Neugierde in Person

647 21 0
                                    

Ich gähnte verschlafen, als Jan die Dunkelheit nach irgendetwas abtastete.
„Liegt alles im Flur", murmelte ich grinsend und streckte mich.
Nachdem wir knutschend die Therme verlassen hatten und schon im Auto nur schwer die Finger voneinander lassen konnten, kamen wir nach 20-minütiger Fahrt im Souterrain an. Jans Jacke lag bereits auf dem Boden des Korridors, als ich hastig den Gürtel seiner Hose geöffnet hatte.
Er trottete müde in die Diele, während ich mich aufsetzte und meine Nachttischlampe das Schlafzimmer hell erleuchtete. Ich kniff die Augen zusammen und kratzte mich müde am Kopf.
„Ich muss los", er beugte sich zu mir herunter, ehe er mir einen sanften Kuss auf die Lippen hauchte, „bis wann musst du heute?"
„Wie immer", entgegnete ich und strahlte.
„Essen?"
„Hier?"
„Kochst du?"
„Du?"
„Wenn du was einkaufst", langsam streifte er sich das Shirt vom Vortag über seinen trainierten Oberkörper und setzte sich zu mir auf die Bettkante.
„Und du kochst dann was?", ich lehnte mich zu ihm herüber und spitzte die Lippen.
Er küsste mich.
Wieder und wieder.
„Wenn du einkaufen gehst", wiederholte er, stand auf und zwinkerte mir verstohlen zu, als er das Schlafzimmer und keine zehn Sekunden später auch die Wohnung mit dem leisen Zuziehen der Haustür verließ.
Ich hüpfte gut gelaunt aus dem Bett, stellte eine Tasse Milch in die Mikrowelle und steckte die immer noch nassen Badesachen in die Waschmaschine. Schmunzelnd hob ich meine restliche Wäsche, die Jan mir gestern Abend mehr oder weniger vom Leib gerissen hatte, vom Boden auf und legte das Smartphone auf die Arbeitsplatte neben dem Herd, als der schrille Ton der Mikrowelle ertönte. Langsam rührte ich das Kakaopulver in die warme Milch und sah mich währenddessen in den sozialen Netzwerken um. Jan hatte keine zwei Minuten zuvor seinen Status von „Single" auf „verliebt" geändert.
Ich nahm einen großen Schluck des Heißgetränks und wartete nun auf ein Lebenszeichen meiner besten Freundin Marlen.
Sobald sie den neuen Status gesehen hätte, würde sie anrufen. Die Uhrzeit spielte dabei keine Rolle.
Mit Sicherheit war sie eh schon wach und auf dem Weg zur Schule. Da sie unmittelbar nach dem Bachelor keine Anstellung gefunden hatte, entschied sie sich für weitere zwei Jahre an der Universität, um Lehrerin zu werden. Das Referendariat hatte erst vor einigen Tagen begonnen und verlangte ihr jetzt schon einiges ab.
Wenig Schlaf, schreiende Kinder, viel Arbeit und viel zu wenig Geld für diese hohe Verantwortung.
Ich zog die Rollläden in der Wohnung hoch und öffnete die Fenster zum Lüften, als plötzlich das Handy in der Küche vibrierte.
Leni.
Ich wusste es.
Neugierde in Person.
„Ja bitte?", fragte ich überschwänglich freundlich.
„Wie war er?", keuchte Leni außer Atem.
„Bitte?"
„Ich hab den Status gesehen", es hörte sich an, als würde sie schwer tragen, „ich will nur die schmutzigen Details, für mehr ist gerade keine Zeit."
„Stress?"
„Stress? Das ist gar kein Ausdruck", haspelte sie in den Hörer, „ich hab direkt 'n Vokabeltest schreiben lassen. Leider stand auf allen der gleiche Name. So schnell kann sich das mit der Autorität ändern."
„Deswegen hab ich mich für das angenehmere Leben entschieden", gab ich pfeifend von mir.
„Du hast nur noch Vögeln im Kopf."
„Gar nicht."
„Halt die Klappe und sag mir, wie er im Bett ist."
„Gut."
