XXV

8K 654 103
                                    

Es ist ein komisches Gefühl, wenn die Zeit für einen Moment anhält. Es ist als ob du nicht mehr zu atmen brauchst, als würdest du all deine Sorgen für diesen einen Moment vergessen. Es ist, als würdest langsam, angenehm, in ein verdammt tiefes Loch fallen. So fühlte es sich jedenfalls für mich an, als ich nur dran stehen und zu gucken konnte, wie John ziehend langsam auf die Knie fiel, sein Blick immer noch auf mich gerichtet. Doch in seinen Augen lag kein Schmerz, es war auch kein Flehen um Hilfe. Nein, es war Leere - pure Leere. Und diese schien sich in meinem Inneren widerzuspiegeln. Ich verspürte keine Angst, keine Panik und auch kein Leiden.

Erst als ich aus versehen beim vorbeilaufen von Lysander angerempelt wurde, erwachte ich aus meiner Starre. Letzterer hatte sich bereits zu John gekniet und hielt ihn fest. Ich schüttelte kurz meinen Kopf, um wieder eine gewisse Klarheit zu schaffen und rannte zu den beiden.

,,John!'', schrie ich und kniete mich auf die andere Seite von ihm. Lysander war mir gegenüber, seine Stirn war gerunzelt. Ich wusste nicht, in was für einem Verhältnis genau die beiden zueinander standen, doch ein gutes sollte es wohl nicht gewesen sein. Trotzdem schien Lysander Mitleid zu empfinden. Vielleicht war es so im Leben. Vielleicht hielten im Tod schließlich und endlich alle zusammen - selbst die ärgsten Feinde.

,,Johnathan!'', versuchte ich es nochmal und sah, wie eine meiner Tränen auf seiner Wange landete. Er starrte mich mit halboffenen Augen an. Doch nicht das war es, was mir am meisten Angst machte. Auch nicht der Pfeil in seiner Brust. Es war das Lächeln auf seinen Lippen.

,,Hey, du darfst mir jetzt nicht wegsterben. Das geht nicht. Es gibt noch eine ganze Menge, die wir erledigen müssen. Du kannst jetzt nicht einfach kneifen!'', fuhr ich ihn an. Doch anstatt einer Antwort, wieder nur dieser friedliche Blick. Als würde es ihm gefallen in einem solchen Zustand zu sein.

,,Prinzessin...'', flüsterte er, bevor sich ein Schwall Blut aus seinem Mund ergoss und er anfing zu husten.

,,Du brauchst nichts sagen, John...'' Er musste auch so leiden.

,,Du schuldest mir noch was, weißt du noch?'', hörte ich seine leise Stimme. Man merkte, dass es ihm immer schwerer fiel die Worte auszusprechen, die ihm auf der Zunge lagen.

,,Natürlich weiß ich das noch. Du hast mich vor einem Haufen Ärger mit meinem Vater bewahrt'', entgegnete ich und nickte. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie er damals vor mir gestanden war und mit dem spitzbübischsten Grinsen der Welt sagte: ,,Zarida, du denkst doch nicht ernsthaft, ich hätte dich nicht erkannt. Meine Liebe, ich würde dich unter tausenden blind herauspicken können.''

,,Gut, denn ich habe endlich etwas, was ich will.'' Ich strengte mich an den Fluss an Tränen zurückzuhalten, um mich auf seinen letzten Wunsch konzentrieren zu können, doch leider war das schwerer, als man meinte. Trotzdem nickte ich eifrig und wartete auf seine Worte.

,,Werde glücklich, Zarida.'' Meine Hand hatte sich über meinen Mund gelegt, um das laute Schluchzen, das unaufhaltbar schien, etwas abzudämpfen. Ich weinte. Ich weinte, wie ich es wahrscheinlich noch nie in meinem Leben getan hatte. Ich war noch nicht einmal in der Lage etwas zu entgegnen. Erst als er seinen Blick auf Lysander richtete, schaffte ich es mich für einige Sekunden zusammen zu reißen, um Johns letzten Worten lauschen zu können.

,,Pass auf sie auf. Sie ist das beste, was dir passieren konnte.''

,,Nein, John! John!'', schrie ich und versuchte tatsächlich etwas aufzuhalten, was nicht aufzuhalten war. Denn der Tod nahm sich, was er wollte. Ganz egal, wie sehr man flehte.

Bei seinem letzten Atemzug waren seine Augen auf mich gerichtet, das Lächeln nicht von seinen Lippen weichend.

Er war tot.

Johnathan war tot.

