Er war ein Lappen von Mann

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Ich öffnete die Augen und sah in das herzförmige Gesicht einer weiteren Errungenschaft des letzten Abends. Die Brünette lächelte mich müde an, drehte sich nach einem kurzen Kuss zur anderen Seite und zog die Decke bis zu den Schultern hoch.
Es war nicht bei einer Flasche Rotwein geblieben. Ich hatte mehr gebraucht, um diese wirklich dusselige Kuh ertragen zu können. Noch nie hatte ich mich so sehr gelangweilt und noch nie hatte ich mich so sehr für meine ewigen Bettgeschichten geschämt. Vermutlich wäre ich in meinem eigenen Bett aufgewacht, wenn ich ihr gesagt hätte, dass ich nur an einer schnellen Nummer interessiert war.
Als ich ein leises Schnarchen vernahm, nutzte ich die Gunst der Stunde, um mich leise aus dem Staub zu machen. Während des Aufstehens stieß ich mit den Füßen gegen einen der leeren Pizzakartons, die die nette Dame und ich gemeinsam geleert hatten. Ich kannte weder ihren Namen, noch wusste ich, wo ich sie aufgerissen hatte. Viel zu viel Alkohol hatte ich in der letzten Nacht –mal wieder- konsumiert.
Leise tippelte ich durch das noch dunkle Schlafzimmer, schloss die Tür lautlos hinter mir und ging über den langen, mit hellem Laminat ausgelegten Flur in das innenliegende Badezimmer, da ich meine Anziehsachen hier am ehesten vermutete.
Das helle Licht der Neonröhre unter der Decke blendete mich und bewegte mich dazu, die Augen zu kleinen Schlitzen zu verschließen und diese erst einige Sekunden später blinzelnd zu öffnen.
Müde lächelte mir ein blonder Mann entgegen.
Anfang 40.
Hohe Stirn.
Muttermal auf der linken Wange.
Faltig.
Mein Spiegelbild meinte es nicht wirklich gut mit mir. Erschrocken zog ich die Tränensäcke mit den Fingern herunter, um sie anschließend nach oben in Richtung Stirn zu drücken.
Die kleinen Fältchen um die Augen herum traten immer mehr in den Vordergrund und ließen sich selbst durch das tägliche Benutzen einer Tagescreme nicht aufhalten.
Ich wurde alt.
Und mit jedem Tag älter.
Mein ungesunder Lebensstil trug sein Übriges dazu bei.
Zu viel Alkohol, zu viele Zigaretten, zu wenig Schlaf, Junkfood, zu viel Sex mit irgendwelchen dummen Gänsen, die ich nach zu viel Zigaretten und zu viel Alkohol aufgerissen hatte.
Meine Hose lag ordentlich gefaltet auf dem grauen Wäschekorb. Immerhin das hatte ich noch geschafft. Ich durchwühlte die Hosentaschen der schwarzen Jeans und war froh, als ich darin meinen Autoschlüssel fand. Von Glücksgefühlen übermannt küsste ich ihn überschwänglich, legte ihn auf das Waschbecken und zog mich schnell an, um diese Wohnung zügig verlassen zu können.


Als ich den BMW auf dem Parkplatz vor der Tür parkte, warteten Mikko und Jukka bereits davor. Ich stieg aus, umarmte beide freundlich und bat sie ohne ein Wort mit ihnen zu wechseln in das Haus.
Kisu und Mimmi beachteten uns nicht weiter, als wir ohne Umwege direkt nach oben in das Studio gingen.
Kaum saß Mikko eine Sekunde lang auf dem schwarzen Drehstuhl, räusperte er sich und zog die Augenbrauen hoch.
„We have to talk."
Mal wieder.
Ich war davon ausgegangen, dass sie einfach so vorbeigekommen waren, um gemütlich beieinander zu sitzen und über den bevorstehenden Sommer zu sprechen. Stattdessen sollte ich mir wieder anhören, was für ein schlechter Mensch ich gewesen sei.
„What's wrong with you?", Jukka schlug mit der geballten Faust wütend auf den kleinen Beistelltisch neben dem braunen Ohrensessel, in dem er saß.
Mit mir war nichts.