„Wie gut?"
„Gut gut."
„Emma. Ich hab dir gerade gesagt, dass ich keine Zeit habe", eine Tür knallte, „ich muss noch Kopien machen und diese beschissenen Vokabeltests bewerten. War er so gut, dass du ihn behältst?"
„Wie gibst du die Tests denn zurück? Der Name ist doch überall gleich."
„Ich werd sagen, dass sie sich ihren Test selber aussuchen sollen. Ich bin doch nicht der Himbeertoni und mach die Drecksarbeit für die kleinen Bastarde. So müssen die gar nicht erst anfangen. Die andere Möglichkeit wäre, allen Schülern eine sechs zu geben. Und dann schreib ich morgen noch einen."
„Oh, Frau Dübber! Da ist aber jemand gereizt!"
„Behältst du ihn jetzt?", wollte sie wieder wissen.
„Ich werde nicht heiraten. Aber vorerst", ich überlegte schmatzend, „er ist toll, ja."
„Schön. Wir hatten gehofft, dass du das sagst. Wir kommen heute Abend zum Essen", bestimmte Leni triumphierend.
„Was?"
„Wir hatten geh..."
„Wer ist „wir"?", unterbrach ich.
„Marius und ich hatten gehofft, dass das nach eurem Schwimmbadbesuch endlich klappt und weil wir wussten, wann der ist, haben wir uns heute Abend nichts vorgenommen."
„Was hättet ihr gemacht, wenn das nichts geworden wäre?"
„Dann hätten wir bei einem Film Sex gehabt und wären danach eingeschlafen."


Früher als sonst kam ich in der Redaktion an. Nach dem verpatzten Interview des gestrigen Tages wollte ich keinen schlechten Eindruck machen und zu spät kommen. Mein Chef Thomas wartete bereits vor der Tür meines Büros auf mich und schielte auf seine Armbanduhr. Ich lächelte kurz, ging dann an ihm vorbei und schaltete arbeitswillig und motiviert meinen Computer an.
„Viel zu tun?", wollte er wissen und legte mir eine graue, aus Recyclingpapier hergestellte Mappe neben die Tastatur.
„Nein nein", versuchte ich unbeteiligt zu sagen und schob nervös den Tacker vor mir hin und her, „das mit dem Interview tut mir leid."
„Frauke hat das gut hinbekommen. Dieser Samu war sehr nett."
Wer es glaubt.
„Ok", ich öffnete eine Word-Datei auf dem Desktop und holte die Notizen des Theaterstücks aus meiner Tasche, „ist noch was?"
„Wir planen eine Austauschreihe zum Thema „Hauptstadt"", er deutete auf die Mappe, „da würde ich dich gerne hinschicken."
„Landeshauptstadt?"
„Hauptstadt."
„Ich soll nach Berlin?", hinterfragte ich kritisch und rollte mit dem Drehstuhl von rechts nach links.
Thomas nickte.
„Du in Berlin, ein Redakteur der Berliner Morgenpost hier."
„Wann?"
Die Sache musste einen Haken haben.
Nach dem ich das Interview –dank des Finnen- vermasselt hatte, schickte mein Vorgesetzter mich unmöglich als eine Art Belohnung nach Berlin.
„Das ist keine Belohnung", sprach er meine Gedanken aus, „du tauschst mit Frauke. Sie geht zur 1LIVE-Krone im Dezember und du fährst dafür eine Woche nach Berlin und findest möglichst positive Aspekte über sämtliche Museen in der Stadt."
Die Verleihung der 1LIVE-Krone in der Jahrhunderthalle wäre mein persönliches Highlight gewesen. Stillschweigend hatte ich gehofft, dass er mich dorthin schicken würde. Ich wollte endlich wieder das Radio beim Autofahren anschalten können, ohne in Tränen auszubrechen, weil Samus Stimme den Weg an meine Ohren gefunden hatte. Es wäre Teil meiner Selbsttherapie gewesen. Und jetzt machte Thomas mir auf charmante Weise einen Strich durch diese Rechnung.
„Nicht die Krone", ich faltete die Hände vor der Brust und sah ihn unterwürfig an.
