Augenkontakt

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Einen Tag später. Und schon war mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt: eine Parade der Königsfamilie. Und ich konnte meinen Sohn nicht daran hindern, zu der Parade zu gehen, allein schon wegen den Pferden. Das Beste kam noch: er wollte nach ganz vorne, um die Pferde besser zu sehen. Wenn ich Stefan damals nicht verlassen hätte, wäre Maxi jetzt auf so einer Kutsche, wäre als Prinz aufgewachsen in Dänemark, hätte diese Sprache verinnerlicht und wäre nicht als australischer, normaler Junge aufgewachsen. Aber so war es eben nicht gelaufen. Ich hatte Stefan verlassen. Und das aus einem Grund, den manche nicht verstehen. Aber die meisten Ehen enden, nachdem ein gemeinsames Kind gestorben ist. Das war bei uns beiden der Fall gewesen und ich konnte es nicht mehr aushalten, in Stefans Augen zu sehen. In ihnen sah ich nur noch Verlust und Schmerz. Und das wollte ich einfach nur noch loswerden. Mein Sohn weckte mich aus meinen Erinnerungen: "Mommy, gehen wir jetzt?" Ich nickte nur stumm mit dem Kopf und strich meinen Unterrock glatt. Es war Tradition, das man ein Kleid trug, wenn man eine Frau war, und Hose und Hemd, wenn man ein Mann war. Dementsprechend waren wir gekleidet. Ich zog Maxi seine Schuhe an, griff nach meiner Handtasche und machte mich auf den Weg auf die von Trubel beherrschten Straßen. Überall waren Leute, einerseits war es schrecklich, andererseits war es toll, dass so viel los war. Aber das musste nicht unbedingt in Kopenhagen sein. Nun war es aber so, und ich musste das Beste aus dieser Situation machen.
Nach einer Weile hatte Maxi keine Lust mehr, an meiner Hand zu laufen und ich nahm ihn auf meine Schultern und stellte mich nach vorne, damit er seine Pferde sehen konnte. Er war ganz vernarrt in diese Tiere, weshalb ich mir überlegte, ihm in ein paar Jahren Reitunterricht geben zu lassen, wenn wir wieder in Australien waren. Falls wir da wären. Ich war so pessimistisch. Ich hatte es im Gefühl, dass Stefan uns sehen würde und mich sofort erkennen würde. Nachdem ich mich in den letzten drei Jahren nicht verändert hatte, wäre das nicht das größte Problem. Das wäre, mich in den Palast zu bekommen. Aber wenn ich es mir so recht überlege, wenn Maxi mitbekommt, dass der König sein Vater ist, dann würde er nicht nachgeben, bis ich wenigstens einmal in diesem doofen Schloss gewesen wäre. Oh Gott! Dieser Junge ist so anstrengend! Wie wäre Leonia? Insgeheim freue ich mich darauf, ihr Gesicht zu sehen. Das Gesicht meiner wunderschönen Tochter.
Trompeten und Trommelschläge kündigten die ersten Teilnehmer der Parade an. Irgendwelche Musikanten. Wie lange würde es dauern, bis ich meine Tochter sehen würde? Würde sie mich auch sehen? Würde sie mich, falls sie mich sehen sollte, erkennen? Wie würde sie sich verhalten? Wie würde ich mich verhalten? Was würde ich machen? Auf diese ganzen Fragen hatte ich keine einzige Antwort, außer: ich weiß es nicht.
Die Musikanten waren vorübergezogen und jetzt liefen mehrere Pferde an uns vorbei. Natürlich flippte mein Sohn sofort aus: "Momma, da, Pferde", er deutete mit seinem Finger auf die Pferde. Nach den Pferden kamen Soldaten. Ich dachte mir, dass es nicht mehr lange dauern könnte, bis die Königsfamilie hier aufschlagen würde. Und ich sollte recht behalten. Aber zuerst erklangen Fanfaren ohne Ende. Und dann sah ich sie. Die Kutsche der Königsfamilie, als sie um die Ecke bog. Ich hielt Ausschau nach Leonia. Nach meiner kleinen Löwin. Nach meinen Engel. Ich sah sie erst, als Maxi auf sie zeigte: "So hübsch!", murmelte er. Ich lächelte nur und nickte liebevoll. "Wer ist das?", fragend zeigte er auf seinen Vater. "Das ist König Stefan." Ich verschwieg ihm die Tatsache, dass dieser Mann sein Vater war. Und dann sah er mich. Er starrte mir direkt in die Augen und sah Maxi, seinen Sohn, auf meinen Schultern. Ich erstarrte. Mir war es im Vorhinein klar gewesen, dass diese Parade Folgen haben würde. Und das nur, weil Maxi Pferde sehen wollte. Warum konnte ich nicht auf einen normalen Reiterhof fahren? Nein, ich musste natürlich auf diese Parade gehen. Und jetzt würde ich die Konsequenzen meines Verhalten tragen müssen. Stefan sprach schon mit dem Kutscher und die Kutsche wurde immer langsamer, bis sie schließlich zum Stehen kam. Nein! Warum musste das nur mir passieren? Immerhin waren seine Eltern und diese Summe Nikolina nicht dabei. In mir regte sich dennoch ein kleiner Funken der Hoffnung, dass er Leonia mitnehmen würde. Aber stattdessen flüsterte er ihr etwas zu, strich ihr über den Kopf und stieg aus der Kutsche. Das Volk verstummte. Es wurde leise. Jeder schaute sich um, nach dem Grund, wegen dem ihr König gestoppt hatte. Und dann lief Stefan auf mich zu und jeder starrte mich an. Bis den Leuten ein Licht aufging, wer ich war. Es hatte mich sowieso schon verwundert, dass mich bis jetzt niemand erkannt hatte. Glücklicherweise. Damit war jetzt aber Schluss. Ich hielt den Atem an, als Stefan vor mir stand und mir direkt in die Augen starrte.

Plötzlich Royal 2Where stories live. Discover now