerade als ich mit dem meckern anfangen will, vernehme ich Leos und Lens lautes Lachen.
„Oh mein Gott, Bruderherz! Das war genial!“, meint Leo.
„Ja! Ich hätte nicht gedacht, dass du so fit bist! Achtzig Prozent des Tages hängst du ja nur vor deinem Schreibtisch rum!“, stimmt Len ihm zu.
Ich winke ab. „Ach quatsch! Ihr wisst doch, dass ich…“
„Wie sollen sie, wenn du dir nie Zeit für sie nimmst?“ Columbia tritt dazu und kommt mir plötzlich irgendwie älter und vernünftiger vor, als vorher.
Könnte sie Recht haben? Ich sehe meine beiden Brüder an, die mich anstrahlen und denke an unser Gespräch von gestern. Ihre Offenbarung, dass sie sich nach Aufmerksamkeit sehnen. Und ich sehe ein, dass es nicht reicht, das meinen Eltern mitzuteilen. Ich selbst, muss ihnen auch die Aufmerksamkeit und Wertschätzung geben, die sie sich wünschen. Sie brauchen keinen Kronprinzen. Sie brauchen einen Bruder.
Ich beginne zu lächeln, kicke den Fußball weg, renne los und rufe: „Na los! Mal sehen, ob ihr mich besiegen könnt!“

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