XVII. Das mit dem Sonnenaufgang in Sydney

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„Okay... aber das O- Wort ist tabu.", warnte ich mit einer Geste, die keine Widerworte zuließ. Eleanor machte einen kleinen begeisterten Hüpfer, während sie sich mit den Fingern über die Lippen strich um ihre Verschwiegenheit bezüglich des einen Themas zu verdeutlichen. Ich atmete tief durch. Das könnte doch eigentlich lustig werden. Ein Mädelsabend voller noch unverbrauchter Gesprächsthemen. Was konnte schon schiefgehen?

Eine ganze Menge, wie ich um vier Uhr nachts auf der Damentoilette eines Nachtclubs irgendwo am Rande Sydneys, den ich noch nie betreten, geschweige denn von ihm gehört hatte, feststellen musste. Im Nightlife waren wir nicht lange geblieben, was uns aber nicht davon abgehalten hatte eine Menge kostenloser Shots durch provokantes Flirten, sowohl mit dem Barkeeper, als auch mit willkürlichen Typen von der Tanzfläche, abzusahnen.

Während mir langsam schwindelig wurde, schien Eleanor die beste Nacht ihres Lebens zu haben. Sie tanzte hemmungslos, was in regelmäßigem Abstand einen neuen Typen anlockte. Während ich an der Bar stand und Sophia neben mir eher schien, als wollte sie lieber einfach nach Hause. Die letzten zwei Tequila hatte sie so selbstverständlich hinuntergekippt, dass ich mich fragen musste, ob sie den Alkohol überhaupt noch wahrnahm. Schließlich hatte Eleanor uns mit einer eher wirren Argumentation und einem sehr gutaussehenden jungen Mann an ihrer Seite davon überzeugt, dass wir mit ihnen unbedingt in diesen angesagten Undergroundclub gehen sollten. Sophia und ich zuckten nur gleichgültig die Schultern. Ein Szenenwechsel schien angebracht.

Wir schlugen uns durch die Nacht und ich musste sagen, dass das der Punkt der Nacht war, an dem ich am meisten Spaß hatte. Wir liefen menschenleere Straßen entlang, sangen und lachten und obwohl Eleanor immer noch ihren blonden Lockenkopf im Schlepptau hatte, schien sie sich mehr für unsere Diskussion der besten Reiseziele sowie die letzten Modetrends des kommenden Winters zu interessieren.

Der Club in dem wir landete war... beeindruckend. Wir stiegen ewig lange Steintreppen hinunter bis wir vor einer runden Stahltür landeten. Diese wurde schließlich für uns langsam geöffnet und was uns entgegenschlug war tiefer, alles konsumierender Elekrotechno. Es war überhaupt nicht meine Musikrichtung und dennoch hatte ich das dringende Bedürfnis mich in die Menge zu schmeißen und mich der Musik hinzugeben.

Eleanor schien uns zur Bar winken zu wollen, doch ich schüttelte einfach den Kopf. Ich wollte nicht mehr Alkohol. Ich wollte einfach den Beat unter meinen Füßen spüren und mich vergessen. Sophia folgte ihr und ich ließ mich einfach in die Menge ziehen und fing an zu tanzen. Ich machte keine großen Bewegungen, eher versuchte ich mich vollkommen der Musik anzupassen. Ich schloss die Augen. Es war lange her seit ich mich das letzte Mal so frei gefühlt hatte. So unbeschwert, ohne Sorgen oder negative Gedanken, die sich in meinen Kopf schlichen. Ein leichtes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und verschwand auch nicht mehr. Ich wusste nicht wie ich komplett hypnotisiert und verloren auf der Tanzfläche verbrachte.

Bis mich jemand plötzlich fest an den Schultern packte. Erschrocken öffnete ich die Augen und fand Sophias, deren Blick sehr desorientiert wirkte. „Eleanor ist weg.", schrie sie mir mit sehr verschwommener Stimme ins Ohr.    

Verwundert drehte ich mehrmals um meine eigene Achse musste aber feststellen, dass ich rein gar nichts erkennen konnte. Es war einfach dunkel. Ohne zu Zögern packte ich Sophia an der Hand und zog sie Richtung Damentoilette. Das grelle Licht darin blendete mich und kurz musste ich überfordert die Augen schließen.

Sophia schien anhand der Tatsache, dass sie sofort anfing loszureden, mehr als nur besorgt zu sein. „Wir haben getanzt und dieser Typ war die ganze Zeit bei ihr und dann war sie plötzlich einfach weg. Und der Typ auch. Und..." Sophia stoppte abrupt, bevor sie sich leicht nach vorne krümmte. „Oh Gott... ist mir schlecht." Und mit einer abrupten Bewegung beugte sie sich über das Waschbecken und entleerte ihren kompletten Mageninhalt. Ich versuchte mich von dem Geruch nicht zu selbigem verleiten zu lassen und versuchte die angeekelten Blicke von vorbeigehenden Frauen zu ignorieren. Als ob das nicht jedem schon einmal passiert war.

Ich schleppte Sophia in einer der Klokabinen. Sie übergab sich noch einige Male und währenddessen lehnte ich gegen die Tür und musste feststellen, dass diese Nacht doch etwas eskaliert war.

Ich dachte an meine Zeit in der ich gerade achtzehn geworden war und ich mit meinen Freunden jedes Wochenende die Clubs unsicher gemacht hatten. Ich hatte eine wirkliche Freundesclique gehabt. Wann war diese zerbrochen? Ich konnte mich nur erinnern, dass es irgendwann immer weniger Treffen mit allen zusammen stattfanden. Irgendjemand kam zusammen und trennte sich wieder. Gewisse Konstellation waren nicht mehr möglich, weil sich Freunde zerstritten hatten. Wann war ich so alt geworden?

Nach einer ganzen Weile hielt mir Sophia immer noch etwas bleich unter der Nase eine Nachricht von Eleanor unter die Nase, dass wir uns keine Sorgen machen sollten und sie sich morgen melden würde. Ich seufzte erleichtert auf. Dann fokussierte ich mich auf Sophia. Sie lächelte mich leicht verlegen an, immer noch mit einem leicht verschwommenen Blick.

„Was machen wir jetzt?"

Es war fast fünf Uhr morgens als wir den Hafen von Sydney erreichten. Man spürte schon, dass der Sonnenaufgang nicht mehr weit entfernt war und gemeinsam ließen wir uns am Pier nieder. Jeder in seine Gedanken versunken. Ich musste fast über die Ironie lachen, dass nach Jahren, in denen ich mit Niall abgeschlossen hatte, plötzlich diese beiden Exfreundinnen auftauchten. Als ob uns irgendetwas verband. Vielleicht sogar etwas, was über One Direction hinausging?

Das warme Sonnenlicht erschien am Horizont und der Himmel färbte sich rosa. Es war wunderschön. Ich hatte schon einige Sonnenaufgänge in Sydney gesehen, aber aus irgendeinem Grund, war dieser schöner als jeder davor gewesen war. Er berührte etwas in mir. Anscheinend berührte er auch etwas in Sophia, denn als ich sie ansah, merkte ich wie leise Tränen über ihre Wangen rannen. Als sich unsere Blicke trafen, fing sie laut an zu schluchzen.

Ohne dass ich anders konnte, legte ich meinen Arm um sie und versuchte ihr so viel Trost zu geben, wie es mir möglich war. Irgendwann löste sich Sophia und ihr Blick wandelte sich von Verzweiflung zu Wut. Sie zerrte an ihrer Kette und mit einem lauten Wutschrei schleuderte sie diese ins Meer. Sie flog einen hohen Bogen und versank schließlich im unendlichen Blau. Sophia folgte ihr bis zum Schluss mit den Augen, bis sie sich mit einer Hoffnungslosigkeit neben mich fallen ließ, die mir beinahe das Herz brach.

Und ich begriff, dass es Eleanor nicht um Rache ging. Es ging auch nicht darum jemanden zurückzukriegen. Es ging nur darum, dass Sophia das Gefühl hatte sie könnte sich gegen den Schmerz wehren. Und gegen die Person, die diesen Schmerz verursachte. Eine Ewigkeit saßen wir einfach nebeneinander am Pier ohne ein Wort zu sagen. Bis die Sonne komplett erschienen war und noch darüber hinaus.

Dann als Sophias Kopf auf meiner Schulter landete, sprach ich es aus. „Ich bin dabei."


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