VIII

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,,Du musst verschwinden'', flüsterte ich, während ich nur starr dran stehen und beobachten konnte, wie die drei Männer näher kamen. Ich spürte, wie eine Panik, die ich nur schwer unterdrücken konnte mein Inneres ergriff. Aber es war nicht die Angst um mich, die mich schier um den Verstand zu bringen schien. Es war die Angst um den Mann neben mir.

,,Ich werde hier bleiben'', sagte er und schien im Gegensatz zu mir vollkommen ruhig zu sein. Als ich ihm ins Gesicht sah, konnte ich nicht die geringste Emotion erkennen. Sofort fragte ich mich, ob dieser Mann immer so kalt war? Und gleichzeitig erinnerte ich mich an die Wärme, die mich ergriffen hatte bei nur einer einzigen Berührung seinerseits.

,,Ich habe dich gewarnt Verbannter. Und ich bin kein Mann von zweiten Chancen'', ertönte Johnathans laute Stimme, die mit purem Zorn gefüllt zu sein schien. Die drei Reiter waren direkt vor uns stehengeblieben, die Zügel fest in den Händen.

,,Fesselt ihn.'' Diese nächsten, standhaften Worte aus dem Mund des Mannes zu hören, der mir noch vor so kurzer Zeit versucht hatte einzureden, wie sehr er mich mögen würde, war wie ein Dolchstoß mitten ins Herz. Ich wusste nicht, wieso ich mich in diesem Moment so verraten fühlte von ihm. Ich wusste nicht, wieso ich Johnathan die Schuld für alles, was folgen würde gab.

,,Wagt es nicht'', entgegnete ich und sah mit herausforderndem Blick in Johnathans Augen. Er schien nicht nachvollziehen zu können, was ich tat, was ich sagte. Aber das musste er auch nicht. Immerhin verstand ich es doch noch nicht einmal selbst.

Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass die zwei Männer - wahrscheinlich Diener meines Vaters - im Zwiespalt waren. Einerseits standen sie unter Johnathans Befehl, aber andererseits war ich die Prinzessin - die Thronfolgerin. Alle wussten, dass Johnathan einen hohen Rang einnahm und es sich nicht gehörte seine Anweisungen zu missachten. Oft wurde er vom König, meinem Vater, bevorzugt, gelobt, mit den wichtigsten Aufträgen beglückt.

,,Ich sagte: Fesselt ihn'', zischte Johnathan durch zusammengebissene Zähne. Als sich daraufhin die beiden Männer in Bewegung setzten und langsam von ihren Pferden stiegen, gut darauf bedacht ihren Blick nicht von mir zu wenden und nur auf einen Widerspruch meinerseits zu warten, fiel mir etwas entscheidendes auf. Der Verbannte hatte noch kein einziges Wort geäußert. Hatte sich nicht verteidigt. Hatte nicht versucht sich zu retten. Und mit einem Mal kehrte ein Gefühl zurück, welches ich in meinem Leben bis jetzt nur ein Mal verspürt hatte. Am Tag des Prozesses. Am Tag unseres ersten Blickkontaktes. Am Tag seiner Verbannung.

Wieso nur bewegte er sich nicht, wieso nur verschwand er nicht?!

,,Wir bringen ihn in den Kerker. Was mit ihm geschieht, wird der König entscheiden.'' Noch nie in meinem Leben hatte ich einen solchen Hass verspürt. Ich wollte nie einen solchen Hass verspüren, vor allem nicht gegenüber jemandem, den ich so gut kannte, wie Johnathan.

Gerade, als einer der Männer das Seil um die Gelenke des Verbannten festzog, hielt ich es nicht mehr aus und murmelte fast schon verzweifelt vor mich hin:

,,Wieso tust du das?'' Ich spürte, wie mein Atem so flach wurde, dass ich das Gefühl bekam zu ersticken. Er würde in den Kerker gebracht werden. Er würde in die Hölle gebracht werden.

Ich fühlte, wie er mir einen stechenden Blick zuwarf, aber ich schaffte es nicht meine Augen auf ihn zu richten.

,,Führt ihn ab. Ich werde mit der Prinzessin nachkommen.'' Ich wusste, dass es keinen Nutzen hatte jetzt noch etwas zu erwidern, Einspruch zu erheben oder ähnliches. Also verblieb ich still und schloss die Augen, während ich meinen Kopf senkte und die Hände zu Fäusten schloss.

,,Jeder hat seine Prinzipien, Prinzessin.'' Sofort öffneten sich meine Lider und mein Blick schnellte nach oben. Aber bevor ich ihm noch ein einziges Mal ins Gesicht sehen konnte, ritten die beiden Pferde mit scharrenden Hufen davon.

Schon als sie lange nicht mehr zu sehen waren, stand ich immer noch ohne mich auch nur einen Zentimeter bewegt zu haben dran und starrte in die Ferne.

