Kapitel 96

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"Der Wurm lässt sich ja ziemlich viel Zeit, dafür dass du nen Frühchen warst, hm?", sagte Maik und sah selbstsicher zu Dr. Shepert. Dieser wog seinen Kopf hin und her: "Generell sind Früh- oder auch Spätgeburten nicht vererbbar, also ist es nicht unbedingt ungewöhnlich." Ich sah hämisch grinsend zu Maik, welcher kleinlaut auf den Boden sah. Der Arzt verkniff sich ein Grinsen und wandte sich nun an mich: "Also, wenn die Wehen nicht in den nächsten 24 Stunden eintreten, werden wir die Geburt einleiten müssen, um mögliche Schäden des Kindes zu vermeiden." Ich sah ein wenig skeptisch vom Arzt zu Alex und wieder zum Arzt. "Es ist wirklich keine Seltenheit, dass Geburten eingeleitet werden und die Risiken sind wirklich sehr gering, dass irgendwas passiert", ergänzte der Arzt, als er meine Skepsis bemerkte. "Ja, ich nehme mal an, dass ich nicht wirklich eine Altanative habe, oder?" "Naja, wir könnten abwarten bis die Wehen von selbst einsetzten, aber auf längeren Zeitraum ist das weder gesund für das Kind, noch für Sie selbst." "Ja, gut dann wär es wirklich besser", ich sah zu Alex und lächelte ihn an, "Wir wollen ja auch nur das Beste für das Kind." Der Arzt erzählte noch einiges Wissenswertes über die Einleitung und allem Drum und Dran.
"Weißt du wie spät es ist?", fragte mich Alex, als wir etwas durch den Hof des Krankenhauses liefen. "Mensch Schatz, jetzt schalt doch mal ein bisschen ab!" Er rümpfte wieder mal seine Nase, wie ein kleines Häschen. Ich fand das so unglaublich süß wenn er das tat. "Hast du dein Kind eigentlich schon mal gesehen, also das was du mit Elena hast?", fragte ich ruhig. Er sagte eine Weile nichts und schien geschockt von der Frage zu sein: "Uff, ähm, ja. Kurz nach der Geburt war ich im Krankenhaus und ja. Das war's dann auch schon wieder. Eigentlich traurig, aber was soll ich machen? Ich war ähm 16, so einfach war das echt nich damals und Elena hat ja auch schließlich den Kontakt abgebrochen. Ich hab aber auch nicht wirklich Lust jetzt wieder darüber zu reden. Tut mir leid Schatz, aber mir fällt das auch nicht leicht!" Er sah mit traurigen Augen kurz vom Boden auf. Es tat mir in der Seele weh, als er mir in die Augen sah. Wie konnte man einem Vater den Kontakt zu seinem eigenen Kind verweigern? Vor allem wenn es dafür nicht mal wirklich einen triftigen Grund gab. Klar ist es erstmal ziemlich beschissen, wenn man mit 15 schwanger und mit 16 Mutter wird, aber es ja auch nicht so als das sie sich des Risikos nicht bewusst war ergo ist Alex jetzt nicht allein daran Schuld, dass das passiert ist. Es war vermutlich reiner Zufall, dass sie ihr Kind damals nicht abgetrieben hat. Alex über die ganze Sache ausschlieslich nur mit einer einzigen Person geredet und das war Steffan. Als Alex und ich dann eine Weile zusammen waren, hat Steffan es mir schließlich erzählt, weil er der Meinung war, dass ich ein gutes Recht hätte es zu erfahren und dass Alex von selbst niemals mit der Sprache rausgerückt hätte. Alex hatte ihm erzählt, dass Elena erst wusste, dass sie schwanger war als sie im dritten oder vierten Monat war, also hätte sie auf legalem Weg nicht mal im Ansatz die Chance auf eine Abtreibung gehabt. Alex hatte sich anfangs sogar auf das Kind gefreut, doch dann kam ihm der Unfall von seinen Großeltern und seiner Schwester in die Quere. Alle drei starben in Folge dessen und Alex rutschte ab. Er hatte es in seiner Jugendzeit allgemein schon nicht leicht. Er war in ner beschissenen Gang drinn, die ihn immer weite in die Scheiße ritten: Drogen, Alkohol, illegale Wettkämpfe. Nach einem Krankenhausaufenthalt hatte er sich auf fast wundersame Weise wieder gefangen und versprach Elena für sie und das Baby da zu sein. Die einzigen, die dabei nicht mitspielten, waren ihre Eltern. Sie stellten sich gegen Alex, sowie das Kind. Sie wollten auch eigentlich, dass Elena das Kind nach der Geburt zur Addoption frei gibt, doch Elena weigerte sich strikt gegen ihre Eltern und zog letztenendes aus. Allerdings schien ein Teil der Zweifel gegenüber Alex auf die angefärbt zu haben und sie wollte ihn weder im Krankenhaus, noch in ihrem Leben haben. Ihr neuer Freund, der allem Anschein nach, den letzten Funken Menschlichleit verloren zu haben, hielt Alex so gut es ging auf dem Laufenden was das Kind betraf. Er schickte ihm Ultraschallfotos und informierte ihn über Namen und Geburtstermin. Als das Kind geboren wurde, was zwei Wochen zu früh der Fall war, rief Marco, der Freund von Elena, Alex an und bot ihm an sein Kind, Bennet, im Krankenhaus zu besuchen.  Das war dann das erste und, seit neusten Erkenntnissen, letzte Mal, dass Alex seinen Sohn gesehen hatte. Heute hat er weder Kontakt zu Elena noch zu seinem Sohn.