***

Es war gut, dass Jarus sich schließlich doch noch dazu entschieden hatte zwei seiner Männer mit ins Königshaus zu nehmen. Er wusste, dass nicht allzu viele Wachen bei Macan sein würden. Die meisten würden kämpfen. Das war nun mal nötig, wenn ein Reich nicht vorbereitet war für einen solchen Angriff. Doch bei den wenigen Männern, die doch noch Wache standen, brauchte er seine Kraft, wie auch seine wertvolle Zeit nicht zu verschwenden. Das erledigten seine Untergebenen für ihn.

,,Gehen Sie rein, König. Wir werden aufpassen, dass Sie ungestört bleiben. Sollte etwas unvorhersehbares eintreten, rufen Sie uns'', meinte einer der beiden zu Jarus, woraufhin Letzterer anerkennend nickte. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass man sich auf seine Leute verlassen konnte.

Seine Hände drückten ohne weiter zu zögern die Tür zum Thronsaal ein. Es war ein großer Vorteil, dass Jarus bei früheren Verhandlungen vor einigen Jahren bereits mal hier gewesen war.

Als die große Tür, die fast einem Tor glich, sich langsam öffnete, richtete Jarus seinen Blick nach oben, um Macans Gesichtsausdruck nicht zu verpassen. Und tatsächlich: Die geweiteten Augen waren an Ort und Stelle, wie es sich Kiros' König schon lange vorgestellt hatte.

Er machte einige Schritte nach vorne, bevor die beiden Flügel der Türe sich hinter ihm mit einem dumpfen Knall schlossen. Eine lange Zeit herrschte nervenaufreibende Stille.

,,Macan'', fing Jarus schließlich an.

,,Jarus'', entgegnete sein Gegenüber und erhob sich aus seinem Thron. Die Schritte, die er die lange Treppe nach unten machte, hallten im riesigen Saal. Als Macan unten angekommen war und ihn keine fünfzehn Meter mehr von Jarus trennten, blieb er stehen.

,,So sieht man sich wieder'', meinte Jarus, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und fing an einfach ein wenig hin und her zu laufen. Als wäre dies nichts weiter, als eine normale Unterhaltung zwischen zwei alten Bekannten. 

,,Ja. Leider.''

,,Wo bleibt die Begeisterung, mein Freund?'' Die Ironie in Jarus' Stimme war deutlich zu hören und auch die hochgezogenen Augenbrauen überließen nichts der Vorstellung.

,,Was willst du, Jarus? Wieso greift du mein Reich, meine Leute, an?''

Ein leises, kurzes Lachen verließ Jarus' Mund.

,,Das solltest du doch am besten wissen, Macan. Denn du allein bist der Grund dafür.'' Macan runzelte etwas die Stirn, aber Jarus konnte sehen, dass Rukalis' König langsam verstand, worum es bei der ganzen Sache wirklich ging.

,,Sie hätte das nicht gewollt.'' Jarus blieb ruckartig stehen, als die Worte seine Ohren erreichten.

,,Denkst du, das weiß ich nicht?! Denkst du wirklich, dass ich sie so schlecht kannte?!'', keifte er Macan an. Es machte ihn wahnsinnig solche Dinge aus Macans Mund zu hören. Denn es hörte sich an, als hätte Macan sie gekannt, als hätte er Klea wahrhaftig kennengelernt. Doch das stimmte nicht. Er hatte keine Ahnung.

 ,,Ich denke überhaupt nichts, Jarus. Ich weiß es.''

,,Du weißt rein gar nichts. Das einzige, was du hier weißt, ist, wie man fremde Frauen an sich bindet.''

Macan biss die Zähne zusammen und spannte seinen Kiefer an. Es kostete auch Rukalis' Herrscher eine große Menge an Selbstbeherrschung, um nicht auf Jarus los zu gehen.

,,Es war ihre Entscheidung.''

,,Zu so etwas gehören immer zwei, Macan. Also spiel hier bloß nicht den Unschuldigen.'' 

,,Der einzige Schuldige hier bist du, Jarus. Ich fasse es nicht, dass du es wagst ihren Namen so durch den Dreck zu ziehen und wegen ihr einen Krieg anzufangen. So vielen Menschen, darunter Frauen, ganz zu schweigen von all den Kindern, das Leben zu nehmen. Was ist nur in dich gefahren?!'' Jarus machte nun einige Schritte auf Macan zu, doch behielt trotzdem eine sichere Distanz bei.

,,Du hast mir etwas genommen, das mir mehr als mein eigenes Leben bedeutet hat. Und ich spreche nicht nur von Klea.''

Man konnte wortwörtlich beobachten, wie sich Macans Gesichtszüge verzogen, bis schließlich ein verwirrter Ausdruck seinen Blick zierte. Er wusste es nicht. Er hatte sein Leben lang mit dieser Lüge gelebt.

,,Wovon sprichst du?'' Stille.

,,Sie ist meine Tochter.'' 

ZaridaWhere stories live. Discover now