Kapitel 22: In der Falle

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Es ist noch mitten in der Nacht, als Eden wach wird. Maddie und Jacob haben den Wachdienst übernommen und sie haben eine Dosenbarriere gebaut. Trotzdem hat sie ein seltsames Gefühl.
Direkt neben ihr liegt Enid. Sie ist in der Nacht wohl näher an Eden herangerückt und scheint fest zu schlafen. Rahul schläft ein Stückchen von ihnen entfernt.
Verschlafen reibt sie sich die Augen und lässt den Blick über das Gelände schweifen. Es sind zwar Beißer in der Nähe, aber sie sind weit genug weg. Außerdem sind es nicht viele. Das ungute Gefühl will trotzdem nicht verschwinden. Sie schält sich aus der Decke, die sie von den anderen bekommen hat und läuft zu Jacob und Maddie.
"Ich kann einen von euch ablösen.", bietet Eden an. Maddie nickt dankbar, sie sieht wirklich müde aus, und kuschelt sich in ihren Schlafsack. Wenig später hört man sie leise schnarchen.

"Und?", fragt Jacob, "Willst du nicht doch bei uns bleiben?"
"Mal sehen.", entgegnet sie. Sie beginnt an einem Stück Holz zu schnitzen, dies hält sie wach.
"Warum musst du hier so dringend weg? Was ist passiert?"
Eden schnitzt eine Weile schweigend weiter.
"Weil mich sonst der Anführer einer nicht zu unterschätzenden Gruppe umbringt.", antwortet sie schließlich. Jacob sieht sie verwundert an.
"Wie hast du das denn hinbekommen? Hast du dich mit ihnen angelegt?"
"Ich war seine Frau."
"Oh.", macht Jacob. Mit so einer Antwort hat er nicht gerechnet. Dann lacht er leise.
"Ein post-apokalyptisches Ehedrama also."
Eden schnaubt nur verächtlich.

"Hast du ihn geliebt?", fragt er dann unvermittelt. Eden wirft ihm einen kurzen giftigen Blick zu. Sie lässt ihr Messer ruckartig über das Holz schaben, sodass ein dicker Span abspringt und gibt ein Grunzen von sich. Jacob scheint zu kapieren, dass er sobald keine Antwort auf diese Frage bekommen wird.
"Maddie...", sagt er dann leise, "Wir sind schon die ganze Zeit zusammen. Wir haben kurz nach dem Ausbruch des Virus gefunden, hatten beide alles verloren. Wir haben uns ineinander verliebt. Damals kam es mir so vor, als gäbe es nur noch uns beide auf der Welt. Aber mittlerweile...", er unterbricht sich selbst.
"Weißt du nicht, ob du sie wirklich liebst?", beendet Eden seinen Satz.
"Ich liebe sie. Aber ich weiß nicht, ob ich sie liebe, weil ich sie liebe. Oder weil sie die einzige ist. Verstehst du das?"
"Ja", sagt sie, "Aber wir leben in einer Welt, in der man sich nicht mehr aussuchen kann, mit wem man zusammen ist. Man ist froh, überhaupt jemanden zu haben, nicht wahr?"
Jacob bohrt nachdenklich mit einem Stock in der Erde.
"Ja, schon. Aber man will ja auch nicht mit jemanden zusammen sein, nur weil man keine Auswahl hat."
"Man hat letztendlich immer eine Wahl.", sagt sie.
"Das dachte ich auch mal.", seufzt Jacob, "Aber man sucht sich ja nicht raus, in wen man sich verliebt." Er bohrt wieder mit dem Stock in der Erde. "Warum hast du ihn geheiratet?"
"Um ihn umzubringen."
Jacob hebt fragend die Augenbrauen. Sie hat eigentlich wenig Lust, darüber zu reden. Aber Jacob ist einer der beharrlichen Sorte.
"Wie jetzt?"
Eden stöhnt entnervt auf. "Er war...ist ein Arschloch. Ich hab ihn geheiratet, um an ihn ranzukommen. Und dann wollte ich ihn umbringen."
"Das hast du dann aber doch nicht getan.", schlussfolgert er messerscharf.
"Nein. Im Gegenteil: Ich hab ihm zwei Mal den Arsch gerettet. Und zum Dank hat er mich rausgeschmissen und mir gedroht, mich umzubringen, falls wir uns noch mal begegnen.", knurrt sie. Erst jetzt fällt ihr auf, wie absurd das alles für einen Außenstehenden klingen muss. Ein Lachen steigt in ihr auf. Jacob stimmt in ihr Lachen ein.
"Scheint wirklich ein ziemliches Arschloch gewesen zu sein.", sagt er, noch immer lachend.
"Darauf kannst du einen lassen.", stimmt Eden ihm zu.
"Und dennoch hast du ihn geliebt. Obwohl du sicherlich auch jemanden anders hättest haben können." Edens Kopf ruckt zu Jacob. Sie starrt ihn wütend an.
"Bist du jetzt mein Psychologe, oder was?", zischt sie. Er hebt abwehrend die Hände.
"Ich hab dich nur beobachtet. Du bist verletzt. Und da dachte ich..."
"Denken ist offenbar nicht eine deiner Stärken!", unterbricht sie ihn rüde.
Jacob pfeift durch die Zähne. "Du zeigst mir gerade, mit deinem Verhalten, dass ich recht habe. Du willst es nur nicht wahrhaben."
"Pffff.", macht Eden verächtlich. Dieser Hobbypsychologe geht ihr allmählich wirklich auf den Zeiger. Soll er mal lieber Holz hacken, dieser Lumberjack.
"Ich hab ne Weile als Sozialarbeiter gearbeitet. Und da war eine Frau...sie war mit einem Typen zusammen, der sie regelmäßig vermöbelt hat. Er hat sie eingesperrt, gedemütigt, ihr sämtliche Kontakte verboten- das ganze Programm. Sie ist irgendwann weggelaufen, ist in einem Frauenhaus untergekommen. Nach einer Weile hat sie einen neuen Freund gehabt, der das komplette Gegenteil von ihrem Ex war. Sie war todunglücklich. Sie hat diesen Mann geliebt. Ihren Ex, meine ich. Obwohl er ihr all das angetan hat. Ich hab sowas nie verstanden. Aber es ist eigentlich ganz einfach: Wir verlieben uns in die verrücktesten, kaputtesten, schlimmsten Menschen. Manchmal, weil wir einer Illusion nachhängen. Manchmal, weil wir hoffen, dass die Person sich ändert. Manchmal, gegen unseren Willen. Zum Schluss bleibt immer eins: Es ist irrational. Es ist keine bewusste Entscheidung. Es passiert einfach."
Eden starrt auf das Stück Holz in ihren Händen.
"Ich denke,", sagt sie, "Dass du Maddie längst verlassen hättest. Aber du hast Schiss. Du bist lieber mit ihr zusammen, ohne sie richtig zu lieben, als allein. Dass du sie liebst, redest du dir bloß ein. Du belügst damit sie und dich selbst."

The Girl With The Bat (TWD/Negan FF)Where stories live. Discover now