„Sieh das als Chance, das Interview von gestern wieder gut zu machen. Ich weiß, dass du toll schreiben kannst und die Korrespondenz super funktionieren wird."
„Aber das kann Frauke auch."
Seine Brille rutschte von der Nase, als er sich auf meinen Schreibtisch stützte.
„Und weil du besser bist, fährst du im Januar nach Berlin, Ende."


Jan wartete bereits in seinem Wagen, als ich meinen schwarzen VW Polo parkte und den Kofferraum per Knopfdruck auf die Mittelkonsole öffnete. Sofort schaltete Jan den Motor ab, sprang aus dem Mercedes und öffnete meine Fahrertür.
„Das nächste Mal machen wir eine Uhrzeit aus. „Wie immer" ist ein relativ weit gefächerter Begriff."
„Stehst du schon lange hier?", ich stieg aus und zog ihn an dem Kragen seiner Jacke zu mir herunter.
„Es hat sich jedenfalls gelohnt", wisperte er, küsste mich innig und schlug die Tür des Autos zu.
„Sorry", brummelte ich an seinen Lippen und löste mich dann von ihm, um die Einkäufe aus dem Kofferraum zu holen.
„Ich mach schon", grinste Jan und riss mir die Tüten aus der Hand, „schließ lieber auf."
Eine Viertelstunde später schob Jan die Auflaufform mit Zucchinis, Zwiebeln, Paprika, Tomaten und die bereits gegarten Hähnchenbrustfilets in den vorgeheizten Backofen.
Währenddessen hatte ich den Tisch für vier Personen gedeckt und Leni eine Nachricht geschickt, dass sie nichts weiter mitbringen müsse als ihren Göttergatten in spe.
„Tut mir leid, dass ich dich nicht in meinen Plan eingeweiht habe", Jan strich von hinten über meine Schultern als ich die Weingläser gerade rückte.
„Alles ok", flüsterte ich, drehte mich zu ihm und küsste seine Wange.
„Was bekommst du für den Einkauf?", Jans Hände bahnten sich den Weg von meinem Schultern über meinen Rücken und kamen auf meinen Hüften zum Stehen.
„Nichts."
„Nichts?", er runzelte die Stirn, „gar nichts?"
„Du zahlst das nächste Mal", meine Hände glitten unter sein Shirt und kreisten um seinen Bauchnabel, als es an der Tür klingelte.
„Du musst Lippenstift nachlegen", griente Jan und strich mit dem Daumen über meine Lippen, „du bist total verschmiert."
„Wegen dir!", lachte ich, ließ von ihm ab und verschwand im Badezimmer, während Jan die Tür öffnete und Leni und Marius hereinbat.


Ich wusste genau, warum ich noch nie ein Fan von Doppeldates gewesen war. Man wurde nicht mehr als Individuum betrachtet, sondern existierte nur noch als Teil einer Zweierkombination.
Weil ich mit Jan geschlafen hatte.
Ein einziges Mal.
Ständig quetschte mich Marius aus, was „wir" am nächsten Tag vorhätten, was „wir" am Wochenende machen wollen würden und ob „man" sich am Sonntagmorgen zum Brunch treffen könnte.
Unter einem Vorwand verschwand ich zuerst im Badezimmer und dann in der Küche, um die Spülmaschine einzuräumen.
„Das ist dir unangenehm, oder?", Leni stand mit verschränkten Armen in der Tür.
„Dein Freund hat 'ne Macke. Was denkt er denn, was ich jetzt mache? Mein Leben als Individuum aufgeben und nur noch in einer Union mit Jan existieren, weil ich ein einziges Mal mit ihm geschlafen hab?"
„Er will euch nur integrieren, das ist alles."
„Euch", ich malte Gänsefüßchen in die Luft, bevor ich die leere Auflaufform in das untere Fach der Spülmaschine räumte, „ihr Paare seid wahnsinnig."
„Bist du gerne alleine?", sie stemmte die Hände in die Hüften und zog die Nase kraus.
„Manchmal schon, du etwa nicht?"
