XXVIII

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Als ich meinen Vater ansah - oder jedenfalls den Mann, den ich für meinen Vater gehalten hatte - konnte ich sehen, dass er nicht wusste, was er mit Sinans Frage anfangen sollte. Er wusste nicht, ob er tatsächlich antworten oder die Worte so stehen lassen sollte. Ich dagegen fragte mich, was genau er meinte. Wieso fragte er so etwas?

,,Sinan. Hör mir zu. Es sind schlimme Dinge passiert und -''

,,Schlimme Dinge? Du willst mir eine Predigt darüber halten, wirklich Vater? Genau jetzt, wenn du hier stehst, im sicheren Thronsaal Macans mit deinen beiden Kindern und deinem Feind, während draußen unschuldige Menschen sterben wegen dir? Für nichts? Ich glaube du solltest einfach gar nichts sagen'', unterbrach Sinan Jarus mitten im Satz. Alles was er sagte hörte sich grausam an, aber er hatte Recht. Während wir hier standen und nicht vorankamen, litten so unheimlich viele.

,,Ich verstehe, dass Krieg etwas unheimliches ist. Ich weiß das. Doch hier geht es nicht darum und das weißt du genau so gut, wie ich, mein Sohn.''

,,Oh bitte, hör auf mit diesem 'mein Sohn'. Diese beiden Worte haben schon lange keine Bedeutung mehr für dich. Und auch für mich sind sie von keinem Wert mehr.'' Er fing an auf Macan und Jarus zu zu gehen. Dieses Mal ließ Lysander ihn vorbei, anscheinend war es ihm nur wichtig mich in Sicherheit zu wissen. Ich drehte mich um, damit ich das weitere Geschehen mitverfolgen konnte.

,,Ich befürchte, dass ich deine Meinung nicht ändern kann. Aber lass mich dir sagen, dass du falsch denkst. Du bedeutest mir mehr, als du dir jemals vorstellen könntest. Wie sollte es anders sein? Du bist immerhin mein Sohn. Du bist mein Fleisch und Blut'', entgegnete Jarus mit einem Gesicht, das mir verdammt traurig erschien. Er trauerte. Um den Sohn, der zu ihm zurückgekehrt war und den er dennoch schon vor langer Zeit für immer verloren hatte.

,,Können wir das jetzt endlich überspringen? Danke. Kommen wir zu dir Macan.'' Er drehte sich zu Letzterem und sah ihn mit einem nahezu teuflischen Grinsen an.

,,Ich biete es dir noch ein Mal an: Letzte Worte?''

,,Wovon sprichst du?!'' Ich musste zugeben, dass das, was er sagte, mich mehr und mehr nervös machte. Ich wusste, worauf er anspielte. Aber er würde das doch niemals wirklich durchziehen. Das musste irgendeine Metapher sein, eine Anspielung, irgendwas, aber nicht das, was alle Anwesenden hier dachten.

,,Ich spreche davon, dass du hier nicht lebend rauskommst, Macan. Und ich gebe dir die unverdiente Chance dich glorreich zu verabschieden. Also beeil dich lieber.''

Ich konnte sehen, wie Jarus die Stirn runzelte und verwirrt auf seinen Sohn starrte. Er war nur einige Schritte von ihm entfernt und schien die Situation genau so wenig zu verstehen, wie ich.

,,Lass ihn in Ruhe!'', schrie ich in Sorge um Macan. Denn langsam wurde ich panisch. Irgendetwas stimmte da nicht.

,,Schwesterchen, bleib ruhig. Er ist sowieso nicht dein richtiger Vater'', sagte Sinan ohne sich umzudrehen, mit gelangweiltem Unterton.

,,Ich schwöre, wenn du ihm auch nur ein Haar krümmst -''

Er drehte sich ziehend langsam zu mir um und hatte ein Schmunzeln auf den Lippen, das nichts gutes bedeuten konnte.

,,Ich lege es darauf an.'' Und bevor Macan-  der offensichtlich keine Schwäche zeigen wollte und deswegen an Platz und Stelle geblieben war- oder jemand anderes etwas entgegnen konnte, war das kleine Messer bereits geworfen und steckte tief in Macans Herz.

,,NEIN!'', schrie ich und hörte mich selbst nicht. Denn als ich den Mann, der mir so viel Liebe geschenkt hatte, auf die Knie sinken sah, erlebte ich ein Déjà-vu. Er sah aus, wie Johnathan in seinen letzten Sekunden.

,,Vater! Nein! Bitte nicht!'', ich versuchte mich von Lysander loszulösen, doch dieser hielt mich mit eisernem Griff fest und davon ab zu Macan zu gelangen.

Wie hatte er das nur so schnell gemacht? Wie konnte er innerhalb einer Sekunde das Messer hervorholen, es werfen und mit einer solchen Präzision treffen!? Wie?!

,,Was hast du getan?!'', ich schrie so sehr, dass meine Stimme nur kratzig hervorkam.

,,Ich habe das getan, worauf ich die letzten 18 Jahre hingearbeitet habe, Zarida. Du kannst mich hassen, doch etwas ändern wird es nicht.'' Und genau das waren seine letzten Worte an mich, bevor seine Augen sich weiteten und auch er zu Boden sank. In seinem Rücken ein Messer.

,,Oh mein Gott'', entwich es mir, während meine Hände sich über meinen Mund legten. Ich war überfordert. Überfordert mit dem Tod Johns, mit dem Tod meines Vaters, mit dem Tod meines Bruders, der meinen Vater tötete und überfordert mit meinem biologischen Erzeuger der emotionslos vor der Leiche seines Sohnes, für die er verantwortlich war, stand und nichts sagte.

,,Dieser Krieg muss beendet werden. Sofort'', hörte ich Jarus noch sagen, bevor alles schwarz wurde.

Und das Schwarze war um einiges friedlicher und schöner, als die Realität. 

ZaridaWhere stories live. Discover now