Manchmal musste man einfach reden

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Ich stand im Innenraum des Café Carusels und telefonierte schon zum dritten Mal seit unserer Rückkehr am Morgen aus Lappland mit Niila. Samu und ich hatten gemeinsam ausgepackt und hatten uns noch für einige Stunden hingelegt, bevor er zu Osmo gefahren war und ich anfing, mich durch Niilas Unterlagen zu graben, die Samu ordentlich in einem Schrank im Studio aufbewahrt hatte. So ordentlich er seine Verträge und andere wichtige Dokumente sortiert und aufgehoben hatte, so chaotisch sah sein Kleiderschrank aus. Ich erinnerte mich gut daran, wie der Schrank im Hyatt Regency ausgesehen hatte, als wir dort gewohnt hatten. Ich konnte damit gut leben und hatte nicht im Traum daran gedacht, irgendwelche Marotten an Samu zu ändern. Gründe hatte ich dafür keine, denn ich hatte ihn so kennen und im Lauf der Zeit auf lieben gelernt.
Der gemeinsame Urlaub, den wir uns gegönnt hatten, war viel zu kurz gewesen. Gut und gerne hätte ich noch weitere zwei oder drei weitere Wochen drangehängt. Die Stimmung zwischen uns war unfassbar gut und ich bekam mit jeder Minute, die wir gemeinsam verbrachten, das Gefühl, endlich angekommen zu sein und einen Platz gefunden zu haben, an dem ich ich selbst sein konnte. Dieses Gefühl hatte ich zuletzt, als Samu und ich 2015 den ersten Versuch gestartet hatten; an dem wir kläglich gescheitert waren. Es schien so, als sei es mir ausschließlich in seiner Nähe möglich, dauerhaft zufrieden und glücklich zu sein. Das war alles andere als schlecht, denn ich war mir dieses Mal zu 101 Prozent sicher, dass er der Typ Mann war, mit dem ich zusammen sein wollte. Ich war glücklich, wenn ich morgens aufstand und wusste, dass ich neben ihm aufgewacht war. Und dieses Gefühl zog sich über den ganzen Tag; bis wir uns am Abend zu Hause tragen, uns auf das riesige Sofa fläzten und redeten, bevor wir gemeinsam ins Bett gingen und ich in seinem Arm einschlief.
„Cold?", ein blonder Kerl, ungefähr 1,85 Meter groß stellte einen heißen Kakao vor mir auf den runden Stehtisch.
Ich drehte mich fragend um.
Osmo.
Er war mittlerweile ein guter Freund geworden. Osmo hatte mir zugehört, als es mir vor einigen Monaten nicht gut ging und hatte versucht, mir eine Stütze zu sein, obwohl er das überhaupt nicht sein musste. In Oberhausen war er derjenige gewesen, der ein Treffen mit Samu arrangiert hatte, auch, wenn das Gespräch zwischen Samu und mir in einer Katastrophe geendet war. Auch danach blieben wir in Kontakt und schrieben oft. Als Samu mir das Päckchen geschickt hatte, kreisten meine ersten Gedanken um Osmo. Weil er in meinem Leben weitaus präsenter war als Samu, obwohl er meine Adresse gar nicht gehabt hatte.
Ich schüttelte den Kopf, deutete mit dem Finger auf das Handy und signalisierte Osmo so, einen Moment zu warten.
Ich klärte mit Niila ab, dass wir uns vor dem neuen Jahr noch einmal sehen sollten, um mögliche Termine für eine erneute Clubtour in Deutschland zu besprechen. Ich wollte mit der Konzertagentur so früh wie möglich verhandeln, damit die guten Clubs in Deutschland und Finnland nicht schon im Vorfeld über- oder ausgebucht waren. Samu hatte recht gehabt; der Job war nicht anders. Ich war die Person, die sich vor Ort kümmern konnte, weil –wie es der Zufall so wollte- ContraPromotion ihren Sitz in Bochum hatten. Das und die Nähe zu Niila erleichterte die Arbeit zwischen den einzelnen Instanzen ungemein.
„No", antwortete ich ironisch, als ich das Gespräch mit Niila beendet hatte und drückte Osmo freundschaftlich.
„Excited?"
„Sure", ich ließ ihn los, grinste und nahm einen Schluck des Kakaos, „thank you very much. It's fucking cold."
