XXIII

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Dieses Gefühl der Vorfreude war einfach nicht in Worte zu fassen. Als endlich das Königshaus Rukalis' in Sicht kam, konnte Jarus es einfach nicht glauben. Er würde jeden Moment dem Mann gegenüber stehen, den er mehr verabscheute, als sich selbst. Denn ja - das tat er: Er hasste sich in einer gewissen Art und Weise selbst. Denn nur Macan konnte nicht Schuld daran gewesen sein, dass Jarus seine Frau und auch sein Kind verloren hatte. Vielleicht hatte Kiros' König zu wenig Aufmerksamkeit an Klea gerichtet. Vielleicht hätte er mehr für sie da sein sollen. Er konnte zwar an keine einzige Situation denken, in der er die Frau seiner Träume auch nur für eine Sekunde aufgeschoben hatte, doch wer wusste es schon so genau? Möglicherweise hatte er einen Moment, der alles geändert hatte, übersehen.

Seine Hände hatten die Zügel fest umschlossen, während sein Atem einen angenehmen Rhythmus annahm. Es war nicht so, dass Jarus aufgeregt war, Angst hatte oder bereits jetzt schon Reue für seine baldige Tat verspürte. Nein, er war absolut ruhig.

,,König! Reiten Sie beruhigt voran, wir passen auf, dass sie sicher ankommen'', hörte er von einem seiner Männer. Als er den Kopf drehte, erkannte er, dass es Korion war. Mit Stolz auf die Loyalität seiner Untergebenen, nickte Jarus und richtete seinen Blick wieder nach vorne. Er war bereits ein ganzes Stück näher an sein Ziel gekommen. In weniger als einer Minute würde er dort ankommen. Doch bevor er sich weiter auf sein eigentliches Vorhaben konzentrieren konnte, entgingen Kiros' König die vielen Leichen, die sein Pferd umreiten musste, natürlich nicht. Das Blut schien den kompletten Boden zu bedecken. Sofort erschien ein Runzeln auf Jarus' Stirn. Das hatte er nicht gewollt, nicht im geringsten. Doch er hatte es gewusst. Er hatte von Anfang an gewusst, dass dieser Krieg unschön werden würde. Vor allem, da Rukalis sich in Sicherheit gewogen hatte und absolut unvorbereitet war. Es war unfair. Und eigentlich war das nicht Jarus' Art einen Kampf zu gewinnen. Doch dieses Mal hatte er keine Wahl gehabt, es hatte keinen anderen Ausweg gegeben. Denn ein Scheitern stand nicht zur Option.

,,Viel Glück!'', riss ihn Korions Stimme erneut aus seinen Gedanken. Zuerst verstand der König nicht ganz, was sein Untergebener meinte, doch als er das Tor des Königshauses und somit seinen Eingang zu seinem Ziel sah, wusste er es. Er war da.

Und jetzt - gab es kein Zurück mehr.

***

Das Hämmern meines Herzens schien einfach nicht aufhören zu wollen. Es klopfte und klopfte und ließ mir das Blut in den Ohren dröhnen. Gott, am liebsten hätte ich in diesem Moment einfach die Augen geschlossen, mich von jemandem zwicken lassen und wäre aufgewacht nach einem verdammt schlechten Traum. Denn dieser Traum beinhaltete Schreie, Hilferufe, Blut, den Geruch von Angst und den Tod. Ich wusste noch nicht einmal, was davon ich am schlimmsten fand. Ob es die leidenden Gesichter der Menschen waren, die vor ihren sterbenden Kindern knieten oder die Leichenberge, die anfingen sich immer mehr zu türmen. 

,,Ich glaub das einfach nicht'', entwich es mir, woraufhin ich spürte, wie sich Lysander vor mir versteifte. Er hatte seitdem wir auf den Pfeil getroffen waren und entschieden zum Königshaus zu reiten kein Wort mehr gesprochen. Ich fragte mich, was er wohl dachte, was wohl in seinem Kopf vorging. Wir waren nicht mehr weit entfernt, denn langsam kam mir die Umgebung bekannt vor, auch wenn es nicht gerade einfach war etwas wieder zu erkennen, wenn um einen herum plötzlich ein riesiges Schlachtfeld eröffnet wurde.

Gleich nachdem Lysander seine sehr richtige Vermutung über den Anfang eines Krieges geäußert hatte, musste ich noch nicht einmal darüber nachdenken: Ich wollte sofort zu meinem Vater. Und zu John. In diesem Moment fiel es mir kein bisschen schwer es zu zugeben. Ich hatte Angst. Ich hatte Angst anzukommen und etwas vorzufinden, das ich nicht in meinen schlimmsten Träumen vorfinden wollen würde. Ich würde mir die Schuld geben. Auch wenn ich noch nicht einmal wusste, was der Grund für diesen idiotischen, sadistischen Krieg - wie es auch jeder andere war - war, so verspürte ich dennoch ein schlechtes Gewissen. Nur konnte ich dieses noch nicht wirklich zuordnen. Ich konnte nicht sagen, warum ich dieses blöde Gefühl hatte, dass das alles hier in irgendeiner Verbindung zu mir stand.

,,Prinzessin!'' Mein Kopf schnellte nach rechts, doch ich sah niemanden, der mir bekannt war.

,,Prinzessin Zarida!'' Dieses Mal sah ich sie. Eine Frau, mittleren Alters, ich hatte sie nie zuvor gesehen. Doch ganz dem Anschein nach beruhte dies nicht auf Gegenseitigkeit. Auf ihren Schrei hin hatten sich die Köpfe zu mir gedreht. Das war nicht gut, doch Gott sei Dank waren wir schnell genug, um nicht in ein noch größeres Problem zu geraten. Doch auch wenn wir nun schon lange an ihr vorbei geritten waren, gingen mir ihre mit Tränen gefüllten Augen einfach nicht aus dem Kopf. Ihre Blick war nahezu flehend gewesen. Sie schien mich zu bitten das alles zu beenden. Nur ich konnte es nicht. Ich wollte, aber ich wusste nicht wie.

,,Wir sind gleich da'', hörte ich Lysander vor mir mit lauter Stimme sagen, sodass ich ihn auch trotz dem unheimlichen Lärm um uns herum hören konnte. Er schien beherrscht zu sein. Unwillkürlich fragte ich mich, ob dieses Ereignis nicht das erste in dieser Form für ihn war. Hatte er vielleicht schon schlimmeres gesehen und konnte deswegen so gesammelt damit umgehen? Und gleichzeitig war ich mir nicht so sicher, dass ich es tatsächlich wissen wollte. 

Für eine kurze Zeit entschied ich mich die Augen zu schließen, bevor ich mich in dieses große Chaos stürzen würde. Und in diesem Moment lief mein komplettes Leben vor mir ab. Meine Kindheit, meine Ausbildung zu einer guten Thronfolgerin, mein Vater, John. 

Johnathan.

Ich wusste nicht, ob es an der Angst lag ihn zu verlieren oder ihn bereits verloren zu haben, doch es tat mir in diesem Zeitpunkt so unheimlich leid ihn von mir weggestoßen zu haben. Gott, ich hätte einen anderen Weg finden müssen. Doch ich wusste auch, dass es eigentlich gar keinen anderen Weg gegeben hat. 

Und auch heute würde es keinen anderen Weg geben.

Mit diesem letzten Gedanken öffnete ich meine Augen und sah meinem nahenden Schicksal entgegen. 

ZaridaWhere stories live. Discover now