That sounds good

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„Willst du something to drink?", fragte Samu, nachdem wir die rechte Seite des Podiums über der Bühne betreten hatten.
„Apfelschorle", lächelte ich und lehnte mich anschließend über das Geländer, um hinunter zu sehen. Die fleißigen Mitarbeiter klebten noch die letzten Kabel auf der Bühne fest, richteten Schweinwerfer auf das Mikrofon und rückten die Stühle in der Düsseldorfer Tonhalle gerade.
Samu hatte uns ein Taxi bestellt und uns durch den Hintereingang Eintritt verschafft. Dort hatten wir Niila getroffen, der uns erzählte, wie aufgeregt er sei, obwohl das nicht sein erstes Konzert gewesen war. Er sagte uns, wo wir unsere Sachen ablegen konnten und teilte uns mit, dass er die Wahl zwischen Hut oder Mütze hatte, was ihn total überforderte. Felix –der Beatboxer- war ebenfalls da; allerdings nur als Gast. Als Niila ihn backstage herumlaufen sah, winkte er ihn zu uns heran, aber er grüßte nur freundlich zurück und verschwand dann wieder mit der kleinen Asiatin, dessen Hand er die ganze Zeit über nicht losgelassen hatte.
Ich ließ den Blick durch die Halle schweifen und erinnerte mich an das Silvesterkonzert von Sunrise Avenue zurück. Wir hatten sogar eine Stylistin gehabt, die uns alle auf Hochglanz poliert hatte. Jetzt war ich wieder hier, war weniger aufgeregt, weil ich die Organisation nicht übernommen hatte und nicht verantwortlich gewesen wäre, falls etwas schief gegangen wäre.
„Bitte", ich zuckte zusammen, als Samu mir einen Becher vor die Nase hielt, „everything ok?"
„Ja", ich trank hastig einen Schluck, „bei dir auch?"
„Yes,I'm feeling good. Ich freue mir auf diese concert. Ich liebe diese hall."
„Der Sound ist gut, stimmt. Wann fängt er an?"
Samu zog das Smartphone aus seiner Hosentasche.
„Einlass ist in a few minutes und dann wir müssen noch warten one hour. Willst du essen danach etwas?"
„Klar", lächelte ich und drehte den Becher zwischen meinen Händen, „an was hast du gedacht?"
„Maybe Pasta and Pizza?"
„Klingt gut."
„I know", Samu schmunzelte, stieß mit seinem Becher an meinen um anzustoßen, als die ersten Gäste durch die Eingangshalle in den Konzertsaal rannten und die ersten Sitzreihen besetzten.
„Nun warten wir?"
„Nun warten wir, yes", stimmte Samu zu und nickte.


Unmittelbar vor seinem Auftritt hatte Niila sich bei uns guten Zuspruch abgeholt. Dann ging es für ihn los. Er stieg die kleinen Stufen hinab, kam wenige Sekunden später zwischen den Podien auf der Bühne heraus und wurde sofort von einem Scheinwerfer angestrahlt. Die Menge rastete aus und applaudierte, während Niila sich verlegen den Hut ins Gesicht zog und den Mikrofonständer richtig einstellte. Nach ein paar Begrüßungsworten startete er mit bekannten Songs aus seinem ersten Album „Gratitude", gefolgt von einigen Coversongs. Die Mischung zwischen seinen eigenen Songs und den anderer Künstler war perfekt gewählt. Noch immer standen Samu und ich am Geländer und sahen auf die Bühne hinab. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich damals nicht hier oben gestanden hatte, sondern da, wo Niila gerade herausgekommen war. Ich zuckte mit den Schultern und trank den letzten Schluck meiner –bereits zweiten- Apfelschorle.
„Hast du noch was?", fragte ich Samu und bewegte den Becher vor seinem Blickfeld hin und her.
Er schüttelte den Kopf und zeigte dann fragend auf mich.
Ich schüttelte den Kopf.
Dann nickte er, riss mir fast den Becher aus der Hand und verabschiedete sich grinsend in Richtung Catering. Ich sah ihm noch kurz nach, drehte mich dann wieder um und lauschte Niilas angenehmer Stimme, die die Halle ausfüllte. Zuerst wippte ich nur unauffällig mit den Füßen mit, bis ich mich bei „My parade" nicht mehr halten konnte, die Hände rhythmisch über dem Kopf zusammenschlug und –soweit es mir möglich war- mitsang. Ich kannte den Text nicht ganz, aber der Refrain war mir bekannt.
„God", lachte Samu mir hell ins Ohr und hielt mir den gefüllten Becher ins Gesicht, „it's terrible. I leave now."