Alex setzte sich neben mich auf die Bank und ich lehnte mich an ihn. "Hättest du gern Kontakt zu ihm?" Ich wusste ja, dass er nicht gern darüber spricht, aber nur schwirrten so viele Gedanken im Kopf herum. "Klar, ich mein es ist schließlich mein Kind, meine Gene!", wieder ein unterdrücktes Schluchzten. Dann schoss sie mir durch den Kopf, die perfekt Idee Alex zu seinem Kind zu verhelfen. Ich müsste nur irgendwo den vollständigen Namen von Elena herausfinden und herausfinden in welchen Kindergarten der kleine geht. Ich hatte schon oft die Idee Kitas und Schulen zu besuchen, um unseren Sport anzupreisen und Kunden anzuwerben. Das gleiche könnte man dann in Bennets Kita tun und wenn er die Gene seines Vaters in sich trägt, wird er zu 100% darauf anspringen. Wenn wir riesiges Glück haben, wird Elena mit ihm zum Probetraining kommen und Alex hätte eine Chance sein Kind außerhalb des Krankenhauses und aus nächster Nähe zu sehen. Ich hätte so viel weiter denken können, doch wurde von einem druckartigen Schmerz unterbrochen. Wie sonst auch merkte Alex sofort, dass etwas nicht stimme: "Schatz, was ist los?" "Ich bin hochschwanger und sitze mit Schmerzen im Hof eines Krankenhauses. Was wird wohl mein Problem sein?", brüllte ich ihn an. Er schien in eine Art Schockstarre verfallen sein, denn er stand, wie die Maus vor der Schlange, regungslos vor mir und starrte mich an. "Alex!", brüllte ich wieder. Er half mir hoch und lief als Stütze neben mir, bis wir im Krankenhausflur ankamen. "Könnten Sie mir bitte helfen!", rief er zu einem Pfelger der bereits mit einem Rollstuhl auf dem Weg zu uns war. "Was ist passiert?", fragte er uns. "Was denken Sie denn?", schnauzte ich auch ihn voll, "Ich bin hochschwanger und bin schon bei Ihnen im Krankenhaus. Keine Ahnung, aber Wehen sind es bestimmt nicht!" Alex schüttelte grinsend den Kopf: "Sie müssen ihr verzeihen. Josi ist ziemlich temperamentvoll. Kamofsportlerin halt." "Schon gut, sowas erleben wir hier tagtäglich. Früher hatte ich auch eine Nichte, die Kampfsport gemacht hat. Wir haben uns schon ewig nicht mehr gesehen, weil sich die Familie ziemlich verkeilt hatte. Sie ist ein wachsender Stern in der MMA-Szene. Auch wenn ich sie Ewigkeiten nicht gesehen hab, bin ich doch schon ziemlich stolz auf sie. Ich war auch wirklich bei jedem einzelnen Kampf von ihr." Mein Körper verkrampfte auf aufs Heftigste, wodurch ich einfach nicht mehr die Konzentration aufbringen konnte zuzuhören. Das letzte woran ich mich dann erinnerte war das grelle Licht in Kreissaal, Alex an meiner Seite. Als uns die Hebamme sagte, dass es ein Jubge sei, brachen bei Alex alle Dämme. Ich strich ihn mit einer Hand durchs Gesicht. Erschöpft lächelte ich ihn an. Als sie mir dann auch noch das Kind auf die Brust legte, war endgültig jeder Schmerz vergessen. Es war der schönste Moment meines Lebens. Es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht, die Erkenntnis, dass das mein Kind war, welches dort auf meiner Brust lag. Wir waren eine richtige kleine Familie: Alex, ich und unser Sohn. Der Arzt nahm den Kleinen wieder von meiner Brust und wahrscheinlich hätte ich irgendwas machen sollen, doch war einfach zu müde. Es dauerte wenigr Sekunden bis ich einschlief.

Ich blinzelte und das helle Licht der Deckenlampe schien mir in die Augen. Ich sah Alex neben mir sitzen. Laura, Maik, Steffan, Andy. Die nächsten Personen, die ich im Zimmer erkannte. Wie lang hatte ich geschlafen? Es kam mir vor, wie Monate. Ich griff vorsichtig nach Alex' Hand. Er zuckte erschrocken zusammen und lächelte mich schließlich an. Dann stand er auf,  ohne einen Ton gesagt zu haben, in nahm Laura etwas ab. Als er wieder neben mir stand konnte ich erkennen was es war: Ein Baby. Unser Baby. Er legte mir den Kleinen in die Arme, nachdem ich mich langsam aufgesetzt hatte. "Darf ich dir vorstellen: unser Sohn", sagte Alex mit bebender Stimme. Ich sah auf das kleine Bändchen um sein Handgelenk: Caleb-Mateo Reathford. "Hallo, mein Schatz", meine Stimme bebte noch mehr als Alex', "Wilkommen auf der Welt." Mir liefen ein paar Tränen über die Wange. Mit halb geöffneten Augen sah mir der Kleine direkt in die Augen. Es war ein unbeschreiblicher Moment. Ich legte ihm meinen Finger in die Hand und reflexartig hielt er sich daran fest. Mein Finger allein wirkte schon riesig neben seinen kleinen Händchen.
Ich war Mutter! Das ist mein Kind! Das ist meine Familie!

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