,,Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll. Du willst einfach nicht auf mi-''

,,Was fällt dir ein?! Du weißt nicht, was du mit mir machen sollst? Wie wäre es, wenn du mich dann ein für alle Mal in Frieden lässt und aus meinem Leben verschwindest?!'', schrie ich und konnte es mir nicht nehmen ihn mit einem abfälligen Blick zu mustern.

,,Du verstehst nicht in was für eine Gefahr-''

,,Gefahr? Gefahr?! Sah ich so aus, als wäre ich in Gefahr gewesen?!''

,,Er stand viel zu nah an dir dran.''

,,Schon mal daran gedacht, dass vielleicht ich an ihm dran stand?!''

,,Das kann nicht se-''

,,Weißt du, was das Problem ist, Johnathan? Das Problem ist deine kranke Eifersucht.'' Kaum hatten die Worte meinen Mund verlassen, schlossen sich seine Lippen. Ich konnte sehen, dass ich ihn verletzt hatte, aber so grausam es sich auch anhören mochte - in diesem Moment war es mir mehr als nur egal.

Ich trat nah an ihn heran und sah ihm unnachgiebig in die Augen.

,,Wenn ihm etwas passiert, hast du mich verloren Johnathan. Für immer.'' Ich drehte mich um und lief auf mein Pferd zu, da ich nicht mehr erwartete irgendetwas von ihm zu hören. Entgegen meiner Vermutungen jedoch, hörte ich seine Stimme schneller wieder, als gedacht:

,,Was siehst du nur in ihm?!'' Es war nicht zu überhören, dass er versuchte seinen Zorn im Zaum zu halten. Nur leider schien es ihm nicht wirklich zu gelingen.

,,Vieles, was ich in dir nicht sehe.''

,,Du kennst ihn doch noch nicht einmal!'', rief er mir hinterher, als ich bereits auf dem Rücken meines Hengstes saß und die Zügel in die Hand nahm.

,,Das kann sein. Nur weiß ich auch nicht, ob ich dich überhaupt noch kenne.''

***

Als ich am Königshaus ankam, brachte ich mein Pferd in den Stall und verlor keine Zeit um in den Kerker zu gelangen. Auch wenn ich mich dort durchkämpfen müsste - ich würde es tun. Denn ich hatte noch eine Sache, die ich erledigen musste.

Der Weg war kurz, nur die vielen Treppen, die mich in den düsteren, unangenehmen und alles andere als wohlriechenden Kerker führen wollten, kamen mir ewig vor und ließen mit jedem Schritt mein Herz schneller schlagen.

,,Lasst mich durch'', sagte ich mit der Stimme einer Thronfolgerin. Kaum hatte ich die drei Worte gesprochen, machten mir die zwei Wachen am Eingang den Weg frei ohne zu hinterfragen, was ich dort unten zu suchen hatte.

Ich lief mit schnellen Schritten von einer Zelle zur anderen in dem Versuch nicht auf all die anderen Männer zu achten, die ihr Ende in diesem Loch gefunden hatten. Ich musste nur eine einzige Person finden.

,,Verbannter!'', rief ich aus, als ich den breiten Rücken erkannte, den er mir zugewandt hatte. Er drehte sich um und seine Augen weiteten sich für einen kurzen Moment, aber kaum schien er bemerkt zu haben eine Emotion entwischt gelassen zu haben, wurden seine Gesichtszüge wieder steinhart.

Gerade als ich an seiner Zelle , schwer atmend, angekommen war und etwas sagen wollte, wurde ich unterbrochen.

,,Zarida, leider müssen wir Sie nach oben bringen. Wir haben den Befehl Sie nicht mehr hier rein zu lassen.'' Ich drehte mich um und sah einen Diener auf mich zukommen. Es war keiner der beiden, die mich hier rein gelassen hatten. Das hieß er musste nach mir hergekommen sein.

Ich wusste nicht, was ich sagen, was ich tun sollte, damit sie mich in Ruhe ließen. Damit sie mich nicht mitnahmen und von dem Mann, der durch Gitterstäbe von mir getrennt war, entfernten. Der Diener packte mich sanft an meinem Arm und wollte mich mit sich ziehen. Ich wusste, dass dies meine letzte Chance sein würde, das zu tun, was ich schon so lange tun wollte. Mein Blick glitt auf den Verbannten, der seine Augen die ganze Zeit auf mir gehabt hatte.

,,Wie ist dein Name?'', sagte ich leise, fast schon flüsternd.

Als er nicht sofort antwortete und ich mich bereits ein wenig entfernt hatte, dachte ich, dass ich es wohl nie erfahren würde.

Aber kaum war der Funken Hoffnung in mir erloschen, flammte ein unheimliches Feuer in meinem Inneren auf.

,,Lysander.'' 

ZaridaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt