THREE

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"Ms. McNaught?" fragte der Anwalt. Ich wandte mich der Stimme zu, doch Zarek und Manuel standen immer noch wie eine undurchdringliche Mauer vor mir. Ich legte meine Hand auf Zareks Schulter und er trat einen Schritt zur Seite. Als ich nun einen Blick auf den Anwalt erhaschte, stockte mir der Atem. Der Anwalt würde mir definitiv weiter helfen können. Ich würde mein gesamtes Hab und Gut darauf verwetten, dass er der Zwillingsbruder meines Gefährten war. Es fiel mir nicht schwer ihn an zu lächeln als ich seine Hand schüttelte. Er hatte die gleiche Größe, Gesichtszüge und Augen wie mein Gefährte. Jedoch war er bei weiten nicht so trainiert und wirkte auch um einiges älter. Mein Gefährte sah wie Ende zwanzig aus, während der Anwalt auf die vierzig zu zugehen schien. Das hieß, mein Gefährte war ein relativ junger Vampir. Außerdem fehlte dem Anwalt auch die Härte und Rauheit. Er war ein gut aussehender Schreibtischhengst, der mir trotz offensichtlicher Müdigkeit sympathisch entgegen lächelte.
"Anthony Gordon." Stellte er sich selbst noch einmal vor.
"Sehr erfreut Sie kennen zu lernen, Mr. Gordon." Erwiderte ich. Er wusste gar nicht wie sehr ich mich darüber freute. "Das ist einmal der Bruder von Lucas Sims, Manuel Sims." Die beiden reichten sich die Hände. "Und das ist Zarek Romanov. Ein Freund von uns." Auch sie schüttelten einander die Hände.
"Wollen wir in mein Büro gehen?" Bot er an und hielt uns die Tür einladend auf. Während ich sprach gingen wir in sein Büro:"Die Unterlagen, die sie genannt haben, habe ich alle mit dabei. Wie schnell können Sie die beiden da heraus holen?"
Er ließ sich hinter seinen Schreibtisch nieder und nahm die Dokumente entgegen. Kurz sah er die Dokumente durch. "Ich werde alles so schnell wie möglich fertig machen, wenn die Behörden nicht weitere Schwierigkeiten machen sollten Mr. Sims und Ms. Walter morgen Abend vorerst freigelassen werden. Jedoch mit einigen Auflagen." beeilte er sich hinzu zufügen.
"Von was für Auflagen sprechen wir?" Fragte ich nach. Lucas und Toni, richtig Antonia, waren zwei Lykae von uns. Sie waren Gefährten. Die beiden hatten Weihnachten und Silvester einen Roadtrip durch die USA gemacht. Jedoch kamen sie nicht wie erwartet nach Hause. Jegliche Kontaktaufnahme blieb vergeblich. Nach zwei Wochen hatten sie uns dann endlich erreichen können. Lucas und Toni hatten in einem öffentlichen Park am helllichten Tag miteinander geschlafen. Dabei hatten die beiden sich leider nicht nur erwischen lassen und waren infolge dessen verhaftet wurden, sie hatten sich auch ausrauben lassen. Handy, Geld, Papiere, alles fehlte. Wahrscheinlich wäre das ganze Drama erst viel später aufgefallen, aber die beiden waren auch unsere Computerexperten, die wir momentan dringend brauchten. Mein Bruder hatte zu Silvester seine Gefährtin gefunden und am nächsten Tag auch gleich wieder verloren. Das einzige was wir hatten war ein Kennzeichen, ein Vornamen und ein Land. Wir bauten darauf, dass Toni und Lucas sie mithilfe ihrer Fähigkeiten finden würden.
Momentan mussten wir den amerikanischen Behörden erst einmal beweisen, dass die beiden Lucas Sims und Antonia Walter waren. Danach würde noch das Verfahren wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses erfolgen.
"Sehr wahrscheinlich ist, dass die beiden sich jeden Tag bei der Polizei melden müssen. Aber genau sagen, kann ich es ihnen nicht."
Ich nickte. "Okay, brauchen Sie dafür noch irgendetwas oder müssen wir noch etwas besprechen?"
"Nein, vorerst wäre das alles. Ich werde mich um alles weitere kümmern und Sie dann kontaktieren."
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Wir hatten eine Suit mit einem gigantischen Ausblick. Momentan stand ich vor der großen Glasscheibe und starrte auf die Stadt hinab. Ich fragte mich in welchen Teil sich mein Gefährte in eben diesen Moment aufhielt und was er tat. Leise seufzend trank ich einen Schluck von den vollmundigen Rotwein. Ich hasste es, dass ich immer vernünftig sein musste. Aber dieses Mal war es dringend erforderlich. Ein falscher Zug meinerseits, könnte seinen Tod bedeuten. Ich musste meinen Bruder von ihm überzeugen. Als König der Lykae, war mein Bruder alles entscheidend. Wenn Logan meinen Gefährten akzeptieren würde, hätte der Rest gar keine andere Wahl. Aber bevor ich das tun würde, musste ich ihn erst selbst Kennenlernen. Selbst wenn sich mein ganzes Sein nach meinem Gefährten sehnte, so hatte ich immer noch genügend Verstand um zu wissen, dass ich ihn kennenlernen sollte, bevor ich eine Drama in den Gang setzten würde. Und das würde es definitiv werden. Er war ein Vampyr und ich eine Lykae. Das Drama war uns vorher bestimmt.