„Was?", schrie ich und konnte den Becher gerade noch auffangen, bevor Samu geradewegs in zurück in Richtung des Caterings ging.
Schnellen Schrittes folgte ich ihm. Zu meiner Verwunderung ging er nicht in dem Raum, in dem das Buffet stand, sondern nahm auf einer Sitzbank davor Platz.
„Was hast du gerade gesagt?", fragte ich noch beim Gehen und musste darauf achten, nichts von meinem Getränk zu verschütten, „ich hab nichts verstanden."
„Deine voice", lachte er.
„Was ist damit?"
„Das war terrible", Samu zwinkerte, stellte seinen Plastikbecher auf die Bank und hielt sich die Ohren zu.
„Du bist 'n Arsch", feixte ich und boxte seine Schulter, „dein Gesang war früher auch richtig schlecht. Und trotzdem füllst du jetzt große Hallen. Das ist alles nur eine Frage der Übung."
„Ja klar", er nickte und zog ein Duckface, „Ubung."
„Ja, Übung."
„Yes."
„Ja."
„Yes, lady", meinte er und zog mich plötzlich auf seinen Schoß. Sofort legte er eine Hand hinter mich, die andere über meine Knie, damit ich nicht herunterkippen würde, falls ich das Gleichgewicht verlieren würde. Wie versteinert drückte ich den Rücken durch und stierte an Samu vorbei. Den Becher in der linken Hand haltend, meine rechte Hand auf meinem Oberschenkel liegend. Aber nur so weit, dass ich Samus Hand nicht berührte.
Ich war mit einem Mal total angespannt und völlig unentspannt, was meine Nerven anging.
„Wie ist deine evening?"
„Gut bisher", antwortete ich knapp.
„That sounds good."
„Ja."
„Ich hoffe, dass du hast Spaß?"
„Ja, hab ich."
„Das ist schön", ich sah aus dem Augenwinkel heraus, dass er mich ansah, „ich bin sorry, da..."
Just in diesem Moment vibrierte das Handy in meiner Hosentasche, so dass ich aufstehen musste, um es aus der Tasche zu angeln.
Gott sei Dank.
Ich konnte mich der komischen Situation entziehen, ohne Samu vor den Kopf stoßen zu müssen. Ich bemerkte, dass er sich Mühe gab. Den ganzen Abend über. Das war nicht zu übersehen. Unglaublich viel Mühe. Aber auf diesen Anflug von körperlicher Nähe war ich nicht vorbereitet gewesen. Ich kam mir fast vor wie am Morgen, als er mich am Bahnhof abgeholt hatte und ich mit dem alten Mann aneinander geraten war. Ich war steif wie ein Brett, konnte mich nicht rühren, begann, vor mich hin zu stammeln und brachte nur kurze Antworten heraus.
Fast erleichtert sah ich vor Samu stehend auf das Display und rollte dann aber die Augen, als ich „Jan" las.
„Da muss ich rangehen", sagte ich zu ihm und entfernte mich einige Schritte.
„Alles ok!", lächelte Samu und nahm seinen Becher wieder in die Hand.
„Emmchen", begrüßte Jan mich, „alles in Ordnung? Ich wollte nur hören, wie es dir geht."
„Alles gut! Was machst du?"
„Wir sind alle zu Leni und Marius gefahren und gucken die „Zurück-in-die-Zukunft"-Trilogie."
„Das klingt ja spannend, Marty McFly!"
„Das ist es, Doc!", gab Jan zurück, „was macht Samantha?"
„Die hab ich gerade zur Bar geschickt um Nachschub zu holen."
„Wo seid ihr denn?"
Ich hielt die Luft an.
Unmöglich konnte ich die Wahrheit sagen.
Wenn er in der Runde erzählt hätte, dass ich mich in der Tonhalle aufhielt, hätte Leni den Braten gerochen und mir sofort wieder irgendetwas unterstellt, was ich hier treiben würde.
„Bitte? Ich hab nichts verstanden", log ich, um mir etwas Zeit zu verschaffen, um die Clubs in Düsseldorf in meinem Kopf durchzugehen.
Was gab es da?
Stahlwerk.
Und?
In dem Schuppen war ich mal mit Daniel schwul feiern gewesen.
Vor Jahren.
Stahlwerk.
Noch was?
Keine Ahnung.
„Wo ihr seid!", rief Jan.
„Stahlwerk", gab ich zurück und hielt mir ein Ohr zu; obwohl ich ihn sehr gut verstehen konnte, „ich leg auf, ja? Du hörst dich so hallig an."