„Ich hab vor ein paar Jahren auch noch anders gedacht, aber als ich Marius kennengelernt habe, hat sich das alles ganz schnell in Luft aufgelöst. Es ist so schön jemanden an seiner Seite zu haben, der dir jeden Wunsch von den Augen abliest und dein Seelenverwandter zu sein scheint."
„War der Wein schlecht?", horchte ich irritiert nach und zog die Augenbrauen zusammen.
Das waren Worte, die ich so noch nie von meiner besten Freundin gehört hatte. Bislang war sie immer eher der Typ „Eine Nacht ist schon mehr als genug" gewesen. Das hatte sich mit Marius geändert. Aber dass sie schlagartig von Rampensau zu Hausmütterchen mutiert war, hatte ich augenscheinlich verpasst.
„Was ich sagen will", sie lehnte sich in die Küche hinein um nicht zu laut reden zu müssen, „Jan ist 'n super Kerl. Nett, intelligent, witzig, gutaussehend. Und er ist verliebt in dich. Nach all den Typen, die du hattest, ist er ein Hauptgewinn bei der Tombola."
„Ich habe nicht vor, ihn abzusägen, wenn du das meinst. Ich hab ihn gern."
„Danke Gott!", sie schlug die Handflächen aneinander.
„Aber ich lasse mich von Marius nicht in die Doppeldate-Schublade stecken, nur weil ihr nur noch Paare als Freunde habt und nicht mehr alleine existieren könnt."
„Und dich."
„Und mich", schmunzelte ich müde und warf eine Gabel treffsicher in den Geschirrkorb.
„Aber der Brunch bei uns steht?"
„Es ist nicht seine Wohnung, Marlen."
„Der Brunch bei mir steht?", korrigierte sie und rollte die Augen.
„Nur, wenn wir mal wieder was alleine machen."
„Wann?"
„Letztes Novemberwochenende?"
„Oh", ein unsicheres Grinsen huschte über ihr Gesicht, „da kann ich leider nicht. Marius und ich fahren da nach Kopenhagen zum Shoppen."
„Dann darauf das Wochenende?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Brauch ich jetzt einen Terminkalender, um meine beste Freundin mal ohne Anhang zu treffen?"
„Findest du Marius doof?", ignorierte sie meine Frage und ließ die Wimpern klimpern.
„Ich liebe ihn fast wie meinen Schwager und das weißt du auch."
„Aber?"
„Irgendwann stichelt er immer auf dieser Beziehungssache rum. Egal ob ich jemanden habe oder nicht. Er will immer auf irgendwelche Doppeldates gehen. Und wenn es nicht sofort ein Doppeldate ist, dann ist es ein Blinddate für mich und einem seiner Freunde."
„Er freut sich halt, dass das mit euch endlich geklappt hat. Jan ist ein guter Freund. Lass ihm die Euphorie. Er hat sonst nichts außer Fußball", johlte Leni.
„Hoffentlich ist Jan nicht so."
„Wollt ihr nicht mit nach Kopenhagen? Wir zahlen für das ganze Wochenende 91 Euro", unterrichtete sie euphorisch.
„Marlen", ermahnte ich sie, „ihr."
„Wenn du Jan in einer Woche immer noch gut findest, kannst du mir ja Bescheid sagen."
„Und dann?"
„Buche ich die Flüge und das Hotel für euch. Eine Freundin arbeitet im Reisebüro."
„Lass mich raten: Eine Doppeldate-Freundin?"
„Du bist immer so kritisch", Leni stieß mir gegen die Schulter, „das hat auch gute Seiten, ehrlich. Wenn du dich darauf einlässt, kann das toll sein."
„Muss man dafür trinken?"
„Du musst nicht, aber es hilft", feixte sie, „also. Was ist? Seid ihr dabei?"
„Weil ich die Nordhalbkugel so gut leiden kann."
„Kopenhagen ist nicht Finnland. Reg dich ab. Außerdem kommst du von da oben."
„Na ja", schnaufte ich.
„Wenn auch nur zur Hälfte", berichtigte Leni und seufzte theatralisch.

Just friends?Where stories live. Discover now