Es war alles in Ordnung.
Nur, weil ich mich nach diesem miserablen Interview in Bochum wieder der finnischen Frauenwelt versprochen hatte?
„It doesn't work, Samu", mein Produzent schüttelte eindringlich den Kopf.
Es funktionierte nicht, weil ich nicht so funktionierte, wie sie wollten. Meiner Meinung nach war es ausreichend, mich zwischendurch bei allen zu melden. Schließlich waren es meine Ferien. Meine freien Tage im Jahr, in denen ich nicht der gutgelaunte Finne sein musste, den alle von mir erwarteten. Meine Kurztrips in den letzten Monaten hatte ich immer alleine angetreten. Ohne Mikko, ohne Jukka, sogar ohne Riku. Ich brauchte die Tage für mich und die gönnte ich mir. Was daran verwerflich war, wusste ich nicht.
„It's Emma", Mikko drehte sich in Jukkas Richtung, „she was there in Bochum."
Emma.
Natürlich.
Als würde sich mein ganzes Leben nur um sie drehen.
Ja, sie hatte das Interview führen wollen.
Leider wurde das Ganze durch ihre Unprofessionalität überschattet.
Sie mimte die toughe, unglaublich selbstbewusste Journalistin, war aber nicht in der Lage, ein verwendbares Foto von mir zu schießen. Ihre Kollegin Frauke konnte wenigstens durch ihre langjährige Erfahrung überzeugen. Besser war das Interview dadurch aber leider nicht geworden.
„Emma?", Jukka legte die Stirn in Falten, „still the red-head? Two years ago?"
Er hatte sie nie persönlich kennengelernt. Seinerzeit legte er mehr Wert auf einen ausgedehnten Urlaub in Las Vegas. Dennoch kannte er sie durch verschiedene Telefonate während der Zeit in Düsseldorf. Ich hatte mit Jukka nie über sie gesprochen und trotzdem wusste er, wie schnell wir uns nach dem endlosen Hin und Her vor zwei Jahren plötzlich näher gekommen waren. Nicht zuletzt, weil Emma eine WhatsApp-Gruppe mit allen eröffnet hatte.
„She had to do the interview with Samu and both were very aggressive and mean to each other", Mikko blies Luft aus und fuhr sich durch die Haare, „afterwards we met her with her boyfriend in a sauna."
Jan.
Der Boyfriend.
Der Typ war kein Boyfriend.
Er war ein Lappen von Mann.
Einen Kopf kleiner als ich, hatte er seine braunen Haare mit Wasser brav zur Seite gelegt und trug einen Dreitagebart.
Er war vielleicht zehn Jahre jünger als ich, konnte mich persönlich aber nicht überzeugen.
Vielleicht war er einer der Typen, die durch ihren wahnsinnig tollen Charakter eine Frau um den Finger wickeln konnten.
„And what's the problem?", Jukkas Hände machten eine rollende Bewegung, vermutlich, weil ihm die Ausführung Mikkos Erzählung nicht schnell genug ging.
„Samu observed her while she kissed her boyfriend."
Ich hatte sie nicht beobachtet.
Nicht eine Sekunde lang.
Ich war lediglich zur falschen Zeit aus der Sauna gekommen.
Emma hing diesem Lackaffen um den Hals und schaute erschrocken in den Innenbereich, als sie sah, wie ich sie erwartend anguckte.
Sie wollte ihn nicht küssen, das hatte ich genau gesehen.
Sie hielt zu mir Augenkontakt.
Nicht zu dem Lappen.
„Oooooh", Jukka zog eine Schnute und faltete die Hände, „and now the little Samu is depressed because the little red-head doesn't want him anymore?"
Pah.
Das war ich nicht.
Ich war mir lediglich sicher, dass ich auf Emma immer noch eine Wirkung zu haben schien.
Das machte mich alles andere als depressiv.
Es pushte mein Ego.
Obwohl ich älter war, war ich derjenige, den sie angaffte, während sie einen anderen Mann küsste.
Das konnte nicht jeder von sich behaupten.
„Samu, c'mon", Mikko boxte mir auf die Schulter, „your lifestyle isn't healthy at this moment. You have to change."
Es war nicht sein Leben.
Es war meins.