„You're welcome", nickte Osmo freundlich und stemmte die Unterarme auf den Tisch, „how was your holidays?"
„Nice", antwortete ich, „great."
„And now?"
„What do you mean?"
„Your plans?", er wirbelte mit den Händen in der Luft herum, „more freetime, more holidays?"
„I will stay", grinste ich breit und sah verlegen zu Boden.
„You'll stay?"
Ich nickte.
„For the next time."
„You'll stay?", fragte Osmo euphorisch.
„I do the organizationstuff for Niila", meinte ich, „that's why I'll stay next to him and the boys."
„You mean next to Samu", ein süffisantes Grinsen breitete sich auf Osmos Gesicht aus, „next to him. Not next to Niila. That was Samus plan."
„What was my plan?", Samu störte unsere Unterhalten, legte den Arm um mich, küsste meine Schläfe und nickte Osmo zu.
Darauf folgten finnische Wortfetzen, von denen ich immer noch kein einziges Wort verstehen konnte. Sie redeten einfach zu schnell. Wenn sie das Tempo um ein vielfaches gedrosselt hätten, hätte ich vielleicht einige Wörter verstehen können.
Osmo lächelte und tätschelte meine Schulter, bevor er den Reißverschluss seiner Jacke hochzog und in den Biergartenbereich des Cafés ging.
„Will ich wissen, über was ihr euch unterhalten habt?", ich sah zu Samu hoch und drückte mich an seine Brust.
„No."
„Nein?"
„I told him, dass ich will sex mit dir now. Er wollte nicht bleiben dabei."
„Wie schade", ich schob die Unterlippe nach vorne und drehte mich so, dass ich genau vor ihm stand.
„I'm sorry", Samu zuckte mit den Schultern, „now nur ich bin here."
„Das ist ok", grinste ich, „das reicht mir."
„Really?"
„Ich will nichts anderes als das hier", lächelte ich, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste Samu unterhalb des Kiefers, „das ist alles."
„That's all, hm?", er legte die Arme fest um mich.
„That's all", ich schloss die Augen und drückte mich fest an ihn.
So kitschig das auch gewesen war. Ich fand es toll, wie liebevoll und zärtlich unser Umgang miteinander war. Wir konnten mindestens genau so gut miteinander streiten, warum also nicht mal etwas mehr Liebe an den Tag legen und alle Menschen an seinem Glück teilhaben lassen?
„What do you think about painting?", fragte Samu plötzlich.
„Das ist eher Mirjas Steckenpferd", grinste ich.
„Oh no", Samu schüttelte den Kopf, „no Mirja in our house. No. Never."
„An was dachtest du denn?"
„Painting together?", er grinste schief.
„Alles?"
„No, just die floor. I hate this white walls. Everyday ich fuhl mich wie in eine hospital."
„Ich mag die Idee", eröffnete ich Samu und freute mich über das Lächeln, das sofort seine Mundwinkel umspielte, „vor oder nach Silvester?"
„God", lachte er und strich mir über den Rücken, „before. After die party wir haben beide eine job."
„Dann machen wir das. Können wir das gendern?"
„What do you mean?"
„Rote und blaue Streifen."
„No."
„Rote Streifen?", ich legte den Kopf schief.
„No."
„Blaue?"
„No."
„Suosikki", grinste ich.
„Oh no", Samu lachte, „stop."
„Suosikki", ich zog das letzte i bettelnd lang.
„No. My last word."
„Suutele minua suosikki", flüsterte ich und machte einen Kussmund.
Sofort drückte Samu seine kalten Lippen auf meine.
Ich vergrub meine Hände tief in seinen Jackentaschen, als er mich sanft ein Stück zurückschob.
„Ich muss gehen zu Osmo. Business. You know, dass i..."
„Ich weiß", ich drückte ihm noch einen kurzen Kuss auf.
„Sehen wir uns vor die show?"
„Ja", ich lehnte mich an seine Brust, „ich hab mir schon einen Tisch ausgeguckt."
„What?"
Ich zog Samu ein Stück zur Seite und deutete auf einen der hintere Tische, an denen auch ein Heizpilz stand.
„No way", er zog die Augenbrauen hoch.
„Was meinst du?"
„No way, dass du sitzt an diese table."
„Warum nicht?"
Samu nahm mein Gesicht in seine Hände und zog mich dicht.
„Listen to me", fing er an.
„Hm?"
Deine Platz ist nicht in die audience, ok?"
„Was?", ich blinzelte irritiert.
„Stop talking."
„Ok. Tschuldige."
„Deine Platz ist nicht in die Publikum. Not in the fifth row und nicht in Reihe one. Never. Ich will sehen your face after every concert first. Ich will sehen in deine eyes, wenn ich komme von die Bühne", sagte Samu leise, „I don't want you to see in die front row. Never. I will see you first. Everytime. Ok?"
Ich schluckte.
„Did you understand?"
Ich nickte.
„Good", Samus Blick wandelte sich von ernst zu liebevoll, bevor er mich sanft küsste und eine Gänsehaut über meinen Körper schickte.


Ich stand immer noch an dem runden Tisch, trank bereits meinen zweiten Kakao und lauschte Osmo, Riku und Samu. Sie saßen auf Barhockern und trällerten a capella finnische Songs herunter, die ich nicht kannte. Nur wenige Menschen konnten sich an diesem Abend dazu durchringen, der Wahnsinnskälte zu trotzen und auf der Terrasse fröhlich mitzusingen und zu klatschen. Das gehörte hier aber auch zur allgemeinen Mentalität. Die Leute waren stets freundlich und zuvorkommend; hilfsbereit und höflich. Ich wollte gerade an die Bar gehen, um mal das Getränk zu wechseln, als ich das Vibrieren des Handys in meiner Hosentasche bemerkte. Mit einem komischen Gefühl im Bauch nahm ich ab, als ich den Namen „Daniel" las.
„Hallo?", fragte ich und stellte meine leere Tasse auf den Tresen.
„Hallo Frau Auswanderin. Kennen Sie mich noch?"
„Spinn nicht rum", lachte ich.
„Wie gehts?"
„Gut und dir?"
„Auch. Was machst du so?"
„Bin gerade im Carusel."
„Karussell?"
„Das ist ein Café."
„Wo?"
„In Helsinki."
„Oh", Daniel machte eine Pause, „ich dachte, du wärst nach Weihnachten wieder nach Bochum gekommen."
„Nein", ich schüttelte den Kopf, „ich komm auch erstmal nicht zurück."
„Wie?"
„Ich hab einen Job angenommen."
„Wo?"
„Mädchen für alles bei Niila."
„Aso."
Wir schwiegen.
Dieses Gespräch war mir unendlich unangenehm.
Daniel war meine zweite Hälfte. Aber irgendwie wurden wir nicht warm miteinander.
„Und sonst?", begann er wieder.
„Alles ok. Bei dir auch?"
„Ja. Juli ist erkältet und stirbt gerade. Mama ist mit ihren Freundinnen in Barcelona und Papa hängt den ganzen Tag in der Garage."
„Achso."
„Seit wann bist du so wortkarg?"
„Ist komisch", meinte ich knapp und signalisierte der lächelnden Barkeeperin, dass ich nichts gegen einen weiteren Kakao einzuwenden hätte.
„Was ist komisch?"
„Dass du anrufst."
„Sorry, ich bin dein Bruder."
„Das meine ich nicht. Wir haben nach Lenis Hochzeit nicht mehr geredet. Über Weihnachten habe ich nichts von euch allen gehört. Weder ihr noch Mama und Papa haben auf meine Nachricht geantwortet."
„Die sind nicht begeistert. Mama weniger als Papa."
„Was meinst du?"
„Die Beiden haben deinen Abgang nicht mitbekommen. Leni hat ihnen aber alles ganz genau erzählt. Wahnsinn, wie gut sie sich Sachen merken kann."
„Das ist nichts, wofür ich mich schäme, Daniel."
„Das weiß ich, Lov", er seufzte, „das weiß ich. Jedenfalls ist Mama sehr schockiert gewesen, weil du mit ihr vorher wohl schon aneinandergeraten bist. Papa mag Samu, findet es aber doof, dass du in Helsinki bist. Wenn er hört, dass du erstmal nicht zurückkommst, wird er an die Decke gehen. Auch, dass du nicht gesagt hast, dass man dich gekündigt hat, fanden sie merkwürdig."
„Und wieso hast du dich nicht gemeldet?", ich sah geknickt zu Boden.
Er war mir so wichtig.
„Weil ich sauer war, dass du mir all das verschweigst."
