XXIV

8K 635 111
                                    

,,Kannst du das Königshaus schon sehen?'' fragte ich Lysander und versuchte über seinen Oberkörper hinweg irgendetwas zu erkennen.

,,Ja. Aber es dauert noch eine Weile, bis wir dort sind'', erklärte er. Ich bekam das unschöne Gefühl, dass sich diese 'Weile' wie eine Ewigkeit anfühlen würde. Und auch wenn ich normalerweise ein wirklich geduldiger Mensch war, in diesem Moment kostete es mich einen Haufen an Selbstbeherrschung um nicht vom Pferd zu springen und einfach selbst zu rennen. Denn während ich hier saß, kam ich mir so verdammt nutzlos vor. Ich fühlte mich, als würde ich all die Menschen in Rukalis im Stich lassen. Als würde ich all die Menschen in meinem Reich im Stich lassen. Und vor allem schnürte mir die Angst um meinen Vater und John nahezu den Hals zu. Ich konnte spüren, dass es mir immer schwerer fiel regelmäßig zu atmen. Die Panik in meinem Inneren stieg mit jedem Meter, den wir zurücklegten Stück für Stück an.

,,Zarida'', hörte ich Lysander plötzlich sagen. Doch etwas in seiner Stimme ließ mich einen Moment zögern.

,,Ja?''

,,Da ist er.'' Sofort richtete ich mich auf und versuchte das zu sehen, was auch er sah. Wen meinte er? Meinen Vater? Kämpfte er etwa? Eigentlich müsste er im Falle eines Krieges im Königshaus bleiben.

,,Dort drüben'', deutete Lysander mit einer Kopfbewegung in die Richtung, die er meinte, als er verstand, dass ich ihm nicht folgen konnte.

,,Oh mein Gott'', entwich es mir, als ich ihn sah. ,,Halt an. Halt sofort an!''

Ohne nachzufragen oder mich aufzuhalten brachte Lysander das Pferd zum stehen, sodass ich absteigen und zu John rennen konnte. Kurz bevor ich ankam, hatte er seinen Gegner gerade noch besiegt. Sein Gegenüber lag auf dem Boden, doch er war nicht tot. Ich konnte sehen, wie die Rüstung sich etwas hob, bevor sie sich auch gleich wieder senkte. Noch atmete er.

,,Johnathan!'', schrie ich. Sein Kopf schnellte zu mir rüber und seine Augen weiteten sich. Er schien geschockt zu sein.

,,Was zur Hölle tust du hier?!'', entgegnete er aufgebracht. Mittlerweile stand ich direkt vor ihm, doch anstatt mit solchen Worten hatte ich eher mit einer Umarmung gerechnet. Vielleicht hatte ich es mir aber auch nur in meiner Angst um ihn ausgemalt und es mir gewünscht ihn noch ein letztes Mal in den Armen halten zu können.

,,Was meinst du? Ich bin die Prinzessin, ich muss hier sein'', erklärte ich ihm das Offensichtliche. Doch sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht im geringsten. 

,,Nein, du solltest nicht hier sein! Du musst sofort in Sicherheit gebracht werden!'' Seine Hände schlossen sich um meine Oberarme, während sein Blick eindringlich auf mich gerichtet war. Er machte sich Sorgen um mich. Und auch wenn es vielleicht ein verdammt unpassender Moment dafür war, so erfüllte diese Tatsache mich mit einer gewissen Wärme. Es war schön ihn endlich wieder zu sehen. 

,,Und was ist mit dir?!''

,,Ich werde kämpfen! Das ist meine Pflicht. Aber nicht deine.''

,,Komm mit mir. Wir werden einen anderen Weg finden diesen Krieg zu stoppen!'', versuchte ich ihn zu überreden. Doch als ich ihm in die Augen sah, wusste ich, dass egal was ich sagte, es nichts ändern würde. Er hatte sich entschieden und er würde dabei bleiben.

,,Zarida. Hör mir jetzt genau zu.'' Ich schluckte einen weiteren Überredungsversuch herunter und sah ihn erwartungsvoll an.

,,Ich würde es mir nie im Leben verzeihen, wenn dir etwas passieren würde. Ich müsste mit dieser Schuld leben und verzeih: Es reicht mir, damit leben zu müssen, dass du ihn mehr liebst als mich.'' Er machte eine kurze Pause und sein Blick schweifte auf etwas hinter mir. Lysander.