Ich konnte nicht schlafen. Viel zu aufgeregt war mein ganzes Wesen. Nachdem wir im Hotel angekommen waren hatten wir zu Abend gegessen. Ich hatte meinen Koffer ausgepackt. Danach war ich duschen gegangen. Müde lehnte ich meinen Kopf gegen das kühle Glas. Nur zu gern hätte ich jetzt geschlafen, einfach damit die Zeit schneller verging. Aber viel lieber hätte ich diesem furchtbaren Drängen in mir nach gegeben, wäre durch die Stadt geirrt um meinen Gefährten zu finden und ihn für mich zu beanspruchen. Ich stieß mich von dem Glas ab und ging ein paar Schritte über den weichen Teppich aus Schafwolle. Ich mochte das Gefühl an meiner nackten Fußsohle. Kurz vor Ende des Teppichs drehte ich mich wieder um und lief auf die Glasscheibe zu. Dunkel zeichnete sich mein Spiegelbild im Hintergrund der Stadt ab. Die wüsten roten Locken, die ich von meinem Vater, einem wahren Iren, geerbt hatte, gingen mir bis zum Po und hatten das zu große schwarze Shirt durchnässt. Dadurch klebte es halb an meiner Haut und zeichnete meine ehr mageren Kurven vorteilhaft nach. Abschätzig betrachtete ich mich. Ob ich meinem Gefährten gefiel? Ich hatte mir schon lange keine Gedanken mehr um mein Aussehen gemacht. Ich zog zwar nicht wahllos irgendwelche Sachen an, aber so wirklich angeschaut hatte ich mich nicht. Aber ein Blick zeigte mir, dass sich nicht viel verändert hatte. Meine Figur war immer noch sportlich. Ich war immer noch zu groß, da ich fast einen Meter neunzig maß überragte ich die meisten Männer. Ich mochte es nicht, denn wie wahrscheinlich ein Großteil der Frauen, fand ich Männer, die größer oder zumindest gleichgroß wie ich waren, attraktiver. Das schränkte die Möglichkeiten in meinem Fall ganz schön ein. Mein Bauch war flach, Po und Busen immerhin vorhanden, auch wenn es mehr sein könnten. Vorsichtig fuhr ich über meine Hüfte und spürte den Knochen. Ich hatte noch immer eine recht knabenhafte Figur. Zwar entsprach ich in diesem Jahrhundert damit den Schönheitsideal der allgemeinen Bevölkerung, aber nicht meinem eigenen. Ich wäre gern ein wenig kleiner und auch gern kurviger. Ich ging noch ein paar Schritte näher um mein Gesicht zu betrachten. Meine Haut war hell, makellos. Vereinzelte kleine Sommersprossen waren in meinem Gesicht verteilt. Meine Augen hatten einen hellen goldbraunen Ton, die Wimpern und Augenbrauen waren rotbraun. Der Mund war ein wenig zu breit, die Nase gerade und ... gab es Menschen, die ihre eigene Nase mochten? Konnte ich mir nicht vorstellen. Wieder fragte ich mich, auf was für einen Typ Frau der Vampir stand. Er war in diesem Zeitalter geboren, da standen die Chancen gar nicht so schlecht, dass ihn meine ehr kurvenlose Statur nicht stören würde. Vielleicht sogar gefallen konnte.
Ich trank den letzten Schluck meines Rotweinglases und ließ es auf den Couchtisch stehen, dann lief ich in mein Zimmer und ließ mich in das bequeme Bett fallen. Es gab so viele Dinge, die mir Sorgen bereiteten.
Vampire hatten keine Gefährten. Sie hatten lediglich Affären, manchmal auch Zweckgemeinschaften. Diese waren jedoch auch nicht von langer Dauer. War der Vampir überhaupt noch fähig solche Gefühle zu verspüren? Das er mich als seine Gefährtin erkannt hatte, hielt ich für unwahrscheinlich. Selbst die menschlichen Gefährten der Lykae erkannten es meistens nicht, warum sollte es danngerade ein Vampire tun? Könnte das Schicksal so grausam sein, mir meinen Gefährten zu offenbaren, welcher jedoch nie wirklich einer sein könnte, einfach weil er ein Vampir war? Weil er nicht mehr in der Lage zwischen menschliche Beziehungen aufzubauen? Dieser Gedanke schien mich schier zu erdrücken und ich verdrängte ihn schnell. Ich musste ihn unbedingt wieder treffen. Erst wenn sich mein grausamer Verdacht bestätigte, würde ich mir gestatten in Verzweiflung zu verfallen. Aber vielleicht gab es ja auch noch Hoffnung. Vor nicht allzu langer Zeit war das Gerücht aufgetaucht, dass es zwei Vampire gab die einander geheiratet hatten, weil sie Gefährten seien. Doch wir Lykae hielten es nur für ein Gerücht, ein Ammenmärchen. Jetzt wollte ich an dieses Märchen glauben.

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#Denkt ihr, ihre Ängste sind gerechtfertigt?

#Was sollte sie als nächstes machen?

Wildes Blut [02]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt