Kapitel 11

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"Ach, war das gestern Abend so romantisch! Marcel und du, ihr passt wirklich perfekt zueinander!
Als ich euch gesehen habe, wie ihr euch vor der Tür geküsst habt, da bin ich schon etwas neidisch geworden, aber ich gönne es dir wirklich! Seit ihr jetzt fest zusammen?"
So eine euphorische Begrüßung  gleich nach dem Aufstehen ist definitiv nichts für mich! Zumal die Nacht eh schon nur so kurz war.
"Warum war mir klar, dass du so lange wach bleiben würdest, bis ich nach Hause komme, Tantchen?"
Statt einer Antwort ernte ich nur ein breites Grinsen von ihr.
Würde mich nicht wundern, wenn sie auch sofort bei  Lou angerufen hat!
"Ich muss mich jetzt für die Arbeit fertig machen. Bis heute Nachmittag, Tantchen."

Ich habe mir seit dem Kuss gestern über ziemlich viel Gedanken gemacht. Wie ich mich ihm gegenüber jetzt am besten verhalte?
Wie es mit uns weitergeht?
Gibt es überhaupt ein wir?
Aber jetzt, wo ich vor der Firma stehe, kommt mir eine noch viel wichtigere Frage in den Sinn, auf die ich ebenso wenig eine Antwort habe, wie auf die anderen.
Wie verhalte ich mich am Besten, damit keiner meiner Kollegen Verdacht schöpft?
Plötzlich bin ich ganz nervös und würde am liebsten wieder nach Hause fahren.
Aber das kann ich nicht machen! Das wäre Marcel gegenüber unfair. Oder?
Egal. Ich gehe jetzt da rein, verhalte mich wie immer und mache meine Arbeit ganz normal wie immer.
Das kann doch nicht so schwer sein!

Kaum habe ich das Gebäude betreten, glaube ich, paranoid zu werden.
Es kommt mir vor, als würde jeder einzelne mich anstarren oder mit anderen über mich reden.
Jetzt reiß dich zusammen! Das ist Quatsch! Keiner von denen weiß etwas darüber! Sie reden nicht über dich und starren dich auch nicht an!

Ich straffe meine Schultern und versuche so normal wie möglich an ihnen vorbei zu gehen.
Wie jeden Morgen begrüße ich jeden dem ich begegne und fahre dann mit dem Fahrstuhl in meine Abteilung.
Bis hierhin schon mal geschafft!
Zum Glück sehe ich gleich Lou, nachdem sich die Türen des Fahrstuhls geöffnet haben.
Ich gehe sofort in ihre Richtung und so fällt es mir viel leichter alle anderen etwas auszublenden.
"Morgen Lou. Alles gut oder hab ich was verpasst?"
Ich bin es gar nicht gewohnt, erst so spät auf der Arbeit zu erscheinen. Obwohl ich trotzdem früher da bin, als Marcel vorgeschlagen hat.
"Morgen Sunshine! Damit eins klar ist! In der Mittagspause erzählst du mir alles! Schon schlimm genug, dass ich es von Merry erfahren muss, statt von dir. Aber ansonsten ist alles gut. Marcel ist bei einem Außentermin und kommt erst nach Mittag wieder. Ich soll dir ausrichten, dass deine Arbeit auf deinem Tisch liegt. Ich muss jetzt aber dringend in die Druckerei. Wir sehen uns später!"

An meinen Schreibtisch angekommen, mache ich mich gleich an die Arbeit.
Vielleicht kann ich mich ja so ein bisschen ablenken, damit ich nicht ständig an diesen fantastischen Kuss denken muss...