,,Also tu mir bitte einen einzigen Gefallen. Es kann meinetwegen der letzte sein, den du mir in diesem Leben tust. Aber bitte: Geh zum Königshaus und weiche deinem Vater und...ihm...nicht von der Seite, bis das alles hier vorbei ist. Hast du mich verstanden?''

Ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Ich wollte ihn hier nicht alleine lassen. Und meine folgenden Worte wollte ich mir auch nicht für später aufheben:

,,Du bist ein riesen Idiot, John. Ich liebe dich. Ich liebe dich wie einen Bruder, den ich nie hatte. Und niemand könnte dich in meinem Leben ersetzen. Und es tut mir so verdammt leid, dir so sehr weh getan zu haben. Könnte ich das alles wiederholen, ich würde anders handeln in Bezug auf dich. Wirklich. Also bitte. Bitte, verzeih mir John.'' Als ich am letzten Wort angekommen war, konnte ich ein leises Schluchzen nicht mehr zurückhalten.

Eine Zeit lang sagte er nichts. Erst als er mich schließlich und endlich in seine Arme schloss, wusste ich, dass er keine Wut gegen mich hegte. Das hatte er noch nie.

Wenn ich es mir recht überlegte, hatte er mir wirklich noch nie etwas übel genommen. Nicht, als ich ihm noch im Kindesalter einen riesigen Käfer ins Bett setzte, nicht, als ich ihm beim Versteckspielen einfach hinter einem Busch Stunden lang warten lassen habe und auch nicht, als ich ihm sein Herz raus riss und ihm in die Augen sah, während Worte, die ich nun bereute, meinen Mund verließen. Und er war trotzdem da und wollte nur das beste für mich. Vielleicht hatte er damals wirklich recht gehabt. Vielleicht war er tatsächlich die beste Wahl gewesen. Nur mein Herz hatte seine ganz persönliche beste Wahl schon lange getroffen.

,,Es tut verdammt gut, dich wieder in den Armen halten zu können, Prinzessin'', flüsterte er mir zu und zauberte mir damit ein Lächeln ins Gesicht. Gott, ich hatte ihn vermisst. Mehr, als ich es je zugegeben hätte.

,,Bevor ich gehe - was passiert hier gerade?'', fragte ich noch, nachdem wir uns wieder von einander gelöst hatten.

,,Wir wissen es nicht, um ehrlich zu sein. Der Angriff kam ziemlich unerwartet. Wieso Kiros angreift, können wir uns leider selber nicht beantworten. Vielleicht weiß es dein Vater, aber ich hatte noch keine Gelegenheit ihn danach zu fragen'', erklärte John mir. Bevor ich jedoch etwas entgegnen konnte, runzelte er mit einem Mal die Stirn.

,,Was ist los?'', fragte ich besorgt.

,,Nichts...nur, seit du hier bist, hat mich keiner mehr angegriffen.'' Er sah sich um, doch tatsächlich: Jeder gegnerische Kämpfer hielt sich in einem bestimmten Abstand zu uns beiden auf.

,,Das liegt an dir'', stellte Johnathan fest. ,,Sie haben den Befehl dich nicht zu verletzen. Siehst du, wie sie sich jemand anderen suchen, gleich sobald sie dich sehen?'' Er hatte recht. Niemand kam in unsere Nähe.

,,Wieso?''

,,Ich habe keine Ahnung.'' Für einen kurzen Moment herrschte Stille zwischen uns, bis er leicht den Kopf schüttelte, so, als würde er sich von störenden Gedanken befreien wollen, und sich wieder an mich wandte.

,,Du musst jetzt gehen. Ich werde schon zurecht kommen. Mach dir keine Sorgen.'' Ich sah ihn noch ein letztes Mal intensiv an und versuchte mir jede Kontur seines Gesichtes einzuprägen, bevor ich schließlich langsam einige Schritte nach hinten machte.

,,Bis dann, John.'' Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen. Ein Lächeln, das ich schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr an ihm gesehen hatte. 

,,Wir werden uns wiedersehen, Prinzessin.''

Das waren seine letzten Worte an mich, bevor der Pfeil ihn mitten in die Brust traf. 

ZaridaWhere stories live. Discover now