„Ok, Emmchen. Meld dich, ja?"
„Auf jeden Fall!"
„Ich liebe dich, pass auf dich auf!"
„Ich dich auch, bis später!", sagte ich schnell, legte auf und ließ das Handy wieder in meine Hosentasche gleiten.
Das war knapp.
Natürlich rief er mich an; schließlich hatte ich vergessen, mich in irgendeiner Form bei ihm zu melden. Die Zeit war aber auch wie im Flug vergangen. Ich stemmte die Hände in die hinteren Hosentaschen und schlenderte zurück zu Samu, der immer noch auf der Bank saß und in meine Richtung grinste. Dieses Mal aber mit einem Zahnstocher im Mund.
„Bist du hungry?", fragte er, als ich vor ihm zu Stehen kam und hielt mir eine Serviette mit kleinen Spießen aus Weintrauben und Käse entgegen, „willst du?"
„Danke", schnell steckte ich mir einen Spieß in den Mund.
„Jan?"
Ich nickte stumm und setzte mich dann neben ihn.
„Deine voice ist nicht so schlimm wie ich sage", er stieß gegen meine Schulter, „but es war nicht richtig."
„Ich bin 'n Fangirl. Da ist kreischen erlaubt", sagte ich und wollte mir einen weiteren Frucht-Käse-Spieß stibitzen, als Samu genau nach dem selben griff.
Unsere Hände berührten sich kurz; Samu ließ mir aber den Vortritt.
„But nicht so", überspielte er die Situation und starrte auf die gegenüberliegende Wand.
Ich stemmte die Ellenbogen auf meine Knie und sah Samu an, der jetzt an seinem Becher herumnippte und anschließend wie ein kleiner Junge auf den Plastikrand biss, bis dieser nachgab.
Ich lachte.
„Hm?"
„Nichts", ich rutschte näher an ihn heran und legte mein Kinn auf seinem Oberarm ab, „ich bin dir nicht mehr böse."
„No?"
„Nein", nuschelte ich leicht, „ich weiß, dass du es wieder gut machen willst und du dir Mühe gibst."
Samu lächelte und strich über meinen linken Oberschenkel.
„Danke."
„Sag das nicht. Ich muss mich für den schönen Tag bei dir bedanken. Ich bereu das wirklich nicht, dass ich gekommen bin."
Er stellte den Becher zwischen seine Beine, legte einen Arm um mich und streichelte meine Schulter. Ich umarmte ihn ebenfalls und drückte mich an seine Brust.
„Wollen wir zurück gehen? Ich würd gerne noch was von der Show sehen", warf ich in den Raum, als mir die Umarmung etwas zu lange vorkam.
„Sure", meinte Samu, stand sofort auf, steckte sich und mir die letzten Spieße in den Mund, knüllte die Serviette, steckte sie sich in die hintere Hosentasche und ließ mich als erste den Weg zurück zu den Podien gehen.
Wir kamen genau zum richtigen Zeitpunkt.
Sam, der Bassist von Niila und klatschte gerade das Publikum ein und stimmte so den Song „Play you" an, als wir uns wieder mit unseren Bechern über die Balustrade lehnten.
„Darf ich mitsingen?", fragte ich Samu und klatschte die wenigen Takte auf dem Geländer mit der freien Hand mit.
„Sure", nickte er und hielt sich schützend ein Ohr zu.
„Auch tanzen?"
„Sure. But dann ich gehe."
Er schmunzelte.
„Dann beschränke ich mich auf Wippen."
„Gut. Dann kann ich auch sehen die show."
Ich boxte ihm auf den Oberarm und war ein weiteres Mal an diesem Tag froh, dass ich nicht gekniffen hatte. Er hatte sich mehr als daneben benommen; aber was er alles organisiert hatte, zeigte mir, dass er sich Gedanken gemacht hatte und es ihm wirklich leid tat. Ich musste mir eingestehen, dass ich es auch ein wenig genoss, von ihm umsorgt zu werden. Aber ich hatte ihn den ganzen Tag über bluten lassen und war verschlossen gewesen. Samu hatte mich sogar mit Essen versorgt. Das war dann doch fast zu viel des Guten. Er hatte schließlich niemanden ermordet. Auch, wenn es mir durch ihn nicht gut gegangen war. Aber wenn dieser Tag eine Art Neuanfang gewesen war, dann konnte ich damit gut leben.