"Ich kann es immer noch nicht fassen! Ich meine, mir war zwar schon klar, dass da zwischen euch mal was laufen wird, aber jetzt.. Krass, Pen! Du bist noch nicht lange hier und schon angelst du dir den Chef!"
Glück für Lou, dass ich weiß wie sie es meint, sonst könnte man das ganz schnell auch falsch verstehen.
"Das war ehrlich nicht meine Absicht! Ich wollte eigentlich einfach nur eine Ausbildung machen, aber so war das sicher nicht geplant! Und jetzt Ruhe, muss ja nicht jeder mitbekommen!"
Nach der Pause, in der Lou mich ausschließlich über Marcel ausgequetscht hat, sind wir nun wieder im Verlag. Ich bin froh, dass sie gleich wieder an die Arbeit muss!
Schon schlimm genug, dass ich mich überhaupt nicht auf meine Arbeit konzentrieren kann und stattdessen ununterbrochen an Marcel denken muss.
Ich sitze nun schon seit heute morgen am gleichen Manuskript und kann mich einfach nicht darauf konzentrieren.
Frustriert knalle ich es auf den Schreibtisch und raufe mir wortwörtlich die Haare.
Und genau in dem Moment geht natürlich die Tür auf und Marcel kommt herein.
Es scheint, als würde er nach etwas suchen, was er dann auch findet: mich.
Wir schauen uns einfach nur an. Den Blick fest auf die Augen des anderen gerichtet ohne uns auch nur einen Millimeter zu bewegen.
Mir schießen tausend Dinge durch den Kopf und ich werde nervös, zittrig und auch meine Atmung wird augenblicklich schneller.
Ich weiß gar nicht, wie ich reagieren soll.
Marcel kommt jetzt langsam auf mich zu, lässt mich aber nicht aus den Augen. Kurz vor meinen Schreibtisch bleibt er stehen und scheint auch nicht genau zu wissen, was er tun soll.
Vielleicht bereut er es ja und sucht jetzt nach den richtigen Worten um es mir schonend beizubringen. Oh Gott Bitte nicht!
"Hey." bricht er nun das unangenehme Schweigen.
"Hey." erwidere ich mit zittriger Stimme.
Was besseres fällt mir leider nicht ein..
"Können wir kurz reden? Wie ich sehe, hast du gerade eine Blockade was die Arbeit angeht?"
"Worüber möchtest du denn reden?"
Okay, das war eine bescheuerte Frage!
Marcel setzt sich mir gegenüber und beäugt mich einen Moment still.
"Ich möchte bitte eine ehrliche Antwort auf die Frage, die ich dir gleich stellen werde, in Ordnung?"
Durch meine ansteigende Nervosität ist es nicht möglich, jetzt etwas zu sagen, deshalb nicke ich nur.
"Gut."
Bevor er weiter spricht, atmet er erstmal durch, als hätte er Angst vor meiner Antwort.
"Bereust du, was gestern Abend passiert ist?"
Ich kann ihm deutlich ansehen, dass er wirklich Angst vor meiner Antwort zu haben scheint.
Aber die Frage ist jetzt, ehrliche Antwort geben oder nicht?
Da ich es auf meinem Stuhl nicht länger aushalte, stehe ich auf und gehe zum Fenster herüber.
Nun schweige ich einen Augenblick lang.
"Hör zu Marcel. Als ich dich hier das erste Mal gesehen habe, war ich sofort hin und weg von dir. Du hast mich sofort in deinen Bann gezogen, auch wenn ich das niemals zugegeben hätte. Dann hat Lou mir erzählt, dass du verlobt bist, doch als ich euch zum ersten Mal zusammen gesehen habe, war mir sofort klar, dass du nicht glücklich mit ihr bist.
Um ehrlich zu sein, war das auch ein Grund mit dafür, dass ich dir geraten habe, dich von ihr zu trennen. Und ich denke du hast inzwischen verstanden, dass es ihr nicht um dich, sondern dein Geld und den Verlag ging.
Und trotzdem hast du mich ständig verwirrt. Ich war mir nie sicher, ob du mit mir flirtest oder nicht.
Aber um zu deiner Frage zurück zu kommen.
Nein. Ich bereue es nicht im geringsten! Das im Gegenteil.
Dieser Kuss gestern Abend. Das war das Schönste seit langer Zeit. Seit sehr langer Zeit."
Ob das klug war, ihm hier meine Gefühle offen zu legen, nachdem wir uns nur ein einziges Mal geküsst haben?!
Aber warum sollte ich denn lügen?

Ich habe während meiner Ansprache gar nicht mitbekommen, dass Marcel näher gekommen ist.
Erst, als er mir jetzt eine Hand auf den Rücken legt, erschrecke ich mich, weil ich damit nicht gerechnet habe.
"Danke."
He?
Ich drehe mich zu ihm um und schaue ihn verwirrt an.
Als er das bemerkt, bildet sich ein kaum sichtbares Grinsen auf seinem Gesicht.
"Danke, dass du so ehrlich zu mir warst, auch wenn dir das sichtlich schwer gefallen ist. Sicher möchtest du jetzt auch wissen, wie ich dazu stehe."
Ich schaue ihn erwartungsvoll an und nicke.
"Ja. Vielleicht bringt das ja etwas Licht in meine chaotischen Gedanken."
Wieder dieses Grübchen in seinem Gesicht.
"Weißt du, bei mir sieht das Ganze etwas anders aus."
Bitte nicht! Ich gestehe ihm praktisch meine Gefühle und jetzt will er mich abservieren?! Nicht mit mir! Diese Blamage gebe ich mir ganz sicher nicht!
"Okay, hab's verstanden." sage ich niedergeschlagen und möchte mich von ihm wegdrehen, doch er hält mich davon ab, indem er mir eine Hand an den Arm legt und mich zurück hält.
"Ich glaube nicht. Penelope, du hast mich ab dem ersten Moment in deinen Bann gezogen! Deshalb habe ich auch darauf bestanden, dass du deine Ausbildung hier machst und letztendlich auch den ganzen Tag um mich herum bist, weil dein Schreibtisch in meinem Büro steht.
Ich habe auch des öfteren versucht mit dir zu flirten, um herauszufinden, ob du ebenfalls Interesse an mir hast. Nur leider bist du sehr schwer einzuschätzen, deshalb war ich mir nie wirklich sicher.
Und gestern Abend dachte ich, scheiß drauf, entweder sie erwidert den Kuss oder halt nicht. Und zum Glück hast du ihn erwidert!
Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh und erleichtert ich darüber war!"
Habe ich das gerade geträumt oder hat er das wirklich gerade zu mir gesagt?!
Kann mich mal jemand Kneifen?

"Das.. das heißt...?" Ich bin gar nicht in der Lage, einen Satz heraus zu bekommen.
Nun Lächelt Marcel richtig.
"Ja. Genau das heißt es!"
Und dann liegen seine Lippen auch schon wieder auf meinen.
In diesem Augenblick, fällt mehr Last von meinen Schultern, als ich geahnt habe.
Marcel bereut den Kuss auch nicht!
Er fühlt sich zu mir hingezogen, genau wie ich!

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