„Hm."
„Emma", ich hörte Daniel Luft holen, „unabhängig von Samu, aber warum redest du nicht mit mir? Dein Job ist weg? Du hasst den Typen, den Leni dir quasi aufgezwungen hat? Du hast einen neuen Job in Helsinki? Warum sagst du mir das alles nicht?"
„Weil ich genau diese Situation vermeiden wollte. Ich hätte mich für all das rechtfertigen müssen. Bei allen."
„Nein."
„Ja."
„Nein."
„Natürlich", ich lachte verächtlich, „ich bin es satt. Das ist mein Leben. Nur meins. Und wenn ich nach Panama auswandern würde, dann dürftet ihr gerne alle euren Senf dazugeben. Aber bitte lasst mich meine Entscheidungen alleine treffen."
„Ich bin in Team Samu. Das weißt du, oder?", ich hörte ihn Grinsen, „es ist mir scheiß egal, wo du mit wem bist und ob du arbeitest oder nicht. Aber rede mit mir darüber. Du bist meine Schwester. Meine Zwillingsschwester. Und du wirst mich nicht los. Egal, wo du bist."
„Das ist lieb."
„Ich weiß."
„"Kriegen Mama und Papa sich wieder ein?", wollte ich wissen.
„Papa ja, Mama wird brauchen. Sie ist auch nicht Fan. Weder musikalisch noch dann, wenn der alte Finne ihre Tochter vögelt", er lachte.
„Ich würd denen gerne selbst sagen, was aktuell in meinem Leben passiert. Kannst du das mit Niila für dich behalten?"
„Aber klar. Wir haben uns nie gesprochen. Wer sind Sie überhaupt?", kicherte mein Bruder.
„Danke, Daniel."
Ich war erleichtert.
Erleichtert, dass das alles doch so einfach war.
Manchmal musste man einfach reden.
Mit den richtigen Menschen.
„Unter einer Bedingung."
„Oh nein", ich schüttelte den Kopf, „was?"
„Dass wir uns nächstes Jahr sehen. Mir egal, wann. Aber vor März wäre schön. Natürlich nur, wenn das zeitlich klappt. Du bist ja jetzt wieder der Manager", Daniel lachte.
„Das kriegen wir hin."
„Aber ich will nach Finnland kommen. Da war ich schon ewig nicht mehr."
„Finnland, nächstes Jahr, vor März. Ist notiert."
„Schön. Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend", Daniel wechselte in seine Telefonstimme, die immer unglaublich freundlich klang.
„Dankeschön, Ihnen auch", stieg ich mit ein, „ich wünsche einen schönen Aufenthalt an Bord."
„Danke", antwortete er schnell, „düdüdü. Lov?"
„Ja?"
„Bist du glücklich so, wie es ist?"
Ich sah nach draußen.
Zu Riku, Osmo und Samu.
Und fixierte Samu mit meinem Blick.
Alle drei saßen mit dem Rücken zu mir und trotzdem musste ich grinsen.
Und bekam ein Kribbeln im Bauch.
„Ja, das bin ich."
„Das wollte ich hören. Hab einen schönen Abend. Hören wir uns an Silvester?"
„Spätestens, ja. Grüß Juli von mir."
„Mach ich. Bis bald."
„Bis bald!", gab ich zurück, legte auf und nahm am Tresen Platz.
Ich ließ das Gespräch kurz Revue passieren und wunderte mich über mich selbst, dass es mir vollkommen egal war, was Leni zu sagen hatte. Sie war eine alte Petze und damit kam ich klar. Meinetwegen musste sie sich nicht melden. Dafür war zu viel passiert, was mir gegen den Strich ging. Was meine Eltern anging; das war eine andere Nummer. Meine Mutter hatte sich –für mein Empfinden- an Lenis Hochzeit so sehr daneben benommen, dass ich nicht wusste, ob ich damit leben könnte, dass sie immer wieder herumzetern würde.
„Nimm einen Schluck", riss mich die Kellnerin aus meinem Gedanken und stellte neben den Kakao ein Pinnchen Salmiakki, „der geht aufs Haus. Das klang nach keinem netten Gespräch."
Hatte sie gelauscht?
Und wieso sprach sie deutsch?
„Zum Schluss hin schon", lächelte ich und prostete ihr zu.

Just friends?Where stories live. Discover now