10. Kapitel

36.9K 1.4K 27
                                    

Feyas Sicht:
Einen Moment saß ich geschockt da, doch dann brach ich in Gelächter aus. Das konnte doch nicht deren Ernst sein. Dachten sie wirklich ich würde ihnen das abkaufen? „Der war gut!“, keuchte ich immer noch lachend. Doch als ich ihre ernsten Gesichter ohne jegliche Gefühlsregung sah, verstummte mein Lachen. „D-Das war euer Ernst? Das ist... w-wirklich so?“, stotterte ich erstickt und wich unwillkürlich ein Stück zurück. Lilian nickte langsam. In diesem Moment war ich froh, so viel Selbstbeherrschung zu haben, dass ich weder schrie, noch in Ohnmacht fiel. Ich saß einfach nur da und mein Blick huschte leicht verschreckt zwischen den drei Personen vor mir hin und her. „Feya, ist alles in Ordnung?“, fragte Lilian und wollte meinen Arm berühren, doch ich zuckte unwillkürlich zurück. An ihrem Gesichtsausdruck war unverkennbar, dass diese Reaktion sie gekränkt hatte. „Ja. Natürlich ist alles in Ordnung. Mir wurde nur gerade von einer meiner besten Freundinnen erzählt, dass sie ein blutrünstiges Wesen aus Legenden ist. Demnach geht es mir absolut blendend!“, antwortete ich mit leicht zitternder Stimme, doch mit einem bitteren Unterton. „Und damit wären wir auch schon bei den menschlichen Vorstellungen und den Vorurteilen.“, seufzte Lilian resigniert. Ich schaute sie verständnislos an. Dann meldete sich Aiden zu Wort: „Wie stellst du dir einen Werwolf in seiner Wolfsform vor?“ Ich überlegte kurz, dann antwortete ich zögernd: „Als ein riesiges, menschenfressendes Monster. Eigentlich wie eine Art Mutant, mit Fell und langen Fangzähnen, riesigen Pranken.“ „Das grenzt ja schon an eine Beleidigung!“, empörte sich Aiden. Lilian lächelte mild und fragte dann: „Magst du Wölfe? Ganz einfache, normale Wölfe.“ Ich nickte langsam und ein ehrliches, warmes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Dann fuhr sie erklärend fort: „Dann solltest du mit unserem Äußeren kein Problem haben. Wir sehen eigentlich so aus wie normale Wölfe nur halt größer.“ „Wie viel größer?“, hakte ich forschend nach. „Ich müsste dir ungefähr bis zur Schulter gehen. Aiden ist etwa zehn Zentimeter größer als ich und Annie wächst noch. Jetzt müsste sie so ungefähr auf Taillenhöhe sein.“, lieferte Lilian ihre Einschätzung. Ich ließ mir ihre Worte noch einmal durch den Kopf gehen und fragte dann etwas kleinlaut: „Darf ich dich sehen? In deiner Wolfsgestalt, meine ich.“ Ihre Augen leuchteten als sie strahlend nickte. Dann packte sie mein Handgelenk und zog mich mit nach draußen. Vor der Tür ließ sie mich los und lief noch ein paar Schritte weiter, während ich stehen blieb. Ich beobachtete sie genauestens und plötzlich ertönte ein lautes Knacken. Geschockt starrte ich zu meiner Freundin, deren Knochen einer nach dem anderen brachen. Und plötzlich stand ein wunderschöner schokoladenbrauner, riesiger Wolf vor mir. Sie ging langsam auf mich zu. Der andere Wolf, der gerade zwischen den Bäumen hervortrat, schien dies jedoch misszuverstehen.

Evans Sicht:
Entspannt lief ich, nachdem ich die komplette Grenze abgecheckt hatte, zurück nach Hause. Ich freute mich bereits darauf Feya wiederzusehen. Doch als ich zwischen den letzten Bäumen hervor auf die Lichtung trat, bot sich mir ein erschreckender Anblick. Lilian ging in ihrer Wolfsgestalt langsam auf Feya zu. Was hatte sie vor? Ohne weiter nachzudenken stürmte ich los. Ich musste meine Feya beschützen. Nur noch wenige Schritte trennten den Wolf von ihrer zerbrechlichen Gestalt. Ich musste schneller sein! In Gedanken spornte ich meinen Körper zu Höchstleistungen an. Etwa noch zwei Meter von Feya entfernt sprang ich ab und landete knurrend vor ihr. Schützend stellte ich mich vor sie und legte gegenüber meiner Schwester die Ohren an. Meine Zähne waren gefletscht und ich knurrte ununterbrochen. Sofort wich Lilian zurück und kauerte sich auf den Boden. Noch ein letztes Mal knurrte ich sie an, dann entspannte ich mich und drehte mich ein wenig zu Feya. Diese sah mich total verängstigt an. Mein Blick schweifte zu Aiden und Annie, du sich vor Lachen kaum noch halten konnten. Warum lachten sie? Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Ich fuhr herum und sah Lilian, die ebenfalls leicht schmunzelte. „Komm mal mit, du großer, böser Wolf.“, meinte sie nur. Vollkommen verwirrt folgte ich ihr langsam. Auch wenn ich Feya nur ungern mit diesen Verrückten alleine ließ. „Verwandle dich zurück.“, verlangte Lilian von mir, als wir ein paar Meter weiter weg standen. Ich tat wie mir geheißen und als ich wieder ein Mensch war, veränderte sich Lilians Mimik. Sie wurde beinahe streng. „Was sollte das denn? Seit wann reagierst du so über?“, fragte sie ungehalten. „Du wolltest meine Mate angreifen! Sollte nicht eher ich fragen was du dir dabei gedacht hast?“, erwiderte ich wütend. „Oh mein Gott. Diese ganze Matesache bekommt dir nicht. Sie wollte mich in meiner Wolfsgestalt sehen, nachdem wir ihr unsere wahre Identität offenbart haben. Ich würde ihr niemals was antun!“ Sie hatte ja recht. „Tut mir leid, Lil. Aber Feya ist nun mal das Wichtigste in meinem Leben. Ich musste auf Nummer sicher gehen. Verzeihst du mir?“, bat ich. Sie lachte und erwiderte dann: „Natürlich verzeihe ich dir! Ich finde es ganz ehrlich sogar sehr schön, dass sie dir so wichtig ist. So weiß ich zumindest, dass meine beste Freundin es später gut haben wird. Auch wenn du mein Bruder bist.“ Sie lächelte mich an und umarmte mich dann fest. „So. Jetzt musst du Feya dein Verhalten erklären.“, sagte sie dann und zog mich in ihre Richtung.

Des Rudels Luna Where stories live. Discover now