Ganz allein meins.
Und ich konnte tun und lassen was ich wollte, so lange ich der Band damit nicht schadete.
Und das tat ich nicht.
Ich hielt sie sogar zum größten Teil aus meinem Privatleben heraus, damit ich mir solche Standpauken nicht anhören musste.
„Look", Jukka stand auf und schlug mir mit der flachen Hand auf die Wange, „you're getting older and older. Every single day. I love you bro, but your last idea was really shitty. We can forget the tour in the summer if you're acting like the bad bad finnish guy with a lots of groupies. Nobody likes this. Do something against your lovesickness and get off your tush."
Niemand?
Da hatte ich aber etwas anderes gehört.
Er war nur neidisch, weil er sich nicht aussuchen durfte, mit wem er wann und wo ins Bett stieg und mit wem nicht.
„Samu?", Mikko wedelte vor meinem Gesicht rum, „you're absent-minded."
„Hop it", ich rieb mir das Gesicht und starrte meine Freunde an, „I'm able to go without this kind of friends."
Ich stand auf und ging die Treppe herunter. Darauf wartend, dass die Beiden nachkommen würden.
Diese ewigen Rechtfertigungen für mein Tun und Lassen nervten mich.
„Don't forget who you are", sagte Jukka die Wendeltreppe hinabsteigend, klopfte mir auf die Schulter und verließ ohne ein weiteres Wort zu sagen das Haus.
„Mikko?", rief ich in die dritte Etage.
Keine Reaktion.
„Mikko?"
Wieder nichts.
Ich pustete die Wangen auf, ging die Wendeltreppe in das Studio hinauf und erspähte Mikko an dem Laptop sitzen.
„What are you doing?"
Er antwortete nicht, klickte sich lediglich durch meinen Verlauf und blieb bei einer Partnersuchmaschine hängen.
„I like Emma. She was normal."
„The whole band liked her."
„You need a normal one. No models, no tarty painter, no one-night stands."
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
„That's all?"
Mikko nickte.
„I've seen your face after Emma kissed this guy. You were jealous."
„Yes", ich lachte ironisch, „jealous because I'm so deep in love with that girl. All right."
„You're not in love, Samu. But this guy bothers you."
„No."
„Yes."
„No."
„Yes, Samu."
„Fuck you."
„He's younger and smarter", merkte er an und tippelte mit den Fingern auf dem Touchpad rum, „how many girls did you satisfy after you throw Emma out?"
Das ging ihn überhaupt nichts an.
Selbst wenn es nur eine Person gewesen wäre; das hatte nichts mit dem Problem zu tun, dass ich einfach meine Ruhe haben wollte.
„Samu. Talk to me", als ich nicht antwortete, wurde Mikkos Ton rauer, „get on top of this shit. Do some sports, get fitter and be the guy everybody in the world loves. I'm really tired of rescue your ass because you're not able to meet a deadline. Do your fucking job and don't act like a princess."
„I'm on holidays", schmunzelte ich und vergrub die Hände in den Hosentaschen.
„Samu", tadelte mein Manager mich, stand auf und klappte den Laptop zu, „stop this. Don't be a bad ass. Get over Emma and this affairs, do your job and die alone with your two cats."
„I'll do."
„Have fun", er schüttelte den Kopf und ging wütend die Treppe hinunter.
Das Letzte, was ich von ihm hörte, war, wie er die Haustür laut in das Schloss knallen ließ.
Ich raufte mir die Haare und verstand seine Einwände nur halbwegs.
Mein Leben, meine Entscheidungen. Ganz einfach.
Als wäre ich eifersüchtig.
Bullshit.
Auf wen denn?
Den Lackenaffen von Mann?
Weil seine Freundin mich ansah, während sie ihm die Zunge in den Hals steckte?
Niemals.
Ich ließ mich auf dem Drehstuhl nieder, drehte die Boxen auf und ließ meine Foo Fighter-Playlist durchlaufen. Hektisch durchsuchte ich die schier unzähligen Schubladen des Schreibtisches und fand endlich das, was ich gesucht hatte. Eine kleine hölzerne Zigarrenkiste mit der Aufschrift „Gin".


Just friends?Where stories live. Discover now