Niila spielte einige weitere Songs und dieses Mal war Samu derjenige, der immer wieder einzelne Passagen mitsang und mich dazu animierte, einzusteigen. Als er mich bei „Sail my way" nicht ganz ehrlich fragte, ob ich mit ihm tanzen wollen würde, mussten wir beide lachen. Wir standen nebeneinander und schunkelten Schulter an Schulter. Wenn ich mein Feuerzeug dabei gehabt hätte, hätte ich es vermutlich im Takt hin und her geschwungen. Samu stellte seinen Becher auf den Boden neben sich und kam hinter mich.
„Can I?", flüsterte er in mein Ohr und fasste an meine Taille, „wenn du willst nicht tanzen mit mir, ich muss alleine."
Ich nickte lächelnd und hatte keine Sekunde später Samus Hände auf meinem Bauch. Er wippte uns im Takt von rechts nach links, sang lauthals mit und drückte mir Küsschen auf die Schläfe. Die Stimmung zwischen uns war nicht mehr angespannt wie noch am Morgen sondern vollkommen ausgelassen. Auf „Sail my way" folgten weitere Lieder, die nicht unbedingt zum Mitklatschen, sondern eher zum Genießen animierten. Für mich persönlich mussten die Lieder zum Schunkeln nicht alle hintereinander kommen, aber ich hatte die Setlist schließlich nicht erstellt. So hielt Samu mich die ganze Zeit im Arm und erst, als Niila den letzten Song des Abends ankündigte, stand er wieder neben mir und biss auf den Plastikrand des Bechers.
„Ist ok, wenn wir gehen now? Ich will nicht, dass alle mich sehen instead of Niila und alle sind dann so crazy", flüsterte er mir bei „Bottle of wine" ins Ohr.
„Natürlich", nickte ich.
„Let's meet an die exit, ich hole our stuff."
Ich lauschte noch einen Moment und verließ dann ebenfalls das Podium.


Es hatte geregnet, während wir bei Niilas Konzert gewesen waren. In den einzelnen Schlaglöchern auf der Straße vor uns hatten sich Pfützen gebildet. In der Luft lag dieser unverwechselbare Geruch nach Sommer.
Sommerregen.
Samu ging voraus und übersprang den vor uns liegenden Grünstreife, während ich ein Déjà-vu hatte und mich daran zurück erinnerte, dass ich mir Silvester 2015 die Schuhe genau an dieser Stelle versaut hätte, wenn Samu mich nicht getragen hätte.
„Soll ich dich tragen wieder?", wollte er wissen und ertappte mich in meinen Gedanken.
„Dieses Mal gehts", lachte ich und tippelte über den nassen Rasen, ihm hinterher.
„Fumar?", er lehnte sich über die Brüstung, holte eine Schachtel Zigaretten aus seiner Jackentasche und zog mir eine heraus. Minutenlang standen wir dort, sahen auf das Wasser, schwiegen und rauchten.
„Singst du jetzt auch wieder?", neckte ich ihn und brach damit die Stille, „und wir tanzen?"
„Hell", er bließ den Rauch gen Himmel, „es ist nass und cold. Das will ich nicht für dich heute."
„Das ist nett, danke", lachte ich und sah wieder auf den Rhein vor uns.
„Sollen wir gehen?"
„Gehen?"
„Sure."
„Wohin?"
„Back to the hotel, dann mit meine car holen something to eat und dann essen together?"
Ich zog die Augenbrauen zusammen. Es wurde von Minute zu Minute kälter und windiger.
„Du willst laufen?"
„Yes", er nickte.
Das waren drei Kilometer Fußweg. Bei Sonnenschein gerne. Aber nicht abends bei aufziehendem schlechten Wetter. Außerdem hatte er mich beim letzten Mal, als wir diesen Fußmarsch auf uns genommen hatten, als „Dramaqueen" betitelt und mir vorgeworfen, dass ich ständig nur meckern würde. Samu schien meine Grübelei nicht verborgen geblieben zu sein und zog prompt seine Lederjacke aus.
„Wir machen eine deal, ok?"
„Deal? Unsere Deals waren nie gut", lachte ich.
„C'mon", bettelte er, „just listen."
„Ok", nickte ich, „ich höre."
„Du bekommst meine jacket for die Weg. But we walk back to the hotel and you try my favourite food."
„Das sind aber viele Bedingungen."
„Dafür die guy next to you ist eine nice guy."
„Und ich bekomm die Jacke?", harkte ich nochmal nach und zeigte mit dem Finger darauf.
„Yes. Für die way."
„Ok."
„Yes?"
„Ja. Du hast einen Deal, Mister", sagte ich und ließ mir von Samu helfen, in die Jacke zu schlüpfen.

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